Beitrag von Lars Leuschner

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Universitätsprofessor bei Universität Osnabrück

https://lnkd.in/eJZyCSYz Guter Beitrag in der Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Handelfmeter! In der Regel steht tatsächlich, dass es auf die „Absicht“ ankommt. Was Absicht ist, das weiß jeder Jurist, kann man meist nur anhand von objektiven Indizien rückschließen (in den Kopf können wir nicht schauen). Und hier ist die Entwicklung der letzten 10 Jahre meines Erachtens völlig abenteuerlich. Das letzte Handspiel, das auf großer Bühne absichtlich erfolgte, war wohl das Handspiel von Luis Suarez im Viertelfinale der WM 2010, als er in Torwartmanier den Ball vor der Torlinie abfing (mag sein, dass ich etwas übersehe). Im Übrigen lässt sich bei 99 % aller Handspiele, die national und international gepfiffen werden, anhand folgender Indizien ganz klar eine Absicht ausschließen: 1️⃣ Konnte der Spieler überhaupt reagieren (Geschwindigkeit des Balles/Entfernung des Schützen)? 2️⃣ Gab es vor dem Hintergrund, dass ein Handspiel im Strafraum mit einem Elfmeter sanktioniert wird, irgendeinen sinnvollen Grund, den Ball mit der Hand zu spielen? Fast immer sind beide Fragen zu verneinen. Zu 2️⃣: Niemand blockiert eine Flanke, die mit 5 - 10 %-iger Wahrscheinlichkeit zum Tor führt, absichtlich mit der Hand, wenn es dafür einen Handelfmeter gibt (Torwahrscheinlichkeit ca. 75 %). Geradezu paradigmatisch ist das „Handspiel“ des Dänen Andersen im Achtelfinale der EM. Das Problem ist, dass laut Regel ein Handelfmeter auch dann zu pfeifen ist, wenn der Abwehrspieler seine Körperfläche unnatürlich vergrößert hat. Der Jurist würde sagen, dass hier Absicht durch Eventualvorsatz ersetzt wird (er wollte es nicht, hat es aber bewusst und verbotenerweise in Kauf genommen). Das gibt Schiedsrichtern und Kommentatoren scheinbar die Möglichkeit, jeden Handelfmeter zu rechtfertigen. Auch das ist meines Erachtens aber völlig unhaltbar: Jeder Sportwissenschaftler wird bestätigen, dass man nicht mit angelegten Armen rennen, grätschen oder springen kann. Ad hoc fällt mir aus den letzten Jahren kein Fall ein, in dem ein Abwehrspieler einmal seine Körperfläche eindeutig „unnatürlich“ erweitert hat. Warum ich die Entwicklung überhaupt nicht verstehe: Bis in die 00er Jahre gab es aus meiner Sicht kein Problem mit der Handspielregel. Da wurde das mit der Absicht ernst genommen. In meiner Jugend galt ganz klar „angeschossen“ ist kein Elfmeter. Warum hat man den status quo ohne Not geändert? VAR und jetzt auch noch der Chip im Ball haben die Fehlentwicklung ins geradezu Groteske gesteigert (Andersen!). Dass aber der Handelfmeter in einem Sport, in dem oft ein Tor entscheidet, zum „windfall profit“ wird, ist inakzeptabel! Eine Schande ist aus meiner Sicht, dass sich immer nur die Benachteiligten beklagen. Warum nutzt nicht einmal ein Begünstigter die Gelegenheit, den offensichtlichen Unsinn der Regelauslegung anzuprangern? Warum besteht kein Konsens zwischen Sportlern, dass der Fußball auf diese Weise kaputt gemacht wird?

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faz.net

Samii Selant

Head of Marketing @ Löwen Play Digital | ex Hertha BSC | ex ALBA BERLIN

6 Monate

Lieber Lars Leuschner, ich möchte ein ganz wichtige Sache zu bedenken geben: Weder Schiedsrichter, noch (die meisten) Sportwissenschaftler waren selbst je Vollprofis und haben in der Bundesliga gespielt. Meine These dazu: mind. 90% der Profi-Spieler, die aus mehr als 1,5 Metern den Ball an die Hand kriegen, nehmen dies in Kauf. Grundlage ist, dass ich der Meinung bin, dass es sich hier um Profis handelt, die täglich trainieren und im Umgang mit den Regeln und den Schiedsrichtern geschult werden. Mein Vorschlag: Im Profibereich wird jedes Handspiel mit Elfmeter bestraft. Was ist mit angelegtem Arm? Auch hier haben die Profis in den letzten Jahren gelernt, die Arme hinter ihrem Körper zu verschränken.

Gregor Bachmann

Hochschullehrer an der Humboldt-Universität zu Berlin

6 Monate

Vielen Dank - sehr erhellend und spricht mir aus der Seele. Was ich auch nicht verstehe ,ist die neumodische Pedanterie beim Abseits. Manche schön herausgespielte Torchance wird so desavouiert.

