Psycho verliert Stigma - so weiten sich Diagnosen aus War früher eine psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung ein Tabu, ein Zeichen von Schwäche, werden in unserer emotionsgeladenen und aufmerksamkeitsheischenden Zeit einige psychische Krankheiten sogar als ein Authentizitäts-, ja Qualitätsmerkmal ausgegeben. Die Suizidgedanken einer Meghan Markle, dazu die Angsterkrankung ihres Ehemanns, die Asperger-Erkrankung einer Greta Thunberg wären früher ein Beleg dafür gewesen, ihre Thesen nicht anzuhören. Heute heißt ein Buch „Aspergirls“ oder man spricht von der "Superkraft ADHS". Wir erleben Patienten, die mit ihren Diagnosen prahlen, die sich gegenseitig diagnostizieren und Therapeuten weitere Diagnosen vorschlagen. Es entstehen neue Diagnosen, neue Therapien und nun gibt es Patienten, die früher nie eine Therapie gebraucht hätten. Filme diskutieren Therapie. Die israelische Serie „BeTipul“ und ihre amerikanische Adaptation „In Treatment“ und die noch feinere französische „En Thérapie“ zeigen die Selbstverständlichkeit psychologischen Herangehens. Wo es natürlich gut ist, dass sich die Sicht auf und Behandlung von psychischer Erkrankung von der Verwahrpsychiatrie und Ausgrenzung hin zur Psychologisierung und sprechenden Medizin mit all ihrer Zuwendung und Aufmerksamkeit gewandelt hat, so erfüllt diese Aufmerksamkeit, das intensive Zuhören eine verstärkende Wirkung auf eben jenes Krankheitsverhalten. Es kommt zur Selbstdiagnose, Überdiagnostizierung und verstärkter Medikalisierung. Potenziert wird das Ganze, wenn die Besonderheit auch noch medial gefeiert wird, wenn etwa "bonnieleben" mehr als 74.000 Follower hat und einen Spiegel-Bestseller dazu schreibt. Das wiederum betrifft nur einige Diagnosen; mit Schizophrenie oder Alkoholsucht gibt es die mediale Ansteckung nicht.
Ist das jetzt eine Meinungsäußerung, ein Statement wissenschaftlicher Art ohne Belege ein Gefühl der gesellschaftlichen Entwicklung? Leider gibt es diese Texte zumass hier auf LinkedIn. Für mich ist er ziemlich sinnfrei. Man könnte diesen Text von verschiedenen Seiten diskutieren und auch widerlegen. Allerdings wäre das auch nur pure Meinungsmache und hätte nichts mit Tatsachen zu tun. Ich weiß nicht, ob sie schon einmal die verzweifelten Menschen mit Autismus und ADS Symptomatik erlebt haben, die keine Möglichkeit haben, Diagnosen zu bekommen im Prinzip darauf angewiesen sind, um sich selber ein Bild zu machen, sich auch selber zu diagnostizieren. Wenn dies nicht offiziell geschieht, vielleicht wissen Sie nicht wirklich, was es heißt, dass es dann keine Möglichkeit gibt, im Leben weiterzukommen. Es kommt immer ein wenig auf die Position an, in der man sich im Leben befindet. Und generell vernichtend über Menschen zu urteilen, die sich trauen, mit bestimmten Schwierigkeiten oder früher Scham besetzt zurückgehalten, Symptomen an die Öffentlichkeit zu gehen finde ich nicht in Ordnung.
Weil ich mich mit meiner Persönlichkeit auseinandersetze, und mich mit meinen Erfahrungen und Erkenntnissen nicht verstecken will, sondern (und das hat enorme Wirkung, merke ich) andere ermutigen will, andern helfen kann und damit zur Aufklärung beitragen kann, möchte ich zu diesem Post unbedingt beitragen. Ich empfinde ihn als Belehrung, sogar als Erhebung und fühle mich damit belächelt. Dieser Post ärgert mich sehr. Was ist der Grund für diesen Post? Was möchtest du damit erreichen? Weniger Sichtbarkeit für mentale Themen? Weniger Sichtbarkeit für Menschen mit psychischen Erkrankungen oder "Störungsbildern"? Eine Verdrängung in die Abgeschiedenheit? Ich verstehe nicht, warum du glaubst (du sagst ja selbst, es wäre keine Studie, sondern eine Meinung / Beobachtung), dass allein durch das Zuhören sich meine neurologische Störung in ihrer Wirkung verstärkt. Das halte ich nicht nur für falsch, sondern für schlichtweg frech. Sorry, but not sorry.
Ich finde schwierig eine Meinung als Fakt hinzustellen ohne Quellen. Was wenn es bisher eine Unterdiagnostizierung gab und das durch Community Building und Medien aufgeholt wird, was bisher versäumt wurde?
