Als top-ausgebildete, hoch ambitionierte Frauen mit Mut, gesehen, gehört und kritisiert zu werden

Als top-ausgebildete, hoch ambitionierte Frauen mit Mut, gesehen, gehört und kritisiert zu werden

Weshalb aus einer passionierten Raumfahrttechnik-Ingenieurin eine KI-Beraterin und Coach wird, erfahren Sie in diesem Interview mit Alexandra Wander. Sie lehrt Frauen, die sich nicht in den Mittelpunkt drängen wollen, wie ihr Fleiss und ihre Performance Anerkennung findet und mit einer Beförderung oder Gehaltsanpassung – egal in welcher Branche – belohnt wird.

thebroker spricht mit Alexandra Wander, Raumfahrttechnik-Ingenieurin, KI-Beraterin und Coach.

Sie haben an der Universität Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik mit einem Schwerpunkt in Thermodynamik und Raumfahrtsysteme studiert. Waren Sie schon einmal im Weltraum?

War ich nicht, auch wenn ich vor meinem Studium tatsächlich davon geträumt habe, unsere Erde einmal von oben, aus einer Raumstation heraus zu betrachten. Mein Fokus lag damals auf den physikalischen Grundlagen, die Raumfahrt überhaupt erst möglich machen – wie man Energie effizient umwandelt oder Systeme entwickelt, die auch unter extremen Bedingungen sicher funktionieren.

Auch wenn ich selber noch keinen Raumanzug getragen habe: mich begeistert die Idee, die Grenzen des technisch Machbaren zu verschieben. Genau diese innere Haltung und die Werkzeuge habe ich aus der Raumfahrttechnik mitgenommen – und diese Denkweise wende ich heute an, bei KI-Projekten und im Coaching.

Es gibt nicht viele Frauen, die Astronautinnen werden wollen. Weshalb haben Sie gerade dieses Studium gewählt?

Ich habe mich weniger gefragt, ob ich Astronautin werden will, sondern mehr: Wie funktioniert das alles eigentlich? Wieso kann ein Flugzeug fliegen? Was braucht es, um mit einer Rakete die Erde verlassen und ins Weltall fliegen zu können? Die Technik hinter der Raumfahrt hat mich schon als Teenie fasziniert.

Dass Frauen in meinem Studiengang eine Ausnahme sein könnten, wurde mir im ersten Semester bewusst: Hunderte Männer im Hörsaal mit einer Handvoll Frauen, nur männliche Professoren. Heute sehe ich meinen Werdegang als Chance, andere Frauen zu ermutigen: sich auch in traditionell männliche Berufsfelder zu wagen, ohne sich von Rollenbildern zurückhalten zu lassen.

Ihre Diplomarbeit hiess: «Kalibrierung numerischer Modelle der BepiColombo-Mission und des Systemsimulators und Anpassung an die Entwicklung des Raumfahrzeugdesigns». Worum handelte es sich bei der BepiColombo-Mission?

BepiColombo ist eine europäisch-japanische Raumfahrtmission, die 2018 gestartet ist, um den Planeten Merkur zu erforschen – eine wahnsinnig spannende Herausforderung! Meine Diplomarbeit drehte sich um die Kalibrierung von numerischen Modellen für den sogenannten Systemsimulator. Dieser Simulator ist im Prinzip ein virtuelles Testlabor, mit dem man schon am Computer prüfen kann, wie das Raumfahrzeug unter den extremen Bedingungen von Merkur – wie Hitze, Kälte und Strahlung – funktionieren wird.

BepiColombo wird voraussichtlich Ende 2025 im Orbit von Merkur ankommen und dann detaillierte Messungen durchführen, die uns helfen, den weitgehend unerforschten Planeten besser zu verstehen. Auch wenn ich nicht direkt mit dem Raumfahrzeug unterwegs bin, ist es für mich ein tolles Gefühl, mit meiner Arbeit einen Beitrag zu dieser bahnbrechenden Mission geleistet zu haben.

Sie waren fachliche Leiterin einer kleinen KI-Forschungsgruppe am German Space Operations Center. Was haben Sie dort gemacht?

Am German Space Operations Center (GSOC) habe ich mit meiner Forschungsgruppe Algorithmen entwickelt, die Abweichungen im Satellitenbetrieb schneller erkennen. Wir haben KI-Modelle genutzt, die aus den vergangenen Satellitendaten das normale Verhalten gelernt haben. Dabei haben wir davon profitiert, dass wir Daten über mehrere Jahre zur Verfügung hatten.

Bei auftretenden Anomalien analysierten die Algorithmen automatisch, warum die Abweichung passiert sein könnte, ob sie kritisch ist, und lieferten den Operatoren Hinweise und Handlungsempfehlungen.

Das Ziel war, die Effizienz im Satellitenbetrieb durch KI zu steigern und die Arbeit der Operatoren zu erleichtern.

