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Putins neue Horror-Bilanz: Nie zuvor so viele Panzer verloren

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Das Wrack eines T-62-Panzers am Straßenrand aus den Anfängen des Ukraine-Krieges
Das Rückgrat der russischen Offensive: der T-62-Kampfpanzer. Russland hatte nur wenige moderne Panzer für den Invasionskrieg eingesetzt, jetzt ist kaum noch einer übrig und produziert werden zu wenige. Russlands Armee muss jetzt mit Teilen aus dem Ausland Rostlauben restaurieren. © Dimitar Dilkoff / AFP

Die Infanterie ist auf sich selbst gestellt: Russland führt immer mehr Angriffe ohne Panzer. Putins Armee fehlen Fahrzeuge. Die Industrie kommt nicht nach.

Moskau – „Die Reserven an T-80 und neueren T-72 gehen zur Neige, aber es gibt immer noch 1.100 T-62, die auf ihre Restaurierung und eine zweite Chance warten, Krieg zu führen“, schreibt David Axe. Da die Produktion neuer Panzer aufgrund des Mangels an Finanzen, Personal und Teilen gefährdet ist, müssen diese Gefechtsfahrzeuge aus den 1960er-Jahren in der russischen Armee Mitte der 2020er-Jahre zwangsläufig eine immer größere Rolle spielen, berichtet der Autor des Magazins Forbes. Beobachter bemerken inzwischen verstärkt infanteristische Angriffe Russlands ohne Panzerunterstützung – offenbar muss die Invasionsarmee Wladimir Putins mit ihrem Kriegsgerät inzwischen streng haushalten und straft alte Einschätzungen von Beobachtern Lügen.

Aufgrund von Angaben des Generalstabs der Ukraine wollen die Verteidiger im Jahr 2024 mehr als 3.000 russische Panzer und nahezu 9.000 gepanzerte Fahrzeuge zerstört haben. Über die Fähigkeiten Russlands, diese Verluste zu kompensieren, liegen keine Informationen vor: „Die aktuellen Produktionsraten Russlands bei Panzern und Fahrzeugen deuten darauf hin, dass solche Verluste auf lange Sicht wahrscheinlich unerschwinglich sein werden, insbesondere da das Land weiterhin auf seine Bestände aus der Sowjetzeit zurückgreift“, schreiben die Analysten des Thinktanks Institute for the Study of War (ISW).

Putins Albtraum: Russland scheint sein Kapital an modernen Panzern nahezu komplett verpulvert zu haben

Tatsächlich berichtet auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) davon, dass Russland sein Kapital an modernen Panzern nahezu komplett verpulvert zu haben scheint. Aufgrund von Open-Source-Satellitenbildern soll die Flotte an T-90 zwischen dem Anfang des Krieges und heute komplett aufgerieben sein; von den ursprünglich angenommenen 1.400 T-80-Kampfpanzern seien lediglich 303 noch zu lokalisieren. Die Masse der Gefechtsfeldkolosse bilde also in der Tat der T-62. Der sei, so die Open-Source-Quellen, teils in erbärmlichem Zustand – manchen Exemplaren fehlten sogar der komplette Turm oder wenigstens die Kanone.

„Die Russen halten ihre gepanzerten Fahrzeuge so weit wie möglich weg, weil sie große Angst vor unseren Panzerabwehrraketensystemen haben.“

Orest Drymalovskyi, ArmyTV/n-tv

Selbst das Ausschlachten verrottender Panzer kommt wohl zum Erliegen, weil die Ersatzteile ausgehen, wie Marc DeVore und Alexander Mertens Ende vergangenen Jahres am Beispiel der Rohre analysiert haben: Der russischen Maschinenbauindustrie fehlten demnach die Fähigkeiten, Drehwalzen zu bauen. Die beiden Autoren des Magazins Foreign Policy sehen Russland außerstande, weitere Walzen zu beschaffen, um die Produktionsrate an Rohren zu erhöhen. Ihnen zufolge läge Russlands Heil einzig darin, dass China komplette Rohre liefere. Der britische Economist hat im vergangenen Sommer berichtet, dass Russland auch die Kugellager ausgingen – die könnten zwar ebenfalls durch chinesische Alternativen kompensiert werden, diese seien aber von geringerer Qualität.

Eine andere Lösung liegt in Nordkorea. Tatsächlich scheint der Krieg zwischen Russland und der Ukraine neue Chancen zu bieten für Nordkoreas Panzerindustrie. Bereits zu Anfang des Invasionskrieges häuften sich die Meldungen, nach denen Russland seine Bestände an T-72-Panzern, T-62-Modellen und sogar T-54 und T-55 Panzern aus befreundeten Ländern auffüllen beziehungsweise bestehende Flotten modernisieren musste, beispielsweise aus Belarus. Buchautor A.B. Abrams sieht Nordkoreas Chance erstens in der Lieferung eigener, moderner Modelle sowie in der Lieferung von Teilen alter Sowjetpanzer, wie er im Magazin The Diplomat schreibt.

