1. Augustrede: Frieden und direkte Demokratie über Beziehungen zueinander

1. Augustrede: Frieden und direkte Demokratie über Beziehungen zueinander

 

Liebe Festbesucherinnen und Festbesucher

 

Auch dieses Jahr haben die Ereignisse in den Wochen vor der 1. Augustfeier mir sehr zu schaffen gemacht:

Attentat in Nizza, Amoklauf in München, Putsch in der Türkei, beschlossener BREXIT, etc. Mir scheint, als nähmen Geschwindigkeit und Kadenz, mit der solche Schläge sich ereignen, ständig zu, beinahe schwindelerregend ist das Tempo. J'étais Charly, je suis Niçois und ich bin wohl auch etwas Münchner, rasant wechsle ich meine Solidaritätsidentifikationen, was zum bereits erwähnten Schwindel beiträgt. Genauso wie unsere digitale Welt, in der ich mich zwar meine noch zu behaupten, obwohl ich noch keine Pokémons gejagt habe. In Anbetracht dieser düsteren Realitäten und der sich in ähnlichen Grau- bis Schwarztönen abzeichnenden Zukunft, stellt sich mir schon die Frage, welche Worte ich denn an diesem 1. August an Sie und v.a. an die Jungbürgerinnen und Jungbürger richten will. Nach den Ansprachen, werden wir nämlich nachher die 1998 Jahrgänge in die Runde der Stimmberechtigten aufnehmen. Dies sollte ja eigentlich mit einer Motivation einhergehen, unsere Gesellschaft und Welt aktiv mitzugestalten und diese nicht bereits vor dem Startschuss schon abzuwürgen. So viel steht fest, es wird nicht einfacher, sich in unserer Welt zurechtzufinden und dennoch lohnt es sich, wie das Erfolgsmodell Schweiz zeigt – das quasi mit dem Slogan "in ihren Diensten seit 1291" wirbt. Wir können stolz und glücklich sein, an einem Ort des Wohlstands und des Friedens leben zu dürfen. Und auch Dornach als Gemeinde, unsere Gemeinde, reiht sich bestens in diese Aufzählung von wohlständigen Eigenschaften ein. Sowohl unser Empfinden, als auch das diesjährige "Gemeinderating der Weltwoche" attestieren uns eine ausserordentliche Lebensqualität.

Worin liegt denn aber das Rezept der Schweiz, unserer Region und Dornachs, dass es uns so gut geht und was können wir dazu beitragen, dass dies so bleibt oder sich gar noch ein wenig verbessert?

Aus meiner Sicht sind es die folgenden vier Zutaten die unser "Rezept" so bekömmlich und gesund machen:

 

Zutat 1: Starkes/funktionierendes soziales Gefüge

Zutat 2: Ziemlich intakte Umwelt und Natur

Zutat 3: Sich erneuernde, ziemlich innovative Wirtschaft mit Bezug zum Ort

Zutat 4: unsere direkte Demokratie

 

im Einzelnen:

  1. Die gelebte Chancenähnlichkeit in unserer Berufs-, Ausbildungs- und Freizeitwelt trägt sehr viel zur Stabilität unserer Gesellschaft bei: beiden Geschlechtern, vielen Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Kulturen, aber auch den verschiedenen Generationen wird grundsätzlich die Möglichkeit gegeben, ihre Ansprüche in mancher Hinsicht abzudecken. Für Dornach heisst das:

  • dass alle eine solide Ausbildung unabhängig von Herkunft und Möglichkeiten absolvieren können und die integrative Schule dadurch mehr als nur ein Schlagwort aus der Pädagogik ist. Spezielle Förderung und Bildungsangebote im benachbarten Kanton sind Bestandteil der Bildungslandschaft Dornachs.

  • Es gibt spezialisierte Institutionen für die Kleinen, etwa KITAS und die gaaanz Grossen, z.B. Altersiedlungen und Altersheime.

  • Den Schwächsten oder vom Glück Benachteiligen steht die staatliche Unterstützung in Form von Sozialhilfe, AHV-, IV- und Ergänzungsleistungen zur Seite.

  • Alteingesessene und Neuzuzüger können in einer Vielzahl von Vereinen ihrem Hobby frönen.