Klingt technisch und sachlich erstmal gut, oder?

Bei diesem Projekt hab ich zum ersten Mal beobachtet, dass es bei Innovation, wie der Einführung neuer Methoden im Satellitenbetrieb, auch eine menschliche Dimension gibt, die wir nicht unterschätzen sollten. Denn Innovation heisst auch Wandel und Transformation. Das macht uns unsicher. Es braucht also die transparente Erklärung, wie die KI wirklich funktioniert. Und dass sie nicht demnächst unsere Arbeitsplätze übernimmt. Denn auch wenn KI und Technologie uns bei der Arbeit unterstützen können, bleibt die menschliche Expertise bisher unerlässlich.

Hier am GSOC können die Algorithmen, die wir entwickelt haben, schnell Anomalien erkennen und Handlungsempfehlungen geben – aber es ist immer noch der Operator, der letztlich entscheidet, wie diese Informationen umgesetzt werden. Technologie mag die Effizienz steigern, aber sie ersetzt nicht das kritische Denken und die Erfahrung, die der Mensch mitbringt. 

Als Wissenschaftlerin für Raumfahrt & KI, Systemingenieurin und Projektleiterin in nationalen und europäischen Forschungs- und Entwicklungsprojekten haben Sie Raumfahrtsysteme und Satellitentechnik gelehrt und das neue Institut für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung massgeblich mitgestaltet. Wollten Sie nicht irgendwann auf den Mond oder Mars?

Der Gedanke, auf den Mond oder Mars zu fliegen, ist irgendwie verlockend. Gleichzeitig ist die Realität der Raumfahrt sehr viel komplexer und weniger glamourös, als man es sich oft vorstellt. So ein Flug zum Mars bedeutet eine Reisezeit von 18-24 Monaten, je nach Position von Erde und Mars. Dazu kommt das monatelange Leben in einem Raumfahrzeug, ohne Aussicht auf direkte Hilfe. Dafür mit extremen Bedingungen und technischen sowie gesundheitliche Herausforderungen.

Ich war immer mehr an der Technologie und den Systemen interessiert, die es ermöglichen, solche Missionen überhaupt durchzuführen. Der Reiz lag für mich eher darin, an den technischen Lösungen zu arbeiten, welche die Grundlage für all das bilden – wie man Raumfahrzeuge entwickelt, die mit extremen Bedingungen umgehen können, oder wie man Satelliten intelligent steuert, die tausende Kilometer entfernt sind. Und dabei habe ich mich immer gefragt: Wie kann ich mit meinem Wissen dazu beitragen, dass solche Missionen tatsächlich realisiert werden? Der Mars – oder der Mond – sind für mich mehr spannende Ziele aus der Perspektive der Forschung und Technologie, nicht der ganz persönlichen Erfahrung.

Weshalb bereiten Sie sich heute nicht auf Einsätze im Weltraum vor, sondern arbeiten als Coach mit Frauen in männerdominierten Branchen?

Die Raumfahrt hat mich schon immer fasziniert, aber ich habe irgendwann gemerkt, dass neue Entwicklungen extrem langwierig sind. Wenn man wirklich schnelle Innovationen vorantreiben möchte, muss man oft viele Jahre warten bis sich etwas bewegt. Das war für mich auf Dauer zu wenig dynamisch.

Deshalb hab ich ein Angebot für technisches Programm-Management in einem extrem dynamischen amerikanischen Unternehmen angenommen. Die weltweit führenden Experten, wenn es um die Sicherheit autonomer Systeme wie beispielsweise selbstfahrende Autos und fahrerlose Regionalzüge geht. 

Auch hier musste ich wieder feststellen: wo die Technologien unserer Zukunft entwickelt werden, fehlen die Frauen im Raum.

Deshalb ist es mir heute so wichtig, Frauen in technischen Bereichen und in den Entscheidungsräumen zu sehen, in denen neue Technologien entwickelt werden. Denn die betreffen uns alle. Frauen bringen einzigartige Perspektiven und Lösungen ein, die noch zu wenig gehört werden. Deshalb coache ich gezielt Frauen und gebe mein Wissen und meine Erfahrungen weiter – um sie zu empowern, unsere technologische Zukunft aktiv mitzugestalten.

Inwiefern kommt Ihnen das analytische Denken einer Ingenieurin als Coach zugute?

Das analytische Denken einer Ingenieurin hilft mir als Coach, komplexe Probleme schnell zu durchdringen und strukturierte, klare Lösungen zu entwickeln. Ich unterstütze meine Klientinnen und Klienten dabei, ihre Ziele zu definieren, mit den vorhandenen Ressourcen und konkreten Strategien umzusetzen und dabei flexibel auf Veränderungen zu reagieren.

