Intro
Am Kassenband im Supermarkt. Vor mir steht ein Mann mit Pferdeschwanz, Outdoorjacke und einer leicht verwitterten Mütze auf dem Kopf. Er lädt den Inhalt seines hoch gefüllten Einkaufswagens auf das Band, ohne Zweifel ist es ein Wocheneinkauf mit allerlei Gemüse, Obst, Brot und diversen Backzutaten. Ich male mir aus, was er wohl aus den Zutaten alles bereiten wird, stelle mir vor, ob er kochen und backen kann, oder ob es eine andere Person in seinem Haushalt gibt, die den Einkauf zu Malzeiten verarbeitet.
Ich hole mein Handy heraus, um die Kundenkarte aufzurufen und mich gleich auf das Be- und Entladen des Kassenbandes konzentrieren zu können. Nach dem Starten der App schaue ich wieder hoch und wundere mich darüber, dass der Mann mit dem Pferdeschwanz verschwunden ist. Oder hat er sich in die Blondine verwandelt, die jetzt vor mir ist? Nein, tatsächlich ist der Outdoor-Man noch vor mir, nur dazwischen ist jetzt eine weitere Person in der Schlange. Ähm, wie konnte das sein?
Ende 1
Einen Moment denke ich überrascht nach, war die Frau vorher schon da und ich habe sie nicht gesehen? Aber das verwerfe ich wieder, schließlich fehlt das Trennholz zwischen unseren Einkäufen auf dem Kassenband. Ganz vorsichtig spreche ich den Rücken mit "Entschuldigung, hatte ich Sie vorgelassen?" an, aber keine Reaktion. Die Blondine schaut ungerührt nach vorne, legt noch die letzten Artikel aus ihrem Einkaufsbeutel auf das Band und tut so, als ob sie mich nicht gehört hätte.
Mein Blutdruck steigt, ich drücke mich um meinen Einkaufswagen herum und tippe der Frau auf die Schulter. Sie fährt herum, irgendwas zwischen überrascht und entrüstet, fast muss ich froh sein, dass ich keine Ohrfeige bekomme. In ihr wütendes Gesicht wiederhole ich meine Frage; Ohne darauf zu antworten keift sie lautstark herum und beschwert sich über meine Übergriffigkeit. Ohne mich aufzuregen will ich noch mal von ihr wissen, wie sie vor mich gekommen ist. Sie habe mich nicht gesehen, und was die Frage solle.
Ein Blick auf das langsam vorlaufende Kassenband zeigt ihre wenigen Artikel, es lohnt sich nicht, weiter mit ihr herumzustreiten. Da dreht sich der Pferdeschwanz vor ihr in Zeitlupentempo um. Schaut sie an, schaut mich an und sagt dann leise, aber völlig bestimmt "Der Mann war hinter mir, Sie haben sich vorgedrängelt. Stellen Sie sich hinten an." Jetzt ist es an der Blondine, irritiert zu schauen, eine überraschende Wendung der schon sicher geglaubten Mogelei. Maulend über die unrechtmäßige Verbündung der Männer schaut sie mich an, wohl erwartend, dass ich ihr Verhalten nachträglich legitimiere und ihr den Vortritt lasse.
Das hätte vorher vielleicht noch geklappt, aber weder möchte ich den Cowboy enttäuschen, noch ist ihre Art akzeptabel. "Sie haben es gehört, bitte stellen Sie sich hinten an" wiederhole ich die Aufforderung und schaue zu, wie sie schimpfend ihren Einkauf zurück in den Einkaufsbeutel packt. Vor mir entsteht jetzt eine Lücke und die Schlange hinter mir ist recht lang.
Wie zu erwarten bekommt sie jetzt Schützenhilfe von einer älteren Frau, die zwei Wagen hinter mir steht. Selbstverständlich lässt sie sie vor mit ihren paar Teilen und wie können die Männer heutzutage nur so unhöflich sein. Kein Wort davon, dass sie damit den Willen der hinter ihr wartenden Kunden ignoriert (die ja jetzt ungefragt auch die Blondine vorlassen müssen), kein Wort davon, dass meine ehemalige Vorgängerin mit ihrem Vormogeln erst den Ärger ausgelöst hat und damit die eigentlich Unhöflichkeit darstellte.
Wenige Augenblicke später ist der Mann abkassiert, meine Waren wechseln mit flinken Händen vom Band in den Wagen, ich bezahle und verlasse den Laden, ohne mich noch einmal umzuschauen. Im Theater würde man sagen "der Vorhang fällt", Ende der kleinen Szene, die aber in mir auch während der Heimfahrt nachwirkt.
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