 

All diese Errungenschaften bieten immer wieder Anlass für Diskussionen und müssen gemeinsam immer wieder ausgehandelt werden, damit das Gesamtgefüge funktionsfähig bleibt.

 

Mein Wunsch wäre, gemeinsam und miteinander dazu Sorge zu tragen und in Beziehung zu einander zu bleiben. Es ist ein aktiver Erhalt, der nicht einfach gegeben ist, sondern harte Arbeit bedingt. Und wir sollten die Solidarität und den Willen zur aktiven Mithilfe, die viele in Anbetracht der Flüchtlingswellen verspürt haben, auf weitere Unterstützungsbedürftige und auf einer zeitlich weniger beschränkte Weise leben.

 

  1. Wir leben in einem Land, einer Region und einer Gemeinde, in der die Umwelt in vielerlei Hinsicht noch in einem recht guten Zustand ist und zu unserem Wohlergehen einen wesentlichen Beitrag leistet:

  • Etwa wenn wir uns durch die Gemeinde bewegen, beim Wandern, Spazieren, Joggen oder Biken die uns umgebende Natur entdecken und geniessen können.

  • Wo jene, die sich in der Birs ein Bad genehmigen, Spuren des Bibers entdecken können oder sich den ornithologisch Interessierten eine beachtliche Liste von Brutvögeln präsentiert.

  • Auch legen wir Wert auf energie- und ressourcenschonende Beschaffungen und Sanierungen, so etwa haben wir den Ausbau der Verwaltung in energiesparender Bauweise und die bei der Beschaffung neuer Fahrzeuge auf modernen Abgasstandards geachtet.

  • Auf Märkten und Flohmärkten die Nähe zur Kundschaft gepflegt und Waren im Nutzungskreislauf gehalten werden.

  • Das Thema Anpassung an die Klimaveränderungen nehmen wir indirekt ernst, in dem uns ein gutes ÖV Angebot wichtig ist, bei Sanierungen in Nachbarschaft zu Gewässern auf ein natürliches Gefüge geachtet wird oder indem wir Neophyten aktiv beobachten und wo nötig eindämmen.

 

Mein Wunsch hier wäre, die Umwelt selbstverständlicher für unsere Nachkommen zu schonen, in dem wir sie als festen Bestandteil unseres Handelns mit berücksichtigen. Schliesslich werden mit umweltschützendem Handeln mittel- bis langfristig auch immer die Finanzen geschont.

 

  1. Unsere nationale, regionale und lokale Wirtschaft läuft trotz schwierigem Umfeld nach wir vor mehrheitlich gut.

  • In Dornach fristet die Tätigkeit Arbeiten eher einem Stiefmütterchendasein, da verhältnismässig wenige Arbeitsplätze vor Ort vorhanden sind. Dadurch präsentiert sich Dornach in weiten Teilen als typische Schlaf- und Freizeitgemeinde.

  • Der Steuerfuss ist im kantonalen und regionalen Vergleich attraktiv und auch andere strukturelle Kennzeichen, wie etwa Zentrumsnähe, Erreichbarkeit, etc. der Gemeinde präsentieren sich positiv.

  • Lokale Anbieter erbringen eine doch noch recht reichhaltige Palette an Produkten und Dienstleistungen.

  • Auch die Gemeindeverwaltung entwickelt sich hin zu einer kunden- und dienstleistungsorientierten Anlaufstelle für die Belange und Anliegen aus der Bevölkerung.

 

Mein Wunsch besteht darin, dass wir zu unseren Unternehmen Sorge tragen, damit diese auch in Zukunft ein Auskommen finden können. Das bedeutet u.a., dass wir vielleicht in unserem Konsumverhalten das Gewicht etwas stärker auf die lokalen Anbieter verschieben und das eine oder andere Mal im Dorf einkaufen gehen und dass Kriterien für die Beschaffung von Waren und Leistungen immer auch die Betriebe vor Ort die Möglichkeit erhalten, sich zu präsentieren. Daneben sollen wir eine vernünftige Planung der Infrastruktur und deren Erneuerung festlegen, um keine untragbaren Hypotheken für unsere Nachkommen zu schaffen. Die Organisation der Gemeinde bleibt ebenfalls ein Dauerthema, wir arbeiten weiterhin daran, aus unserer Verwaltung einen modernen Betrieb im Dienste der Kundinnen und Kunden, der Bevölkerung zu formen.

