5 Learnings aus den letzten 10 Monaten in virtuellen Meetings
Geht doch! Veränderung ist also möglich. Innerhalb von zehn Monaten hat ein Virus geschafft, dass wir uns eine neue virtuelle Kommunikations- und Begegnungskultur erarbeiten. Und die meisten von uns haben eine steile Lernkurve hingelegt. Die Business-Bühne ist zumindest punktuell ein virtueller Ort geworden und hat unsere Art zu kommunizieren um ein paar Spielarten bereichert.
Virtuelles Camera Acting als Bereicherung?
Ja, ich sage bewusst „bereichert“. Auch und gerade weil wir nach acht Stunden „Camera Acting“ und Kommunikation via Bildschirm merken: ganz schön anstrengend und irgendwie unbefriedigend diese neue Realität der Kommunikation!
Worin genau besteht also die Bereicherung? In dem Versuch, Nähe zu schaffen in einem Medium, das per se Distanz kreiert, besinnen wir uns auf eine zentrale Fähigkeit:
Unsere Emotionale Intelligenz wird in der virtuellen Distanz zum entscheidenden Wirkfaktor.
Ein paar Beobachtungen zu den Wandlungen des Homo Empathicus in der kommunikativen neuen Realität:
1. Die Professionalisierung in Sachen Camera Acting.
Viele haben sich in ihrer Performance vor der Kamera deutlich professionalisiert. Anfangs hatten virtuelle Meetings meist den Charakter von PowerPoint gestützten Telefonkonferenzen. Inzwischen gehört die aktivierte Kamera – solange es die Bandbreite zulässt - zum guten Ton.
Inzwischen haben auch (fast) alle verstanden, dass nur der Blick in die Kamera (und nicht auf den Bildschirm mit all den Gesichtern) dazu führt, Kontakt mit dem Publikum aufzubauen.
2. Alles ist Pitch – kürzer, knackiger, konzentrierter.
Meetings sind komprimierter und werden besser vorbereitet. Der Aufritt auf der virtuellen Businessbühne lässt viele Beteiligte sehr viel fokussierter und zielorientierter kommunizieren als im Präsenz-Meeting.
Botschaften sind gut vorbereitet und kommen schnell zum Punkt. Die Technik des pyramidalen Erzählens hat Hochkonjunktur. Langatmige, diffuse Herleitungen sind out, weil sie die Aufmerksamkeitsspanne des virtuellen Publikums maßlos überstrapazieren. Und wer es trotzdem nicht lassen kann, wird gnadenlos abgestraft – mit unbeteiligter Stille oder stummen Parallelbeschäftigungen aller Art.
3. Die Energie von Co-Kreation und Kollaboration.
Positive Energie und Nähe entsteht im virtuellen Raum nur dort, wo Angebote zum Dialog gemacht werden. Im Gespräch und aktiven Austausch zeigen wir unsere besten Fähigkeiten: Zum Fragen stellen. Zum Zuhören. Zur Co-Kreation. Zur gemeinsamen Entwicklung von Ideen.
Sicherlich, das braucht Moderations-Kompetenz und den versierten Umgang mit entsprechenden Kollaborationstools. Beides hat sich an vielen Stellen in kürzester Zeit entwickelt. Und in vielen Unternehmen sind die Mitarbeitenden in ihren Skills und im Einsatz von Tools sogar viel mutiger und weiter als die IT-Abteilungen in Analyse und technischer Implementierung der entsprechenden Software.
4. PowerPoint als Kannibale in Sachen Aufmerksamkeit.
Die nahbare Vermittlung vieler Botschaften gelingt meist direkt in die Kamera und auf der Tonspur viel besser. Der reflexhafte Klick auf den Bildschirm-Teilen-Button ins Slide-Deck ist in vielen Fällen kontraproduktiv. Das haben inzwischen viele erkannt.
Je mehr Routine wir in der Herstellung von Nähe in der virtuellen Distanz entwickeln, desto deutlicher wird, wie sehr PowerPoint als Präsentationsmedium zum Kannibalen werden kann. Begleitetes Lesen von Textwüsten und vollgepackte Slides zieht die Aufmerksamkeit weg von mir. Ich habe als Präsentatorin/Moderatorin so gut wie keine Zugriffschance mehr auf mein Publikum.
PowerPoint dient deshalb oft nur noch als unsichtbare Strukturhilfe und als Leseversion bzw. Dokumentation, die im Nachgang verschickt wird.
5. Die Renaissance des Smalltalks.
Die Suche nach emotionaler Nähe im virtuellen Raum lässt ein Bedürfnis nach informellen Kommunikationsformaten wieder aufleben. Der Smalltalk zum Check-In eines virtuellen Meetings. Die virtuelle Kaffeepause zwischendurch. Die gemeinsame achtsame Morgen-Meditation oder die sportlich-ergonomische Yoga-Übung in der virtuellen Mittagspause.
Dabei handelt es sich nicht um oberflächlich-formelle Konvention, sondern um ein ehrliches Angebot für soziale Nähe. Und das bedeutet, sich von Mensch zu Mensch nahbar zu machen, etwas von sich preis zu geben und miteinander zu teilen.
Für viele werden diese im analogen Business-Kontext als entbehrliches Goodie, als inhaltsleeres Gedöns empfunden. Im virtuellen Raum gibt uns das erst das Gefühl, in Austausch mit anderen getreten zu sein.
Und vielleicht ist genau das die größte Veränderung und Erkenntnis in Zeiten des Virus:
Gerade in unserer virtuellen Existenz bleiben wir die sozialen Tierchen, als die sich viele von uns im Businesskontext nie zeigen wollten. Um uns in der Kommunikation gänzlich erfüllt zu fühlen, brauchen wir die menschliche Begegnung und Co-Kreation. Und zwar im Kontakt mit unseren Kolleg*innen genauso wie mit Kund*innen.