Alle denken darüber nach, die Welt zu verändern, doch niemand denkt daran, sich selbst zu ändern
Deshalb ist Brasilien das ewige Land der Zukunft, denn hier gilt: „Wenn man eine Woche von Brasilien weg ist, ändert sich alles. Wenn du sieben Jahre lang nicht in Brasilien bist, ändert sich nichts“. Das sagte Gustavo Franco, einer der Väter des Plano Real.
Nach einer längeren Schreibpause melde ich mich zurück und stelle fest, Brasilien ändert sich tatsächlich nicht oder meist nur unmerklich langsam. Das ist bedenklich, denn “Fortschritt ist ohne Veränderung nicht möglich, und wer seine Meinung nicht ändern kann, kann nichts ändern.” Diese Worte George Bernard Shaws sollte sich Lula ins Stammbuch schreiben. Und die aktuellen Vorkommnisse in Deutschland sollten ihm zu denken geben. Wer aus ideologischen oder anderen Gründen als Regierungschef Fehlentscheidungen durchsetzt und dadurch das Wohl des Landes und seiner Bürger in Gefahr bringt, der kann sein Amt schneller verlieren als er es gewonnen hat. Aber es gibt lernresistente Präsidenten oder Kanzler, die ihr hohes Amt einfach nicht verdienen, die aber am Sessel kleben und die Bevölkerung leiden lassen. Und der bleibt nicht anderes übrig, als die nächste Wahl abzuwarten.
Aber gehen wir einfach mal davon aus, dass der Regierungschef Brasiliens tatsächlich das Beste für das Land will. Nur, Wollen und Können sind zwei verschiedene Stiefel! Und da stellt sich die mehr als berechtigte Frage, ob die nötigen Veränderungen wirklich realisierbar sind.
Was sind denn diese nötigen Veränderungen? Ich habe das oben abgebildete Buch von 2012 der 2024 mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichneten Wissenschaftler Daron Acemoğlu und James A. Robinson kurz nach seiner Publikation gelesen und hier endlich ein Rezept für den „robusten“ Aufstieg Brasiliens gefunden.
WIKIPEDIA fasst den Inhalt des Buches so zusammen: „Die zentrale These der Autoren ist, dass wirtschaftlicher Erfolg in erster Linie von inklusiven, also einbeziehenden, wirtschaftlichen und politischen Institutionen abhänge. Empirische Belege stützen diese These. Nur ein funktionierender demokratischer und pluralistischer Rechtsstaat sei in der Lage, Ideen und Talente, die in der Bevölkerung gleichmäßig verteilt seien, voll auszuschöpfen. In extraktiven (auslaugenden, ausschließenden) Systemen, Autokratien, hätten hingegen Unternehmer und Bürger kaum Anreize für die zur Wohlstandsschaffung nötigen Investitionen und Innovationen, da die herrschende Klasse die Schöpferische Zerstörung fürchten müsse. Die Schöpferische Zerstörung schaffe neue Gruppen, die mit der Elite um die Macht konkurrieren können. Die Eliten würden dabei ihren alleinigen Zugang zu den wirtschaftlichen und finanziellen Ressourcen des Landes verlieren.“
Diese These passt wie die berühmte Faust aufs Auge. Wer sich die Zusammensetzung des Parlaments, Senates, Obersten Gerichtshofes und der Regierung näher ansieht, wird feststellen, dass viele der Protagonisten untereinander verwandt oder zumindest eng befreundet sind. Nepotismus ist weit verbreitet und es gilt tatsächlich: „Für unsere Freunde alles, für unsere Feinde das Gesetz!“ Das bekommen gerade Bolsonaro und seine Anhänger zu spüren, die unnachsichtlich verfolgt werden, um zu verhindern, dass die nächste Regierung ohne die Beeinflussung durch Lula und seiner Anhänger gebildet wird. Und dahinter stehen die Vertreter der Oligarchie, die die Geschicke des Landes seit seiner Besetzung durch Pedro Álvarez Cabral im Jahre des Herrn 1500 lenken.
Dagegen kann sich selbst ein Lula, wenn man ihm den Willen dazu unterstellt, nicht durchsetzen. Aber er könnte - was er nicht will - wenigstens einige strukturelle Reformen durchführen, z.B. die Indexierung von Regierungsausgaben abschaffen, die heute vielfach Immer noch an das Mindestgehalt gebunden sind. Und Indexierung ist, wie ich es am eigenen Leib erfahren musste, die beste Nährquelle für Inflation.
Ich kam vor ziemlich genau 46 Jahren in Brasilien an, am 7.11.1978 nämlich. Deshalb habe ich hautnah einige durchaus kolossale Veränderungen in Brasilien mit erlebt, aber auch das Beharrungsvermögen mitbekommen, mit dem sich „das Land“ erfolgreich gegen Veränderungen wehrt.
