Beitrag von Sebastian Dalkowski

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Reporter beim Handelsblatt

Wie reagieren wir geisteswissenschaftlich studierten Linken, wenn Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnt, also außer mit unserem Therapeuten darüber zu sprechen? Natürlich erst mal lesen. Lesen können wir. Aufs Lesen haben wir uns schon immer zurückgezogen, wenn am Himmel ein Unwetter dräute. Deshalb habe auch ich mir, als der Sieg des Horrorclowns feststand, diverse Bücher bestellt. Ich wollte herausfinden: Wie konnte das alles passieren und was ist jetzt zu tun? Falls überhaupt noch etwas zu tun bleibt. Heute möchte ich von meiner ersten Lektüre berichten: Arne Semsrott, „Machtübernahme: was passiert, wenn Rechtsextremisten regieren – eine Anleitung zum Widerstand“. Der Gründer von Fragdenstaat.de beschreibt darin ziemlich genau das. Die ersten Seiten sind das reinste Horrorszenario. Es geht darum, wie die AfD in der Regierung, ob als Chef oder Mehrheitsbeschaffer, ihre Ressorts umkrempelt. Und wie sie erst mal machen kann. Denn wenn Menschen ohne Anstand in der Regierung sitzen, könnte sich herausstellen, dass die Beschränkungen gar nicht so stabil sind, bloß bisher einigermaßen respektiert worden sind. Semsrott schreibt, wie sich einzelne Institutionen gegen die AfD in der Regierung wehren können, Zivilgesellschaft, Beamte, Gewerkschaften, Justiz, Wirtschaft und Medien. Aber er zeigt auch, wie begrenzt die Möglichkeiten zum Widerstand sind. Und genau das nehme ich von der Lektüre mit: Wie schwer es wird, sich gegen die AfD zu stellen, wenn die Partei erst mal in der Regierung sitzt. Weshalb das Buch, so lese ich es, vorrangig zum Widerstand vor, nicht nach der Regierungsübernahme der AfD aufrufen. Denn dann wird’s sehr sehr schwer. Jaja, auch mir als Geisteswissenschaftler ist klar, dass uns Bücher in dieser Situation nur bedingt weiterhelfen. In Zeiten, in denen jemand, gegen den alle Fakten sprechen, US-Präsident werden kann, helfen sie möglicherweise gar nicht. Der Journalist Lenz Jacobsen räumte neulich auf Zeit Online ein: Das Zeitalter der liberalen Demokratien könnte vorüber sein. Der Text ist so deprimierend, dass er ihm sogar eine Warnung voranstellt: „Dieser Text übernimmt keine Haftung für seine möglicherweise deprimierende Wirkung. Er wird, ausnahmsweise, weder zuversichtlich sein noch konstruktiv.“ Dann schreibt er: „Wir befinden uns bereits mitten im Niedergang der liberalen Demokratie. Und womöglich ist sie nicht mehr zu retten.“ Da ist mit Büchern auch nicht allzu viel auszurichten. Ich glaube aber, dass Bücher aus einem anderen Grund wichtig sind. Nicht, weil wir danach schlauer sind. Sondern weil sie verhindern, dass wir nicht auch noch selbst verrückt werden. Oder uns ins Private verkriechen. Lesen ist eben auch Therapie. Wenn alle verrückt werden, sind wir wirklich verloren. (Danke für den Buchtipp, Daniel Drepper)

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Thorsten Firlus

Redakteur Wochenende

1 Woche

Aber vlt eher Bücher für mehr Zuversicht?

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