Über Brexit, Banken und Schnäppchen

Über Brexit, Banken und Schnäppchen

 

Ein Gastbeitrag von Philippe Brugère-Trélat, Manager des Franklin Mutual European Fund

Werden sie bleiben oder gehen? Die Wähler in Großbritannien werden diese Frage am 23. Juni beantworten. Sie entscheiden in der Volksabstimmung darüber, ob ihr Land weiterhin Mitglied der Europäischen Union bleiben oder eigene Wege gehen wird. Philippe Brugere-Trelat, Portfoliomanager von Franklin Mutual Series, erklärt seine Meinung darüber, ob der „Brexit“, also der Austritt Großbritanniens aus der EU, stattfinden wird, und was die möglichen Auswirkungen auf britische Unternehmen wären. Er gibt außerdem eine Übersicht über die ökonomische Lage in anderen Ländern Europas und konzentriert sich dabei insbesondere auf die schwierige Situation der Banken in der Region.

Philippe Brugere-Trelat

Philippe Brugere-Trelat
Executive Vice President
Portfolio Manager
Franklin Mutual Series

Der mögliche Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU), kurz „Brexit“, bedeutet ein Risiko und bereitet Sorgen. Derzeit gehe ich jedoch davon aus, dass das Referendum am 23. Juni die Abstimmung im Jahre 2014 über die Unabhängigkeit Schottlands spiegeln wird: Wenn die Leute in der Wahlkabine stehen, werden sie, so glaube ich, vernünftig sein und entscheiden, am Status Quo festzuhalten. Das Lager derjenigen, die in der EU bleiben wollen, wird wahrscheinlich die Mehrheit bilden. Es kann allerdings knapp werden.

Meine Prognose hat jedoch einen entscheidenden Vorbehalt: Sollte es in Großbritannien in den bis zur Abstimmung verbleibenden Tagen zu einem destabilisierenden Ereignis wie einem Terroranschlag kommen, sind alle Prognosen hinfällig. Bei Eintritt einer derartigen Tragödie halte ich es für möglich, dass das Anti-EU-Lager die Abstimmung deutlich gewinnen wird, weil die britischen Wähler einen Terroranschlag als einen Angriff auf ihre Souveränität betrachten könnten.

Falls sich die britischen Wähler für einen Austritt aus der EU entscheiden, erkenne ich zwei kurzfristige Konsequenzen: Erstens rückt meines Erachtens die Frage nach der Unabhängigkeit Schottlands wieder in den Vordergrund, und eine Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich wäre in naher Zukunft wahrscheinlich. Viele Schotten sähen dann gerne ihr Land als unabhängig vom Vereinigten Königreich und als Mitglied der Europäischen Union. Wenn die Wähler am 23. Juni die Mitgliedschaft in der EU aber bestätigen, schert Schottland nicht aus.

Zweitens würde unserer Einschätzung nach die Unsicherheit nach einer Wahl für den Austritt vermutlich zu einer Abwertung des Pfund Sterling um satte 10% bis 15% führen. Das wäre eine deutliche Abwertung, die einen Einfluss auf die britische Wirtschaft und ihre Unternehmen haben dürfte.

Längerfristig müsste eine unabhängige britische Regierung wohl Vereinbarungen, die auf etwa 82.000 Seiten getroffen wurden, neu verhandeln. Das würde lange dauern, wahrscheinlich Jahre, und niemand weiß, was am Ende dabei herauskäme. Allerdings glaube ich, dass die Europäische Union solche Neuverhandlungen schwierig gestalten würde. Denn sie würde verhindern wollen, dass andere Austrittskandidaten den Eindruck gewinnen könnten, ein Austritt aus der EU sei ein Kinderspiel.

Ein möglicher Brexit war für uns in den letzten Monaten ein Hauptthema. Wir haben vor diesem Hintergrund alle unsere Anlagen in Großbritannien erneut unter die Lupe genommen. Allerdings haben wir unsere Einschätzungen für Investments in Großbritannien deshalb nicht völlig geändert. Im engen Kontakt mit den Unternehmensführungen haben wir „die Segel getrimmt“ und sie gefragt, wie sie reagieren wollen, falls es doch zum Brexit kommen sollte.

Unserer Einschätzung nach würde eine Abwertung des Pfund Sterling für Unternehmen, die vor allem in Großbritannien aktiv sind – und hier insbesondere Banken und Bauunternehmen – eine Herausforderung bedeuten. Denn Ihre Gewinne stammen hauptsächlich aus Geschäften in Großbritannien, und für die britische Wirtschaft ist im Falle eines Brexit ein verlangsamtes Wachstum zu erwarten. Dies vor allem, weil im Land das Geschäftsklima leiden und die Investitionen sowohl im Land als auch aus dem Ausland zurückgehen würden.