Kumulierte Inflation in 12 Monaten (Quelle: Zentralbank):
Fernando Henrique Cardoso während der Präsidentschaft Itamar Francos hatte den entscheidenden Anteil an der Währungsreform, die durch die Einführung des R$ und dem Ende der Preisindexierung Schluss machte mit der Hyperinflation. Als FHC dann selbst Präsident wurde, setzte er den Erfolgskurs fort. Er setzte dabei auf geduldiges Erklären seiner Maßnahme, also auf Überzeugen durch Transparenz. Das Ergebnis sieht man in der vorhergehenden Graphik der Inflationsentwicklung. Aus meiner Sicht, die von vielen geteilt wird, übernahm dann leider Lula die Präsidentschaft für zwei Legislaturperioden und setzt Dilma Rousseff als seine Nachfolgerin durch. Sie wurde dann wegen Misswirtschaft und Unregelmässigkeiten ihres Amtes enthoben und mit der Rückkehr Lulas auf den Präsidentensessel Brasiliens ins Präsidentenamt der New Development Bank (NDB), der früheren BRICS-Bank, gehievt. Ein schönes Beispiel für das Peter Prinzip, nach dem jeder solange befördert wird, bis er sein Inkompetenzniveau erreicht hat.
Ein Kollege von Laurence J. Peter, Cyril Northcote Parkinson, kreierte das berühmte Parkinson's Law (1957), welches sagt, dass “work expands so as to fill the time available for its completion“. Das gilt auch für verfügbaren Raum, der schnell von den vorhanden Mitarbeitern und Möbeln ausgefüllt wird, egal wie groß der Raum und die Anzahl der Mitarbeiter und Möbel ist.
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Ähnliches gilt für das Budget der brasilianischen Regierung. Egal, wie hoch es auch sei, es wird ausgegeben. U.a. deshalb, weil bestimmte Ausgaben als Prozentsatz der Einnahmen in der Verfassung (!) festgeschrieben sind, u..a die Minimalwerte für Gesundheit (15%) und Ausbildung (18%). Mit anderen Worten, ob sinnvoll ist oder nicht, dieser Werte müssen laut Verfassung des Bundes und der Bundesstaaten erreicht werden. Was die Regierung nicht daran hindert, ein Budget auch mal und gewaltig zu unterschreiten, wenn es keine Mindestwerte gibt, z.B. Ausgaben für die Bekämpfung von Überschwemmungen, wie es das jüngste Bespiel von Rio Grande do Sul zeigt.
Der Abschlussbericht des Abgeordneten Luiz Carlos Motta (PL-SP) für das Haushaltsgesetz 2024 (PLN 29/23) sah laut Agência Câmara de Notícias Ausgaben in Höhe von 5,5 Billionen R$ vor, wobei der größte Teil davon für die Refinanzierung der Staatsschulden bestimmt ist. Da bleibt nicht viel Spielraum für eine Regierung, vor allem nicht, wenn sie bei Abstimmungen im Parlament jedesmal um die Mehrheit bangen muss. Und das führt dazu, dass das Wohlwollen der Abgeordneten erkauft wird, wobei die berühmten (berüchtigten?) emendas eine wichtige Rolle spielen.
Aber Lula weiß, dass er der Öffentlichkeit und den Investoren zeigen muss, dass er den Haushalt im Griff hat. Aber hat er das? Luis Stuhlberger, CEO von VERDE ASSET sagt dazu: „Nur die Ukraine, Russland und Israel, Länder, die sich im Krieg befinden, haben so hohe nominale Defizite (d.h. einschließlich der Ausgaben für Zinsen) wie Brasilien. Lula ist der Meinung, dass man am besten regiert, indem man Geld austeilt. Er denkt über Entwicklung aus der Perspektive des Staates nach. Wenn man Beamte, Rentner und Sozialleistungen zusammenzählt, kommt man auf rund 1,5 Billionen R$, die an 110 Millionen Menschen verteilt werden. Auf der Grundlage dieser Zahl diskutieren wir über eine Begrenzung des Ausgabenwachstums. Nun soll der Einkommenssteuerfreibetrag auf 5.000 R$ angehoben werden. Warum will er das? Weil praktisch jeder in der Einkommensklasse zwischen null und 3.000 R$ Lula wählt. Von R$3.000 bis R$5.000 verliert er bereits eine Menge Stimmen, und ab R$5.000 verliert er deutlich. Mit der Ausnahmeregelung können also viele Stimmen gewonnen werden. Aber das wird zwischen 70 und 80 Mrd. R$ kosten. Was hält Lula von Faria Lima (dem Finanzzentrum des Landes)? Dass die Unternehmen viele Vorteile haben, was stimmt, denn es gibt Mechanismen, wie z. B. Anleihen mit Anreizen, die keine Steuern zahlen. Wir haben eine