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Gegen Putin: Ukraine verkürzt F-16-Pilotentraining jetzt radikal

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Eine F-16AM Fighting Falcon im Sonnenuntergang auf dem Rollfeld, während ein Pilot die Maschine besteigt.
Götterdämmerung? Die F-16 fliegen in der Ukraine noch weit hinter ihren Erwartungen her. Jetzt will das Verteidigungsministerium die Ausbildung der Piloten radikal auf drei Monate verkürzen, um mehr Piloten an die Front werfen zu können. © IMAGO / Daniele Faccioli

Die Ukraine gibt Schub: Um die Lufthoheit zu erringen, werden neue F-16-Piloten nach einem Kurztraining gegen Russlands Invasoren in den Kampf geschickt.

Kiew – „Das Grundausbildungsprogramm muss optimiert werden“, sagt Serhiy Melnyk. Den Brigadegeneral und stellvertretenden Verteidigungsminister der Ukraine zitiert die Kiew Post damit, dass die Verteidiger gegen Wladimir Putins Invasionsarmee mehr Piloten für die aus dem Westen gelieferten F-16-Kampfjets benötigen. Melnyk wertet offenbar Quantität höher als Qualität. Die neuen ukrainischen Jetpiloten sollen jetzt in drei Monaten für die F-16 fit gemacht werden.

„Dadurch können wir mehr Piloten zur Verteidigung unseres Landes ausbilden. Die ukrainische Kampffliegerei muss schließlich die Luftüberlegenheit erlangen, denn das ebnet den Weg für den Erfolg unserer Aktionen an der Front“, soll Melnyk gesagt haben. Das sei ein Umstieg „wie von einem Nokia direkt auf ein iPhone, ohne all diese Schritte dazwischen“, hat „Moonfish“ behauptet.

Der Pilot der Ukraine hatte Anfang des vergangenen Jahres gegenüber dem Magazin Business Insider (BI) geäußert, dass seine Kameraden und er ihre Flugweise drastisch ändern müssten, um den Umstieg von ihren sowjetischen Fliegern auf den bis zu 75 Millionen Dollar teuren westlichen Kampfjet zu meistern. Neben der Bedrohung durch die Luftwaffe Wladimir Putins sitzt die größte Herausforderung der Ukraine wohl tatsächlich im Cockpit der eigenen F-16.

Rückschlag im Ukraine-Krieg: Im August hatte die Ukraine den ersten kapitalen Rückschlag erlebt

Die Piloten haben auf ihren sowjetischen Maschinen über die Jahre hinweg Bewegungsabläufe antrainiert – die sind jetzt im „Muskelgedächtnis“ gespeichert und müssten umprogrammiert werden. Bei einer durchschnittlichen Reisegeschwindigkeit von fast 1.000 Kilometern pro Stunde legen die Piloten in einer Sekunde ungefähr 300 Meter zurück – ohne Gefechtsbedingungen und ohne das dreidimensionale Bedrohungsszenario.

„F-16 in der Ukraine – das bedeutet mehr getötete Besatzer.“

Oleksandr Syrskyj, Frankfurter Allgemeine Zeitung

Bereits Anfang September vergangenen Jahres hatte sich das Wall Street Journal (WSJ) kritisch auseinandergesetzt mit der Ausbildung der ukrainischen Piloten – genauer: mit dem beschleunigten Tempo des Umstiegs der Piloten von Ost- auf West-Kampfjets. „Offiziellen Angaben zufolge hatten die Piloten in den US-amerikanischen Flugzeugen weitaus weniger Flugstunden als ihre westlichen Kollegen“, schrieben Lara Seligmann und Nancy A Youssef. Zu der Zeit hatte die Ukraine den ersten kapitalen Rückschlag erlebt. Oberstleutnant Oleksiy „Moonfish“ Mes war da bereits tot – abgestürzt mit einer F-16.

„Die F-16 ist ein Schweizer Taschenmesser“, hatte Mes während eines Trainings mit dem Kampfflugzeug im Herbst 2022 noch geflachst. Dann war der Pilot ums Leben gekommen. Die F-16 stürzte wohl während eines groß angelegten russischen Luftangriffs ab – und fiel aufgrund von Eigenbeschuss vom Himmel oder durch einen Pilotenfehler. Darüber verwehrt die Ukraine bis heute jegliche Auskunft. Fakt ist, dass die Diskussion um den Sinn der Flugzeuglieferungen schwelt, seit die F-16 für die Ukraine im Gespräch sind. Anzunehmen ist auch, dass die Ukraine einen triumphalen Schlag durch die westlichen Kampfjets medial ausschlachten würde. Allerdings hat die Ukraine zuletzt die Lieferung der Jets bestätigt und übt seitdem Funkstille.

West-Kampfjets überschätzt: „F-16 in der Ukraine – das bedeutet mehr getötete Besatzer“

„F-16 in der Ukraine – das bedeutet mehr getötete Besatzer“, hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung zur Ankunft der Flieger Anfang August den ukrainischen Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj zitiert; was sich mittlerweile als hanebüchene Übertreibung ausnimmt, weil der F-16-Effekt nach einem Vierteljahr weiter auf sich Warten lässt. Bereits anfangs der Diskussion hatten Piloten und Pentagon-Offizielle gewarnt, dass ein oder zwei Staffeln mit bis zu 24 Maschinen keinen großen Unterschied im Ukraine-Krieg machen würden – von der Lufthoheit ist die Ukraine meilenweit entfernt; die Äußerung von Serhiy Melnyk kann also dahingehend gedeutet werden, dass die hochfliegenden Pläne sowie die Hoffnung auf ein schnelles Ende durch die West-Flieger zerstoben sind, und sich die Ukraine an der Realität orientieren muss.

