ÜBERALL - NUR NICHT HIER...
Die Pläne für das neue Blockrandquartier für Geschosswohnungsbau mit 1500 Wohneinheiten liegen seit langem fertig in der Schublade. Und derzeit sieht es so aus, als würden sie dort bis auf Weiteres auch liegen bleiben. Denn mit der neuen Koalition im Frankfurter Stadtrat wuchs auch die Skepsis am Bauprojekt Günthersburghöfe. Das bedeutet, dass knapp 500 dringend benötigte Sozialwohnungen vorerst nicht gebaut werden.
Jetzt ist eine Diskussion entbrannt, wie es soweit kommen konnte. Die Grünen-Fraktion hatte ihr Veto eingelegt wegen ökologischer Bedenken. In Teilen der Frankfurter Stadtverwaltung und der Bauindustrie rätselt man, ob die Absage an die Höfe nicht anders motiviert sein könnte. „Das war ein vorbildlich geplantes Projekt, mit sozialem Wohnungsbau, hohen ökologischen Vorgaben und der nötigen Infrastruktur. Wenn selbst ökologische Vorzeigeprojekte scheitern, sind Umweltbedenken dann nicht vorgeschoben?“, sagte der Vorstandschef des Frankfurter Bauunternehmens Alea, Thomas Reimann, der Frankfurter Rundschau.
Auch in der Stadtverwaltung gibt es Stimmen, die den Grünen hinter vorgehaltener Hand vorwerfen, es ginge ihnen nur darum, die eigene Wählerschaft nicht zu vergrätzen. Das Nordend ist eine der Hochburgen der Frankfurter Grünen. Für die Stadt ist es so etwas wie der Prenzlauer Berg für Berlin. Ein Stadtteil, in dem viele gutverdienende Akademiker-Familien mit ökologischem Bewusstsein leben. Menschen mit guten Jobs, die es sich leisten können, die sozialen Brennpunkte von Städten zu meiden. Ihnen wird jetzt durch die Blume vorgeworfen, sie würden keine Arbeiterfamilien oder Migranten in unmittelbarer Nachbarschaft wollen.
Bei den Grünen, inzwischen stärkste Ratsfraktion in der Stadt, wehrt man sich gegen solche Zwischentöne. „Der Vorwurf lenkt davon ab, dass mit dem vorliegenden Bebauungsplan eine innenstadtnahe grüne Oase verloren gegangen wäre. Da mögen gewisse einzelne Aspekte des Projektes noch so ökologisch Sinn ergeben haben.“ Eine komplette Absage an das Baugebiet bedeute dies keinesfalls, heißt es, lediglich eine Reduzierung auf die bereits versiegelten Flächen. Die Grünen befürworten stattdessen den Bau von Sozialwohnungen in anderen Quartieren.
Aber ist es wirklich so, dass Besserverdienende sich dort gegen eine soziale Vermischung sträuben, wo sie selber leben? Oder sind ökologisches Bewusstsein und rigoros konsequente Klimapolitik nicht tatsächlich glaubwürdige Gründe? Not in my backyard, oder kurz: NIMBY, heißt das Phänomen. Es beschreibt den Widerstand von Anwohnern bei der Umsetzung nicht nur des sozialen Wohnungsbaus. Auch Windkraftanlagen, Umgehungsstraßen, Eisenbahnlinien oder Bauten zur industriellen Entwicklung eines Standorts sind davon betroffen. Das Paradoxe an NIMBY: Die Anwohner halten die Motivation für die Durchsetzung eines Projektes oftmals für gut und richtig. Aber eben nicht dort, wo sie selbst wohnen: Not in my backyard!
„Man stößt bei jedem größeren Bauprojekt immer und überall auf Widerstand“, sagt Günter Vornholz, Professor für Immobilienwirtschaft an der EBZ Business School in Bochum. Die Gründe dafür seien vielfältig und können auch auf der Ablehnung einer sozialen Mischung beruhen. „Aber die Wenigsten werden öffentlich sagen, dass sie sozialen Wohnungsbau in ihrer Nachbarschaft ablehnen, weil sie etwas gegen sozial schwachen Zuzug haben“, sagt Vornholz.
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Ohnehin führt der Begriff „sozial schwach“ in die Irre: In vielen Ballungsräumen sind mehr als die Hälfte der Einwohner berechtigt, in geförderten Wohnungen zu wohnen. Je nach Bundesland sind viele von ihnen nicht etwa erwerbslos– sondern finden sich in gering bezahlten Berufen wie etwa Kassiererinnen oder Altenpfleger oder es sind Familien, wo nur eine Person erwerbstätig ist. Bundesländer wie Bayern bieten deshalb unterschiedliche Förderstufen an, die automatisch eine breite soziale Mischung garantieren.
Die Größe eines geplanten Projekts spiele zwar auch eine Rolle, was die Vehemenz des Widerstandes angeht. Aber Proteste gegen Neubauten seien auch bei deutlich kleineren Dimensionen nicht ungewöhnlich. Günter Vornholz kennt das aus seinem eigenen Wohnort Lüdinghausen im nordrhein-westfälischen Münsterland. Dabei geht es lediglich um 30 Grundstücke in einer gut bürgerlichen Wohngegend, von denen ein Teil mit Mehrfamilienhäusern bebaut werden sollen. „Jetzt gibt es Diskussionen darüber, wieviele der Objekte als Sozialwohnungen entstehen sollen“, sagt Vornholz.
Der Ökonom sieht die Politik allerorts in einem Dilemma. Die Bundesregierung hat sich laut Koalitionsvertrag darauf geeinigt, jährlich 400.000 Wohnungen entstehen zu lassen, 100.000 davon sozial gefördert. Zu diesem Zweck sollen die Mittel für den sozialen Wohnungsbau und die soziale Eigenheimförderung erhöht werden. Ökologisch wäre die sogenannte Nachverdichtung bereits versiegelter Flächen die beste Lösung, doch praktisch wird das kaum umsetzbar sein. „Die Realisierung dieser Zahlen ist nur mit einer Mischung von Nachverdichtung und der Erschließung von Neuland möglich“, sagt Vornholz. Doch wie in Frankfurt oder Lüdinghausen ist die politische Umsetzung ein Drahtseilakt. Wird sozial gebaut, protestieren die einen. Wird nicht gebaut, protestieren die anderen. Wähler aber sind sie alle.
Soziale Durchmischung ist jedoch ein elementarer und traditioneller Bestandteil der gesunden Stadtentwicklung. Zur Gründerzeit war es in den großen Städten völlig normal, dass in den vorderen Prachtbauten das Bürgertum lebte, während in den Hinterhäusern sozial Schwächere Platz fanden. So wurde einer Ghettoisierung vorgebeugt und der soziale Zusammenhalt gestärkt. „Heute gibt es Negativbeispiele wie Duisburg-Marxloh oder Köln-Chorweiler, wo die soziale Spaltung bereits von Geburt an gefördert wird“, sagt Vornholz.
Die Bildung von Ghettos gewinnt eine zusätzliche Dynamik, weil europäische Binnenmigration Neuankömmlinge in Deutschland genau dorthin zieht, wo bereits Freunde oder Verwandet leben. Umso wichtiger sei es, dass wir die soziale Durchmischung als wirksames Instrument zur Integration aller gesellschaftlichen Schichten und Ethnien begreifen, glaubt Vornholz. „Dann haben wir ein wirksames Mittel, um ungeliebten Trends entgegenzuwirken.“
Artikel von Marcel Grzanna.
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