Beitrag von Franco Zotta

Ein häufig bemühtes Motiv zur Beschreibung des Strukturwandels der Medien ist das der Wüstenbildung: Da wo gestern noch eine Tageszeitung erschienen ist, bleibt nach ihrer Schließung Leere und Stille zurück. Das Motiv wurde u.a. in den USA populär, wo die Medienforscherin Penny Abernathy in ihrem News-Desert-Projekt seit Jahren den Niedergang der US-amerikanischen Tageszeitungslandschaft dokumentiert https://lnkd.in/eckyMMC4. Ein Problem dieses Motivs ist, dass es einlädt zu vielen falschen Assoziationen. Wenn Zeitungen verschwinden, entsteht gerade keine Leere und Stille. Das Gegenteil ist der Fall: Verwirrende kakophone Räume sind die Folge, bespielt von einer Vielzahl von mehr oder weniger integren Akteuren https://lnkd.in/exaq6z_Q, die den Raum füllen, den der Journalismus inne hatte. Der öffentliche Raum ist in einer Demokratie von zentraler Bedeutung und deshalb keine stille, sondern ein hart umkämpfte Sphäre. Ein weiteres Problem des Wüstenmotivs: Es suggeriert, erst der Verlust der letzten Zeitung mache einen öffentlichen Raum zu einem unwirtlichen Ort. Das verkennt aber, dass der unkontrollierte Strukturwandel der Öffentlichkeit weit mehr Risiken birgt. Die folgende Studie https://lnkd.in/eeyv4vRV ist in diesem Zusammenhang lesenswert. Sie zeigt am Beispiel NRWs einerseits, dass im Schnitt über alle Medienformate hinweg über 80 Prozent der Berichterstattung induziert ist durch die Deutsche Presse Agentur (dpa). Die Mediengattung mit dem mit Abstand höchsten Anteil an selbst recherchierten Nachrichten sind die darbenden Tageszeitungen, die mehr als 70 Prozent ihrer Berichterstattung selbst produzieren, also ohne Nachrichtenagenturmaterial. Da dpa in seiner Gesellschafterstruktur existenziell abhängig ist von den Tageszeitungen, verweisen die Studienautor:innen am Ende auch auf die Fragilität dieser ganzen Konstruktion unseres Mediensystems. Straucheln die Zeitungen, beschädigt das nicht nur die Vielfalt der Berichterstattung, sondern beschädigt am Ende auch den Quasi-Monopolisten dpa und in der Folge unsere gesamte Nachrichteninfrastruktur. Sie sprechen sich deshalb für politische Interventionen zur Stabilisierung des Mediensystems in D aus. Der Niedergang der Tageszeitungen ist also nicht nur ein Indikator für lokale News-Wüsten. Er zeigt auch an, dass die Fähigkeit unseres Mediensystems schwindet, jenseits der Nachrichtenagenturen eigenständig recherchierte Nachrichten zu produzieren. Und er nimmt vorweg, dass früher oder später auch die Infrastruktur der Nachrichtenagentur massiv in Mitleidenschaft gezogen wird und damit letztlich die beiden zentralen Quellen für die unabhängige Nachrichtenproduktion überhaupt.

Expanding News Deserts - UNC Center for Innovation & Sustainability in Local Media

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