Insofern befremdet die Äußerung Melnyks: Was die ukrainischen Piloten während ihrer ohnehin kurzen Ausbildung inhaltlich ausgelassen haben, sollen sie jetzt in einem Crash-Kurs lernen? „Westliche Piloten fliegen selbst nach Abschluss ihrer Ausbildung oft noch viele Monate mit ihren Einheiten und nehmen an Übungen teil, bevor sie sich an komplexe Missionen in Kampfgebieten wagen. Die ukrainischen Piloten hingegen wechselten schnell von der Ausbildung aufs Schlachtfeld“, schreiben die WSJ-Autorinnen Seligmann und Youssef.

Steve Brown hat unter Beobachtern herausgehört, dass die Konzeption der F-16 als Einsitzer-Kampfjet die Piloten in Kampfeinsätzen oder misslichen Situationen unter Druck setze, „die erforderliche Leistung zu erbringen, was das Risiko von Unfällen und Missionsversagen erhöhen könnte“, wie der Autor der Kiew Post festhält. Brown äußert auch Bedenken, dass das beschleunigte Trainingsprogramm keine Hauruck-Maßnahme zur kurzfristigen Stärkung der Kampfkraft der Kräfte am Boden bleiben werde. Er äußert demgegenüber den Verdacht, dass die Crash-Kurse zur Norm der ukrainischen Pilotenausbildung werden könnten.

Luftkampf gegen Putin: Die westlichen Waffen machen den Unterschied

Die WSJ-Autorinnen legten nach „Moonfishs“ Absturz nahe, dass sich der Westen mit der F-16 verkalkuliert und sich die Ukraine wahrscheinlich in ihren Möglichkeiten verhoben hätte. Entgegen den Zuversichts-Posts des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj haben Seligmann und Youssef über den Nutzen der F-16 formuliert, die Ukraine habe lediglich „behauptet, sie würden dem Land helfen, sich vor dem Ansturm russischer Raketen zu schützen“.

Im Juni vergangenen Jahres berichtete die französische Zeitung Le Monde darüber, dass der Nato-Partner Frankreich im März mit einem Ausbildungsprogramm mit zehn Rekruten begonnen und das Programm auf eine Gesamtlaufzeit von zwei Jahren angelegt hatte; mit dem Ziel, insgesamt 26 Rekruten auf den Luftkampf vorzubereiten – das Alter der Rekruten gab Le Monde mit 21 bis 23 Jahren an. Allerdings sei schnell vom Zeitplan abgewichen und das Programm um sechs auf 18 Monate verkürzt worden.

Einen erfolgreicheren Ansatz beschreibt aktuell Thomas Newdick im Magazin The War Zone (TWZ). Newdick lässt einen Piloten zu Wort kommen – allerdings fliegt der Ukrainer mit dem Rufnamen „Viking“ eine Su-27. Trotz der kürzlich erfolgten Einführung der F-16 werde die Kampfflugzeugflotte der ukrainischen Luftwaffe immer noch von den Su-27 und MiG-29 Fulcrum aus der Sowjetzeit dominiert, schreibt Newdick. Was sich anfangs als eklatanter Nachteil erwiesen hatte, hat sich inzwischen gewendet – die westlichen Waffen drängen Russland zurück. Was der ukrainischen Luftwaffe fehle, seien demzufolge luftgestützte Waffen. Wie er gegenüber TWZ äußert, könne nur eine größere Zahl dieser Raketen „eine gewisse Parität mit den russischen Luftstreitkräften erreichen“.

USA kritisch: „Der Absturz zeigt, was passiert, wenn man versucht, die Dinge zu überstürzen“

Über die Effizienz der bisher gelieferten F-16 verliert „Viking“ jedenfalls kein Wort. Ihm zufolge habe die Russen vor allem verwirrt, dass die Ukraine an ihren Sowjetflugzeugen westliche Raketen wie die HARM (High-speed Anti-Radiation Missile) tragen und erfolgreich einsetzen konnte. Das verschaffte der Ukraine einen Zuwachs an Reichweite – vor allem gegen die Träger von Gleitbomben. „Der innovative Ansatz, westliche Waffen auf Kampfflugzeugen aus der Sowjetzeit zu integrieren, beinhaltete letztendlich eine Kombination aus neuen Taktiken, speziell entwickelten Pylonen, die Zielinformationen an die Raketen weitergeben können, sowie Cockpit-Schnittstellen auf Tablet-Basis“, sagt „Viking“ gegenüber TWZ. Möglicherweise eine viel leichter zu verdauende Umstellung für die Verteidiger.

Jahre würden ins Land ziehen, bis die ukrainische Luftwaffe genug Erfahrungen auf der F-16 biete, um Kampfeinsätze effektiv durchzuführen, vermuten die Analysten Christopher Koeltzow, Brent Peterson und Eric Williams – bis zu vier Jahre vom Flugschüler bis zum verlässlichen Flügelmann, ein weiteres Jahr um Kampftaktiken im Verband zu beherrschen. Die Analysten des Thinktanks Center for Strategic and International Studies (CSIS) gehen in ihren Berechnungen von einer Zeit und einem Übungsszenario ohne Gefechtsbedingungen aus – laut den Autoren erfordert das Fliegen auf dem anderen Flugzeugtyp grundsätzlich eine andere Denkweise.

Im September hatte das WSJ berichtet, das noch keine Pläne bestünden, das Ausbildungsprogramm für ukrainische Piloten zu modifizieren trotz „Moonfishs“ Crash. Das Blatt zitierte zu der Zeit eine anonyme Quelle aus dem Pentagon dahingehend, dass „der Absturz zeigt, was passiert, wenn man versucht, die Dinge zu überstürzen“.

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