Durch meinen Ingenieurhintergrund liegt es mir, langfristige Perspektiven mit pragmatischen Lösungsansätzen zu kombinieren – so behalten meine Klientinnen und Klienten auch in komplexen Themen den Überblick und kommen effektiv voran.

Oft wird Ingenieuren, beispielsweise in der Cybersicherheit, nachgesagt, dass sie zu «technisch» denken und sprechen. Was machen Sie anders?

Ich verstehe die Aussage, dass Ingenieure manchmal zu technisch sind. Wir sind oftmals fachlich tief in unserem Fachgebiet und sind es gewohnt, in Daten, Modellen und komplexen Prozessen zu denken. Und manch einer demonstriert gerne die eigene Expertise durch die Verwendung komplizierter Fachbegriffe. Während meiner Zeit als Projektleiterin habe ich gelernt, komplexe technische Zusammenhänge für Manager verständlich zu erklären. Dabei geht es darum, die Technik so zu vermitteln, dass man die Kerninhalte versteht und die Relevanz erkennt. Also technische Themen greifbar zu machen.

Wie läuft ein Coaching bei Ihnen für Ihre Klientinnen genau ab?

In meinen Coachings arbeite ich mit strukturierten Gesprächen und stelle gezielte Fragen, um meinen Klientinnen Klarheit über ihre Ziele und Herausforderungen zu verschaffen. Als Coach leite ich den Prozess an, ohne sofort Lösungen vorzugeben. Vielmehr unterstütze ich sie individuell dabei, selbst herauszufinden, was für sie der nächste stimmige Schritt ist. Wenn sie an einen Punkt kommen, an dem sie nicht weiterwissen, fliesst mein Wissen und meine Erfahrung ein, um praktikable Lösungsansätze zu entwickeln. Es geht mir nicht darum, Wissen zu vermitteln, sondern vor allem darum, dass meine Klientinnen eigene Antworten finden können und dabei ihre Stärken gezielt einsetzen.

Wer sind ihre Klientinnen?

Meine Klientinnen sind vor allem Frauen, die in technischen oder auch anderen stark männerdominierten Branchen arbeiten, wie z.B. Maschinenbau-Ingenieurinnen, angehende Führungskräfte in der Medizintechnik, oder Führungskräfte in der IT. Sie sind gut ausgebildet und hochqualifiziert. Und sie wünschen sich mehr Selbstbewusstsein, Klarheit und Durchsetzungsvermögen, um ihre Karriere voranzutreiben. Viele von ihnen fühlen sich in ihrem beruflichen Alltag unsichtbar oder haben das Gefühl, sich nicht durchsetzen zu können. Ich helfe ihnen, ihre beruflichen Ziele zu konkretisieren, ihre Stärken herauszuarbeiten und gezielt einzusetzen, um als souveräne Führungspersönlichkeiten durch den beruflichen Alltag zu gehen. Sei es in Besprechungen, bei Verhandlungen oder im Umgang mit schwierigen Situationen, Konflikten, im Job.

Seit fünf Monaten beraten Sie die ZEISS Gruppe über den verantwortungsvollen Umgang und Einsatz von KI. Was bedeutet verantwortungsvolle KI genau?

Verantwortungsvolle KI bedeutet, dass wir Künstliche Intelligenz so entwickeln und einsetzen, dass sie ethisch, transparent und im Einklang mit den Gesetzen und Interessen der Gesellschaft funktioniert. Es geht darum, Risiken wie Diskriminierung, Datenschutzverletzungen oder unfaire Entscheidungen zu minimieren. Und gleichzeitig sicherzustellen, dass die eingesetzte Technologie im Einklang mit den Unternehmenswerten steht.

Im Rahmen meiner Beratung bei ZEISS bedeutet das, Strategien und Prozesse zu entwickeln, die KI in einer Art und Weise integrieren, die sowohl die Unternehmensziele fördert als auch Vertrauen bei den Mitarbeitenden, Kundinnen und Kunden aufbaut.

Alexandra Wander, Responsible AI Consultant, Raumfahrt-Ingenieurin und Business Coach, ist Expertin für Künstliche Intelligenz und Raumfahrttechnik mit mehr als 15 Jahren Erfahrung in der Entwicklung innovativer Technologien. Sie hat internationale Forschungsprojekte zur Optimierung des Raumflugbetriebs und zur Sicherheit autonomer Systeme geleitet, unter anderem mit der ESA und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Ihr Fokus liegt aktuell bei den ZEISS Digital Partners auf der verantwortungsvollen Anwendung von KI, die sowohl effektiv als auch ethisch ist. Als Business Coachin hilft sie Frauen in Tech, ihre Führungskompetenzen zu stärken und ihre Karriereziele klar und souverän umzusetzen.

Lesen Sie auch: KI-Risiken und Chancen für die Versicherungsbranche: Wohin führt die Entwicklung?

Zum Anzeigen oder Hinzufügen von Kommentaren einloggen

Themen ansehen