Unpopular opinion, but that's football.  Leider habe ich den FAZ-Artikel nicht lesen können (Paywall), aber hier meine Meinung, die ich mir als Spieler, Schiedsrichter, und Zuschauer gebildet habe: Das ahndungswürdige Handspiel war schon immer eine Entscheidung, die kontroverse Diskussionen nach sich gezogen hat. Auch in den 00er Jahren gab es immer wieder diskutable Entscheidungen und in meiner Jugendzeit (vor den 00er Jahren) ist auf dem Bolzplatz auch schon Streit über die Frage entbrannt, ob man nun einen Handelfmeter bekommt und falls nicht, sich den Ball schnappt, beleidigt nach Hause geht und dem Spaß ein Ende bereitet. Jede Regel hat nun mal einen Deutungsspielraum, egal wie vermeintlich objektiv man sie gestaltet. Und jede Regelanwendung erlaubt es, innerhalb dieses Deutungsspielraums abweichende Entscheidungen zu treffen; manchmal zum Vorteil des einen und manchmal zum Nachteil des anderen. Das trifft im Übrigen nicht nur auf das viel diskutierte Handspiel zu, sondern auch andere Fußballregeln, wie bspw. das mit dem Feldverweis zu ahndende grobe Foulspiel.  (Post wird fortgesetzt in Teil II)

Einer der Gründe für den Wandel bei der Regel dürfte sein, dass die Körperabläufe der Profis heutzutage noch geschulter und professioneller sind als in früheren Zeiten. „Angeschossen“ hatte halt auch immer die Prämisse, dass sich ein Spieler nicht absichtlich so hinstellt, um den Schuss zu blocken. So etwas - und das hat man, vermute ich, verstanden - kann man aber trainieren, gerade bei der Verteidigung von Schüssen oder Flanken. Und die „unabsichtliche“ Blockerei per Hand wollte man verhindern. M.E. gibt es nur zwei praktikable Lösungen: Entweder man lässt ebendies einfach zu. Nur wenn es eine eindeutige Bewegung zum Ball gibt (a la Suarez), ist das Handspiel strafbar. Sprich, Spieler können ihren Arm/ihre Hand (gegebenenfalls auch gezielt) einsetzen, um zu blocken, solange sie nicht dem Ball „folgen“. Oder man legt es voll in das Risiko des Verteidigers und verlangt von ihm, wenn nötig in Verteidigungssituationen den Arm anzulegen. Ich persönlich präferiere die erste Variante.

Daniel Bachmann, LL.M.

Rechtsanwalt bei VOELKER & Partner | Lehrbeauftragter für Kapitalgesellschaftsrecht

5 Monate

Die Handspielregel geht auf die IFAB Richtlinien zurück. Ohne dies mit positiver Kenntnis zu wissen, würde ich behaupten, dass bei der englischen Formulierung nicht der deutsche strafrechtliche Absichtsbegriff berücksichtigt wurde. Ich denke, unter Berücksichtigung der Ziff. 2, von Ihnen wie von mir als dolus eventualis erkannt, grundsätzlich vorsätzliches und nicht dolus directus 1. Grades gemeint ist. Ob das im Sinne des Sports ist, müssen andere entscheiden, aber so ist mE die Regel der IFAB juristisch auszulegen.

Christoph Fischer

Die Kundenfischer GmbH versorgt Landingpages, Shops und Leadmagneten von eCommerce Unternehmen mit Traffic von Neukunden.

6 Monate

Als Liebhaber des Fußballs wäre ein Elfmeter gegen Spanien gerecht gewesen. Hingegen will ich für das dänische Handspiel nie im Leben Elfmeter haben. Wie wäre die Unterscheidung in Handspiel mit voller Absicht und Handberührung aus Fahrlässigkeit und dolus eventualis? Volle Absicht = Elfmeter Fahrlässigkeit und dolus eventualis = es kommt darauf an, ob ein Torschuss geblockt wird, dann Elfmeter, oder das Handspiel eine Flanke abfälscht, abblockt oder anderweitig stattfindet, dann indirekter Freistoß. Viele gepfiffene Handspiele sind mit einem Elfmeter viel zu hart und unfair bestraft.

Harald Lange

Prof. Dr.; Chair Sports Science; Founder Institute for Fan Culture; Institute for Motion Research

5 Monate

Brillanter Post! Meine These: Das Bedürfnis nach immer neuen und differenzierteren Regeln erwächst aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus. Man folgt der Illusion das Spiel objektiver machen zu wollen. Gleichzeitig wertet man die Schiedsrichter ab. Im Grunde sollen sie innerhalb dieses technokratischen Systems nur noch Regeln anwenden… Amüsant ist, dass wir seit Jahren beobachten das das nicht funktioniert und dennoch niemand auf die Idee kommt diese Entwicklung endlich zu stoppen!

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