Auch müssen wir dem Thema Arbeit im Rahmen der Ortsplanungsrevision planerisch einen gebührenden Platz einräumen, um Möglichkeiten für die wirtschaftliche Entwicklung zu schaffen.

 

  1. Und schliesslich quasi das Rückgrat der obigen drei Punkte Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft besteht aus der direkten Demokratie, dem eigentlichen Juwel unserer schweizerischen Gesellschaft. Und wie es sich mit den Juwelen so verhält, wir müssen dazu ganz besonders Sorge tragen. Ich bin auch fest davon überzeugt, dass dies mitunter ein Grund ist, weshalb wir bisher vor den eingangs erwähnten Gräueltaten verschont geblieben sind.

  • Wir haben sie institutionalisiert, unsere direkte Demokratie, etwa in Abstimmungen, Wahlen, mindestens zwei jährlichen Gemeindeversammlungen.

  • Mitwirkungen, die wir im Rahmen der Ortsplanungsrevision vorgesehen haben und eine breite Palette von Veranstaltungen und Einbringungsformaten umfassen wird, die alle der Frage dienen sollen, wie sich unsere Gemeinde in den nächsten 15-20 Jahren entwickeln soll.

  • Auch die Tempo 30- Zonen sehe ich als eine Art Massnahme direkter Demokratie: alle dürfen fahren, aber halt einfach sehr viel rücksichtsvoller.

  • Die direkte Demokratie zeigt sich bei uns auch in den Vereinen, die nach sehr ähnlichen, in Statuten festgelegten Spielregeln funktionieren und dadurch eine Art kleine Zellen der direkten Demokratie darstellen, die rege gepflegt werden, in Dornach sind das über 35 Vereine.

 

Mein Wunsch ist, dass wir zu diesem Kulturgut Sorge tragen und dem Mammon des Populismus, etwas à la US-Trump entschlossen entgegentreten und miteinander und gemeinsam unsere direkte Demokratie pflegen und leben. Eine bessere Versicherung für unsere Gesellschaft gibt es aus meiner Sicht nicht, die Integration ins Ganze und die Beteiligung machen die Schweiz aus und haben uns diese breite Palette an Erfolgen mitgebracht, die wir auch in Zukunft pflegen müssen. Unsere Demokratie soll nicht zu einer Demokratur verkommen, an der sich nur noch ein paar wenige beteiligen. Umso stärker freut es mich, die Fackel der direkten Demokratie heute an einen weiteren Jahrgang weitergeben zu können.

 

Auch in Zukunft wird eine unserer Hauptaufgaben darin bestehen, die Gleichgewichte miteinander auszutarieren, um tragfähige Lösungen zu finden und unsere Gemeinde, unser Region und unser Land für die immer neuen Herausforderungen bereit zu machen. Das geht aus meiner Sicht nur gemeinsam und miteinander und unter Wahrung der Bedürfnisse der Zukunft und der kommenden Generationen. Dabei müssen auch immer wieder Tabus angesprochen werden und die Komfortzone, in die wir uns weit zu häufig zurückziehen, verlassen werden. Dies kann nicht immer zur Zufriedenheit aller sein, sondern muss im Abwägungsprozess geschehen und mittels Kompromissen und der Suche nach tragfähigen Lösungen erfolgen. Es ist primär Beziehungsarbeit zwischen uns und zwischen Gruppierungen in unserer Gesellschaft zu leisten. Damit ist es eigentliche Friedensarbeit, die uns in Zukunft noch verstärkt beschäftigen wird und die uns auch weiterhin den Halt und die Sicherheit geben wird, die wir so gut spüren.

 

Ich wünsche Ihnen allen eine schöne und friedliche Bundesfeier in gemütlicher Runde und viel Erfolg bei Ihrer Beziehungsarbeit, es lohnt sich!

 

 

Christian Schlatter, 1. August 2016

 

Bild: (c) www.hotelschuetzen.ch

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