Alles wirklich nur vorübergehend!? (Teil 2)

Alles wirklich nur vorübergehend!? (Teil 2)

Im ersten Teil, der noch im Spätsommer entstanden war, hatte ich bereits auf einige persönliche Beobachtungen und Entwicklungen hingewiesen, die m.E. über das Potenzial verfügen, etwas mehr als nur vorübergehende Veränderungen bei Anlegerinnen und Anlegern oder im Wertpapiergeschäft im Allgemeinen auszulösen. Inzwischen hat der kalendarische Herbst begonnen und zumindest einige Aspekte der in Teil eins genannten Themen (siehe u.a. Inflation, Regulierung) scheinen dafür zu sorgen, dass an den Märkten etwas Gegenwind für Anleger aufkommt, der die sommerliche Leichtigkeit (bzw. das Goldilocks-Szenario) vorübergehend (?) zu verdrängen scheint.

Statistisch zählt der Herbst an den Börsen bekanntermaßen eher zu der unruhigen Jahreszeit für Anlegerinnen und Anleger. Und vielleicht lohnt auch vor diesem Hintergrund der Blick auf einige weitere Themen, die m.E. ebenfalls mehr als nur vorübergehende Effekte auszulösen könnten:

Politik:

Die alte Börsenweisheit, dass politische Börsen kurze Beine haben, mag für Deutschland aktuell wieder zutreffen. Die Maßnahmen, die seit einiger Zeit außerhalb Europas (in USA und insbesondere in China) getroffen werden, sind für Anlegerinnen und Anleger aber inzwischen schon etwas länger und auch deutlicher spürbar. Es scheint sich eine Phase wieder stärkerer politischer Einflussnahme auf die (Finanz-)Märkte abzuzeichnen. Nachdem in den letzten Wochen diverse Branchen an den Aktienmärkten (insbesondere aus dem Technologie-Sektor) im Fokus standen, wurde in China Ende letzter Woche der Druck auf Kryptowährungen deutlich erhöht. Zumindest dort folgten damit auch Taten auf die schon vor längerer Zeit bekannt gemachten Ankündigungen.

Da auch die nächsten Themenfelder bereits abgesteckt wurden (u.a. Umweltrichtlinien, Neuordnung bei seltenen Erden) und zudem das Thema Immobilien noch schwer einzuschätzen ist, sollten und werden Anlegerinnen und Anleger dem Thema m.E. auch in Zukunft ein hohes Maß an Aufmerksamkeit schenken. Für mich besonders interessant ist dabei die Frage, ob und in welcher Form die USA bei der Regulierung der Kryptowährungen nachziehen werden. Angesichts der Vielzahl globaler Herausforderungen und der gleichzeitigen Krise des Multilateralismus stellt sich darüber hinaus die Frage, ob die sehr lange Phase der politischen Deregulierung gerade durch eine neue Epoche stärkerer politischer Einflussnahme abgelöst wird (mit Blick auf die Vergangenheit selten ein Indikator für steigende Kurse).

Konjunktur:

Zunehmende Regulierung und stärkere politische Einflussnahme dürften auch auf die Konjunktur nicht ohne Einfluss bleiben. Der Tenor der zuletzt gemeldeten Konjunkturzahlen scheint zumindest den Eindruck zu bestätigen, dass sich das Wachstum der Wirtschaft zuletzt bereits abgekühlt hat. Die Analyse, ob es auch zukünftig (und nicht nur vorübergehend) gehemmt wird, überlasse ich gerne den volkswirtschaftlichen Experten.

Aber auch auf Unternehmensebene waren die letzten Meldungen nicht unbedingt erfreulich: Rückläufige Gewinnschätzungen und erste Gewinnwarnungen (zunächst noch aufgrund von Angebotsengpässen und Lieferschwierigkeiten) kommen saisonal sicher nicht überraschend, trüben das Bild für Anleger aber zumindest (vorläufig?) etwas ein, zumal die eigentliche Berichtssaison erst in ein paar Wochen beginnt. Ich bin gespannt, welche Konsequenzen die stark steigenden Energiepreise (Gas, Kohle, Strom) haben werden und ob die Gelassenheit an den Märkten hinsichtlich der bestehenden Prognosen anhält.

Komplexität:

Nicht nur die beiden oben genannten Punkte (sowie die eher unterdurchschnittlichen Ergebnisse meiner letzten Anlageentscheidungen ;-)) haben mir gezeigt, dass ich zumindest bei meinen Anlageentscheidungen zukünftig etwas differenzierter vorgehen muss und noch mehr Details und Wechselwirkungen berücksichtigen sollte. So hätten etwas bessere oder tiefergehende Informationen zum Thema nachhaltige Energiegewinnung vielleicht dazu geführt, dass ich statt in einen Underperformer besser in einen Outperformer in diesem Bereich investiert hätte.

Den Blick (wie in den letzten Jahren) weiterhin sehr stark auf das Handeln der Notenbanken auszurichten, dürfte m.E. in Zukunft jedenfalls nicht mehr ausreichen, um eigene Anlageentscheidungen treffen zu können. Für Privatanleger und insbesondere Selbstentscheider dürfte es nicht unbedingt leichter werden, sich ein differenziertes Bild von den Märkten zu machen und darauf aufbauend erfolgreiche Anlageentscheidungen zu treffen. Die Tatsache, dass sich Marktbewegungen und Trends immer schneller ändern, mag Trader freuen, für mich als Anleger macht es das Investieren zwar interessanter, aber eben auch etwas komplexer. Und Gespräche im Freundes- und Bekanntenkreis zeigen mir, dass ich mit dieser Einschätzung wohl nicht ganz allein bin.