Steuerlast von 34 Prozent Einkommensteuer plus Sozialabgaben. Aber wenn man sich börsennotierte Unternehmen ansieht, zahlen sie viel weniger. Und dann denkt er: 'Warum soll ich die Armen beschneiden, wenn die Reichen Milliarden an Dividenden einnehmen und keine Steuern zahlen? Das ist also Lulas Dilemma: Faria Lima setzt mich unter Druck und droht damit, den Dollar auf 6 R$ zu drücken - obwohl das nicht der Fall ist -, damit ich die Armen abschneiden kann. Und was werden mir die Reichen geben, nichts? Das ist der Gegenstand der Diskussion mit (Finanz-)Minister Fernando Haddad. Und Haddad sagt ganz klar: 'Wenn Sie (Lula) nichts tun, wird es noch viel schlimmer: Die Inflation wird steigen, der Dollar wird auf 7 R$ steigen und Sie werden die Wahl verlieren'. Das ist also die einfache Zusammenfassung, das Dilemma der Regierung.“
Das sagte Luis Stuhlberger am 25.11.24. Am 29.11.24 lag der Dollarkurs bereits über 6 R$:
Und für einen EURO müssen jetzt über 6.40 R$ bezahlt werden. Ein Segen für die Exporteure Brasiliens und ein Fluch für die Importeure. Brasilien hängt u.a. von importierten chemischen Rohstoffen und Kunstdünger ab. Die brasilianische Industrie muss auch nach wie vor moderne Betriebsmittel im Ausland kaufen und wer diese nicht bezahlen kann, wird weiterhin auf dem Weltmarkt nicht wettbewerbsfähig sein und überlebt in Brasilien nur, weil es schützenden Handelsbarrieren gibt. Das ist eine Schraube ohne Ende.
Aber es besteht Hoffnung, dass sich hier etwas Grundlegendes ändert, nämlich mit dem Abschluss des EU-MERCOSUL-Freihandelsabkommens. Nur noch Polen und Frankreich sträuben sich ernsthaft weiterhin gegen das Abkommen. Sollte der Vertrag zustande kommen, besteht Hoffnung, dass Brasilien DAS Land der Gegenwart wird.
Und wenn dann in zwei Jahren hoffentlich ein Präsident mit Weitsicht, einer Vision und Durchsetzungsvermögen (und -geschick) das Ruder von Lula übernimmt und zusätzlich eine Parlamentsmehrheit hinter sich hat, dann wird sich Brasilien vor Investoren nicht retten können.
Allerdings muss dieser Präsident die seit Jahrzehnten überfälligen Strukturreformen realisieren und vor allem die m.E. die bereits im Ansatz verfehlten Steuerreform so neu gestalten, dass sie nicht nur eine Vereinfachung mit sich bringt, sondern auch eine finanzielle Entlastung der Steuerzahler.
Was Hoffnung macht, sind Ankündigungen großer Konzerne, die weiterhin viele Milliarden Dollar in Brasilien investieren, darunter chinesische Automobilbauer, die zum Teil bereits im Lande produzieren und den local content ihrer Fahrzeuge kontinuierlich erhöhen und ihre Produkte sehr viel billiger ais die Konkurrenz anbieten.
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1 Wochegutes Buch / bom livro / good book
Ich bin 1958 mit meinen Eltern nach São Paulo gekommen. Mein Vater hat bei VEMAG mit die ersten DKWs gebaut. War später bei Mercedes Benz und bis zur Pensionierung presidente von Sofunge, die Gießerei von Mercedes, die Ende der 90ziger geschlossen wurde. Die Wirtschaft Brasiliens konnte man lange am auf und ab des LKWs Verkaufs festmachen. Es war immer eine Achterbahnfahrt oder montanha russa wie der Brasilianer sagt. Der Plano Real war der erste Plan der je funktioniert hat. Ein Zeichen das endlich die immer angebetete Zukunft endlich eintreffen würde. 20 Jahre PT haben alles zunichte gemacht. Es bleibt nur die Hoffnung als Gegenbeispiel in Argentinien Erfolg hat, so daß die weniger gebildete Bevölkerung nicht mehr die meisten Stimmen dem PT gibt. Brasilien ist zum Großteil heute als Geldanlage interessant wegen der hohen Zinsen. Sobald der Real Schwäche zeigt wandert das Geld wieder ab. Auch der ewige Protektionismus hat Brasiliens Wettbewerbsfähigkeit geschwächt. Die Produkte sind qualitativ für den Preis nicht in der 1. Welt zu verkaufen. In Deutschland fallen 2 Firmen auf Hawaiana Sandalen und Schnaps 91 in den Supermarkt Regalen.
Freight Forwarding, Supply Chain Management and Shipping Executive
1 WocheMal wieder ein Artikel der wie die Faust aufs Auge passt! Abs