Das klingt ein bisschen wie das Kind, das gerade etwas faszinierend neues entdeckt hat und diese faszinierende Entdeckung auf alles in seinem Leben anwendet. Ich denke weiterhin, dass das wichtig ist, um die Stigmatisierung aufzuheben.
Und die, die dringend eine Therapie bräuchten, werden als neue Normalität gefeiert.
Dr. Holger Richter Umso mehr freue ich mich auf Ihr Buch in diesem Herbst! 👍
Ich finde diese Darstellung sehr zutreffend und so sehr ich es gut finden möchte, dass auch über psychiatrische Erkrankungen in einer selbstverständlichen Form berichtet wird, so sehr stört mich auch das Zurschautragen von Diagnosen. Allerdings denke ich, dass es auch in der klassischen somatischen Medizin Diagnosen gibt, die in der Bewertung positiver sind und andere Diagnosen eher als persönliche Schwäche wahrgenommen werden. Ich behaupte mal dass die meisten onkologischen Erkrankungen mehr Mitleid erzeugen als eine schwere Adipositas. Es liegt aber sicher an uns Psychiatern und Psychotherapeuten, hier Aufklärung zu leisten und die Wahrnehmung zu normalisieren. Wenigstens vor der eigenen Haustür, denn speziell Therapeuten im Suchtbereich haben es sicher schwerer als beispielsweise der ADHS-Therapeut oder ich im Depressionsbereich.
Stimme aus Psychotherapeutinsicht voll zu! Auffällig, merkwürdig, bizarr welche Anfragen kommen. Gut, dass du das hier öffentlich diskutierst! Es kommt: Schon vorab pathologisiert, selbst diagnostiziert, mit Behandlungsvorgehen u. festen Erklärungen versehen. Einerseits ist gut, dass man für sich was machen will. Wie kommt es aber, dass alles als Krankheit gesehen wird- nicht als Entwicklungsnot, Diversität, die ja anderswo gefeiert u. gelobt wird. Vergessen ist noch: Hochbegabung, Hochsensibilität, Trauma, ADHS, Narzismus, Burnout usw. Es stimmt, dass auch einige Diagnosen ausgeschlossen sind von dem Hype. Wie sollen wir als Psychotherapeutinnen darauf reagieren? Erwartet wird die feste Wundermedizin - erstauntlich erscheint Psychotherapie zur eigenverantwortlichen selbstbestimmten Resilienzentwicklung. Alles passt in diese Zeit, Generationen, Gesellschaft! In der Psychotherapie kommt all das an, was in der Gesellschaft geschieht: Perfektsein, Druck, genormt u. individuell sein. Die Psychotherapie im Gesundheitswesen tut auch ihrs dazu! Durch: Isolierung von Menschsein, Leben in Symptome, Krankheiten. Reduzierung von Psychotherapie zur Behandlung. So passt alles zusammen. Wir brauchen mehr Formate zur Entwicklung!
Erkrankungen wie Psychosen und Sucht bekommen trotz der Gesamtentwicklung weiterhin erstaunlich wenig Aufmerksamkei, das ist auffällig. Und die Gefaht von Pathologisierung und Defizit-Orientierung angesichts der medialen Präsenz von Mental-Health-Themen ist ein wichtiger Aspekt, der beachtet werden muss. Dass wirklich Überdiagnostik und Überbehandlung stattfände, ist eine Annahme, die mir hier zu sehr als Tatsache präsentiert wird. Gerade von uns Psychotherapeut:innen wünsche ich mir da Differenziertheit. Sonst wirkt das schnell etwas … nun ja … aufmerksamkeitsheischend. Falls Sie, Dr. Holger Richter - oder andere Mitlesende - dazu gute Untersuchungen kennen, bin ich sehr interessiert.
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5 MonateIch vermisse hier doch ein wenig die Objektivität. Ist es nicht die Gesellschaft und ihr Gesundheitssystem und -verständnis, die diese Effekte überhaupt erst hervor bringt? Treten zum Beispiel neurodiverse Störungen deshalb verstärkt in den Vordergrund, weil sie Jahrzehntelang nicht oder fehldiagnostiziert worden sind? Passiert Selbstdiagnose nicht deshalb, weil es nicht genügend Kapazitäten für echte Diagnostik gibt? Ist die Diagnostik durch Laien so viel schlechter als die der Fachpersonen, die die entsprechenden Bereiche überhaupt nicht kennen oder dort 30 Jahre dem aktuellen Stand der Forschung hinterher hinken? Und ist Übermedikation nicht auch ein Indiz für die hoffnungslose Überforderung des Fachpersonals? Und schlussendlich? Werden Störungsbilder vielleicht einfach deshalb als Identitätsbildend wahrgenommen, weil sie es sind? Weil die Stigmatisierung und fehlende Inklusion durch die Gesellschaft bei Betroffenen diesen überhaupt keine andere Wahl lässt?