Fazit:

  1. Die Anforderungen an Anlegerinnen und Anleger, Themen und Märkte differenzierter (und damit mit mehr Tiefe) zu betrachten, dürfte zunehmen, wenn man Finanzentscheidungen wirklich dauerhaft selbstständig treffen möchte.
  2. Entsprechend dürfte das zunehmend komplexere (erklärungsbedürftige) Finanzumfeld auch einen steigenden Beratungsbedarf zur Folge haben, wodurch sich die höheren Anforderungen auch auf die Beratungsebene ausweiten bzw. verlagern könnten.
  3. Die Bereitschaft, mehrere Themen gleichzeitig zu beobachten und ihre wechselseitigen Auswirkungen zu bewerten, wird für Selbstentscheider steigen müssen, um dauerhaft erfolgreiche Finanzentscheidungen treffen zu können. Es wird interessant sein zu sehen, wie Anlegerinnen und Anleger mit der steigenden Themenvielfalt umgehen bzw. wie viele Themen man als Privatinvestor wirklich in der notwenigen Tiefe dauerhaft verfolgen kann.
  4. Im Ergebnis kann ich mir gut vorstellen, dass auch Selbstentscheider (wie ich) ab einem gewissen Punkt dazu übergehen, sich für Teilbereiche mit wenig eigenem Interesse oder (im Verhältnis zum möglichen Ertrag) zu hohem Informationsaufwand oder Komplexitätsgrad neu gestaltete Beratungs- oder Unterstützungsangebote hinzuziehen (sofern neue Produkte diese Ansprüche nicht in Kürze direkt erfüllen können).
  5. Solche Angebote könnten Freiräume schaffen, um sich denjenigen Finanz- und Anlagethemen zuwenden zu können, die bei Anlegerinnen und Anlegern mit einem hohen persönlichen Interesse verbunden sind oder für besonders lukrativ gehalten werden.
  6. Daher dürfte m.E. der Trend hin zu Themeninvestments weiter zunehmen. Sie bieten schnell und unkompliziert die Möglichkeit, in diejenigen Segmente zu investieren, die für Anlegerinnen und Anleger (aus welchen Gründen auch immer) besonders interessant sind.
  7. In diesem Zusammenhang bestünde m.E. auch durchaus die Chance, den Portfoliogedanken neu mit Leben zu füllen und (mit entsprechender Software) auf moderne Art für Kundinnen und Kunden erlebbarer zu machen (dazu vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt mehr).
  8. Alle o.g. Punkte setzten voraus, dass Produkte und FinanzDIENSTLEISTUNGEN von der reinen Online-Abwicklung bis zum Beratungsangebot zukünftig deutlich modularer als aktuell aufgebaut sein müssten, flexibler abgeschlossen werden können und auf einem anderen Preismodell basieren. Dabei sollten eigentlich auch Räume für neue Beratungsangebote entstehen bzw. geschaffen werden können (noch ein Thema für den Ideenspeicher).
  9. Die Grenzen zwischen den bestehenden Produkt- und Dienstleistungsangeboten dürften m.E. weiter verschwimmen. Das betrifft sowohl die Bindung bzw. Koppelung an feste Kanäle oder Vertriebswege, als auch die noch häufig anzutreffenden Angebots-Abgrenzungen. Der Übergang von klassischen Online-Brokern zu Neobrokern und Robo-Advisorn wird zumindest nach meiner Einschätzung zunehmend fließend (und viele Millionen aus den Mega-Fundings in den letzten Monaten warten noch darauf, investiert zu werden).
  10. Nicht zuletzt dürfte ein verändertes Produktangebot mit modifizierten Vertriebswegen auch eine veränderte Kundenkommunikation zur Folge haben. Der Bedarf an qualitativ hochwertigen (gewinnbringenden) Finanzinformationen dürfte stark steigen. Guter, möglicherweise exklusiver Content, könnte (zumindest bei mir) zu einem Kriterium bei der Anbieter- und Produktauswahl werden. Neue Ansätze und Ideen, die ich zuletzt im Fondsbereich beobachtet habe, bieten m.E. noch viel Potenzial und sind hoffentlich mehr als nur von vorübergehender Dauer.

Welche wesentlichen Einflussfaktoren seht Ihr / sehen Sie, die für Anlegerinnen und Anleger zukünftig wichtig werden könnten? Und was sind neue Trends und Entwicklungen, die derzeit aufgrund der bisher noch stetig steigenden Märkte vielleicht noch ein Nischendasein fristen, zukünftig aber vielleicht viel größeres Potenzial bieten? Ich freue mich auf Hinweise, persönliche Beobachtungen und Anregungen aus unterschiedlichen Perspektiven!

Christian Neubauer

Produktmanager | Projektmanager | Prozessmanager | Wertpapierspezialist & Troubleshooter für alle Facetten des Wertpapiergeschäfts | aktuell: Senior Sales Manager Private & Corporate Banking

3 Jahre

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