Umgekehrt dürften britische Unternehmen, die jedoch hauptsächlich Auslandsgeschäfte machen, vom erwarteten Wertverlust des Pfund Sterling profitieren. So haben wir im Portfolio ein großes Ölunternehmen, das seine Erträge in US-Dollar erwirtschaftet und eigentlich nur den Firmenhauptsitz im Vereinigten Königreich hat. Ein anderes Unternehmen mit wesentlichen Auslandsaktivitäten ist ein großer Pharmakonzern, der ebenfalls von einer Abwertung des Pfund Sterling profitieren könnte, da die im Ausland erwirtschafteten Gewinne nach Umrechnung in Pfund steigen könnten.

Schlüsselfaktoren für die Erholung

Sieht man einmal vom möglichen Brexit und den Folgen ab, verzeichnete die Eurozone in diesem Jahr bisher eine gemäßigte Erholung. Hauptfaktor waren die Konsumausgaben, die sich auch im hohen Verbrauchervertrauen ausdrückten. Einigermaßen überraschend stieg das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone im ersten Quartal 2016 um 0,6%. Dies entspricht auf Jahresbasis einem Wachstum um 2,4%. Das bedeutet nicht, dass ich unbedingt von einem Wachstum von 2,4% im Jahr 2016 ausgehe, aber die Quartalsziffer belegt, dass in der Region tatsächlich ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen ist.

Ich glaube, dass das weitere Wachstum in der Eurozone vor allem von steigenden Investitionsausgaben getragen werden muss. Es gab Zeichen der Verbesserung, aber es zeichnet sich noch kein nachhaltiger oder dauerhafter Trend ab. Anders als solche in den USA hängen europäische Unternehmen bei der Finanzierung ihres Wachstums mehr von Banken als von den Kapitalmärkten ab. Dass die Banken Kredite geben können, ist für vermehrte Investitionsausgaben also entscheidend. Viele europäische Banken, insbesondere in Italien, sind in ihren Bilanzen weiterhin von der großen Zahl notleidender Kredite beeinträchtigt. Das schränkt die Fähigkeit der Banken ein, neue Kredite zu gewähren.

Um das Kreditvergabegeschäft der Banken zu fördern, hat die Europäische Zentralbank (EZB) zweite, gezielte längerfristige Maßnahmen für die Refinanzierung ergriffen. Das im Juni anlaufende Programm erlaubt den Banken, bis zu 30% ihrer Kreditvergaben (außer für Hypotheken) für Unternehmen und Haushalte mit minus 40 Basispunkten (-0,4%) zu refinanzieren. Banken werden also im Grunde dafür bezahlt, sich zu verschulden, um ihren Kunden Kredite zu geben.

Die Banken haben von den jüngsten Maßnahmen der EZB wie den negativen Refinanzierungszinsen nicht profitiert. Das schmälert die Nettozinsspanne der Banken und daher auch ihre Wirtschaftlichkeit. Geschäftsführer europäischer Banken haben uns gesagt, dass sie kurzfristig mit negativen Zinsen zurechtkommen werden, aber wenn die negativen Zinsen 18 Monate oder gar länger bestehen, drückt das wahrscheinlich auf die Gewinne der Banken.

Das Finden von Werten

Angesichts der Unsicherheiten in Bezug auf die europäischen Banken verwundert es nicht, dass sie die Ursache der Volatilität sind, die man in diesem Jahr an den Aktienmärkten erlebt hat. Wir glauben jedoch, dass diese Titel jetzt äußerst attraktiv bewertet sind. Chancen sehen wir im Finanzsektor. Wir bevorzugen hier zurzeit Versicherungsgesellschaften vor Banken, da bei ersteren Emittenten die Kapitalkennzahlen unserer Ansicht nach besser sind. Außerdem glauben wir, dass ihre Systeme des Risikomanagements solider und in der Vergangenheit besser belegt sind. Ferner haben viele Versicherer Nebenwerte im Bestand, die begonnen haben, sich auszuzahlen – oder das tun könnten.

Im jetzigen Umfeld des langsamen Wachstums bevorzugen wir europäische Unternehmen, die unserer Ansicht nach wahrscheinlich von der – wenn auch nur verhaltenen – Konjunkturerholung in der Region profitieren dürften. Daher haben wir den Schwerpunkt auf Werte gelegt, die als sehr zyklisch gelten. Dazu gehören die Bereiche Einzelhandel, Freizeitindustrie, Automobilindustrie und ihre Zulieferer sowie Telekomdienstleistungen.

Wenn wir sagen, dass wir Werte in einem bestimmten Sektor finden, heißt das jedoch nicht, dass wir für alle Unternehmen in diesem Sektor optimistisch sind. Wir sind der Titelauswahl verschrieben und investieren nach dem Bottom-up-Verfahren. Wir halten Ausschau nach Unternehmen, die zu Marktpreisen gehandelt werden, die wir gemessen am inneren Wert für zu gering erachten.

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