Neue Prognose: Russland wird Produktionskapazitäten kaum über das Vorjahres-Niveau hinaus ausbauen

Fakt ist, dass Russland die Anstrengungen seiner Rüstungsproduktion weiter nach Kräften forciert. Die rund 4.000 Kampfpanzer der Russischen Föderation von Beginn des Krieges sind in der Masse erstmal verloren – die Invasionsarmee habe Mühe, allein die horrenden Verluste adäquat auszugleichen, hatte im vergangenen September Tomas Malmlöf nahegelegt. Der Autor der Schwedischen Verteidigungsforschungsagentur (FOI) mutmaßt, dass Russland in der Lage sei, pro Jahr rund 520 neue Fahrzeuge auf die Ketten zu stellen: „62 Panzer vom Typ T-90M Proryv, 62 weitere vom Typ T-90/T-90A; 80 Panzer, Typ T-80BVM; 140 Panzer vom Typ T-72B3 und weitere 140 vom Typ T-72B3M“, wie das Magazin Defense Express über Malmlöfs Ergebnisse berichtet hat.

Dara Massicot geht davon aus, dass Russland seine Produktionskapazitäten kaum über das Vorjahres-Niveau hinaus wird ausbauen können – allein aufgrund fehlenden Raums. Die bestehenden Rüstungsfabriken seien bereits mit Neubauten, Reparaturen und Exportverpflichtungen voll ausgelastet, schreibt die Analystin des Thinktanks Carnegie Endowment. Die Erhöhung der Produktion ohne Abstriche gegenüber anderen Erfordernissen hält sie für ausgeschlossen – beispielsweise gegenüber dem Export, der den Krieg mit finanziert. Auch der Bau neuer Fabriken beziehungsweise die Wiederbelebung von Industrie-Ruinen scheint ihr wenig wahrscheinlich, weil alle Kapazitäten für kurzfristige Aufgaben durch den Kriegsverlauf und die horrenden Verluste gebunden seien.

Offenbar fühlt sich auch die russische Militärführung von der Realität eingeholt: „,Die Russen halten ihre gepanzerten Fahrzeuge so weit wie möglich weg, weil sie große Angst vor unseren Panzerabwehrraketensystemen haben“, sagt Orest Drymalovskyi zu ArmyTV, wie der Sender n-tv den Sprecher der 79. Separaten Luftangriffsbrigade der Ukraine zitiert. Laut Drymalovskyi verzichte die russische Armee in Richtung Kurachowe in der Region Donezk bei Angriffen auf gepanzerte Fahrzeuge oder setze sie höchstens aus sicherer Entfernung zur Feuerunterstützung ein.

Das ist keine wirklich neue Entwicklung, aber möglicherweise eskaliert jetzt die Situation und die russischen Truppen sind tatsächlich am Ende ihrer Möglichkeiten. Bereits Ende 2023 hatte das ISW einen russischen Militärblogger dahingehend wiedergegeben, dass die russischen Streitkräfte kurz vor einer „wahren Renaissance des Infanteriekampfes“ stünden. Die Quelle führte das bereits zu diesem Zeitpunkt zurück auf die Verluste an Panzern, Schützenpanzern und gepanzerten Mannschaftstransportwagen. „Dies deutet darauf hin, dass die IISS-Schätzung vom Februar 2024, dass Russland seine Fahrzeugverluste bis 2025 und möglicherweise 2026 aufrechterhalten kann, nicht mehr gültig ist“, schreibt das ISW in seinem aktuellen Lagebericht.

Widerstandsfähiges Volk: „Putins wirtschaftliche Stärke beruht auf seiner Kriegssucht“

Das ISW bezieht sich damit auf eine Aussage Yohann Michels, die der Analyst des Thinktanks International Institute for Strategic Studies (IISS) Anfang Februar 2024 veröffentlicht hatte: „Wir gehen daher davon aus, dass Russland seinen Angriff auf die Ukraine bei der derzeitigen Truppenstärke noch weitere zwei bis drei Jahre, vielleicht sogar länger, aufrechterhalten kann.“ Offenbar erweist sich das jetzt als falsch, weil Russland in den vergangenen zwölf Monaten mehr als dreimal so viel Fahrzeuge verloren hat, wie in jedem einzelnen Kriegsjahr zuvor.

Mitte Oktober hatte die Nachrichtenagentur Reuters eine verblüffende Erklärung für Russlands ökonomische Widerstandsfähigkeit gefunden: „Putins wirtschaftliche Stärke beruht auf seiner Kriegssucht“, urteilte Pierre Briancon; den Reuters-Autoren beflügelte die Tatsache, dass sich Russlands Wirtschaft offenbar entgegen den westlichen Sanktionen als widerstandsfähig erwiesen und – trotz allem – seit dem Einmarsch in die Ukraine deutlich entwickelt hatte. Nach einem Rückgang von 1,2 Prozent in 2022 sei das Brutto-Inlandsprodukt (BIP), also die Summe der gesamten Wertschöpfung, in 2023 um 3,6 Prozent gestiegen.

Die Einschätzung des ISW nach einem jetzt schnell nahenden Ende des Ukraine-Krieges widersprechen allen bisherigen Analysen und Prognosen. Deren bestimmender Faktor ist immer die Widerstandsfähigkeit des russischen Volkes, von der der Politikwissenschaftler Gustav Gressel noch im August 2023 überzeugt war, wie er gegenüber der Tagesschau erklärt hat: „Putin kalkuliert damit, dass in einem langen Abnutzungskrieg Russlands Siegchancen größer sind. Weil sich Russland mit dem Sanktionsregime arrangiert hat, wird es langfristig ein Vielfaches mehr an schweren Waffensystemen produzieren als der Westen.“

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