Arbeitsrecht kompakt - Zielvorgaben - Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an!

Arbeitsrecht kompakt - Zielvorgaben - Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an!


Das Thema „Variable Vergütung“ spielt insbesondere bei Leitungs- und Führungskräften eine bedeutende Rolle.

Hierbei kommt es in der Praxis leider immer wieder zu Streitigkeiten, wenn z.B. Zielvereinbarungen nicht zustande kommen bzw. nicht erneuert werden oder  Zielvorgaben schlichtweg nicht erfolgen.

 Heute soll es in diesem Zusammenhang um die praxisrelevante Frage gehen, bis wann eine Zielvorgabe eigentlich erfolgen muss, damit sie als rechtswirksam und verbindlich angesehen werden kann.

 Hierzu stellen wir eine aktuelle Entscheidung des LAG Köln (Urteil vom 06.02.2024, 4 Sa 390/23) vor, in der es u.a. um die praxisrelevante Frage geht, ab wann und weshalb eine arbeitgeberseitige Zielvorgabe als verspätet angesehen werden muss.

 

 

Was war passiert?

 

Der Kläger war als Führungskraft bei der Beklagten tätig. In einer auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren Betriebsvereinbarung heißt es auszugsweise:

 

„Der Mitarbeiter erhält bis zum 01.03. des Kalenderjahres eine zuvor mit ihm zu besprechende Zielvorgabe. Diese setzt sich zu 70 % aus Unternehmenszielen zusammen. 30 % entfallen auf individuelle Ziele, von denen bis zu 3 definiert werden sollen. (…)“

 

Mit E-Mail vom 26.09.2019 teilte der Geschäftsführer der Beklagten u.a. dem Kläger Folgendes mit:


"Ende September 2019 und wir haben die Rahmenbedingungen für das diesjährige MBO final. Ich kann mich an dieser Stelle einfach nur entschuldigen und für das kommende Jahr Besserung geloben.

Für 2019 haben wir jetzt folgende Parameter definiert:

Umsatz

(…)

Individuelles Ziel für alle 142%

Das individuelle Ziel ist der Durchschnitt aller individuellen Ziele aller Führungskräfte mit MBP der vergangenen drei Jahre. Damit haben wir eine einigermaßen faire Lösung für alle geschaffen."


Konkrete Zahlen zu den Unternehmenszielen (auch hinsichtlich deren Gewichtung und des Zielkorridors) wurden sodann erst in einem Meeting am 15.10.2019 seitens der Beklagten genannt.

Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2019.

Die Beklagte zahlte an den Kläger in der Folgezeit für 2019 eine variable Vergütung iHv. 15.586,55 Euro.

Der Kläger ist u.a. der Ansicht, die Vorgabe der Unternehmensziele für 2019 sei verspätet erfolgt. Aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes sei von einer Zielerreichung im Hinblick auf die Unternehmensziele von 100 % auszugehen, so dass unter Berücksichtigung der von der Beklagten angenommen Erfüllung der Individualziele mit 142 % (= 30-%-Anteil) von einer Gesamtzielerreichung von 112,6 % auszugehen sei. Damit stünden ihm für 2019 weitere 16.035,94 Euro zu, die er mit der vorliegenden Klage geltend macht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen; hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. 

 

Die Entscheidung

 Auf die Berufung hin hat das LAG Köln das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Beklagte unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgabe für das Geschäftsjahr 2019 zur Zahlung des eingeklagten Betrages in Höhe von 16.035,94 Euro verurteilt.

Nach Auffassung des LAG Köln löse eine in der Zielperiode pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebene Zielvorgabe seitens des Arbeitgebers einen Schadensersatzanspruch zu Gunsten des Arbeitnehmers aus.

Diese Konstellation sei der Fallgruppe der pflichtwidrig und schuldhaft nicht abgeschlossenen Zielvereinbarung gleichzustellen, mit der einzigen Ausnahme, dass bei der unterbliebenen Zielvorgabe – anders als bei der schuldhaft nicht abgeschlossenen Zielvereinbarung  - ein Mitverschulden des Arbeitnehmers nicht in Betracht komme.

Zum Zeitpunkt der (vollständigen) Zielvorgabe (15.10.2019) war aus Sicht des LAG Köln bereits Unmöglichkeit i.S.d. § 275 BGB eingetreten, so dass die Vornahme der Zielvorgabe nicht mehr erfüllungstauglich war.

Die Zielvorgabe sei schlichtweg zu spät erfolgt. Dem Kläger sei vorliegend kein hinreichender Zeitraum mehr verblieben, die vorgegebenen Jahresziele effektiv zu verfolgen. Die Vorgabe von Zielen sei sinnentleert, wenn diese nicht mehr der Motivation des Mitarbeiters dienen können. Auch ohne die Eigenkündigung zum 30.11.2019 wäre der verbleibende Zeitraum im Hinblick auf die Anreizfunktion mit nur noch zweieinhalb Monaten zu knapp bemessen gewesen, um als erfüllungstauglich bewertet werden zu können, so das LAG Köln.

Dem stehe nicht entgegen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betraf, auf deren Erfüllung der Kläger weniger Einfluss gehabt hätte als auf die Erfüllung von persönlichen Zielen. Es möge zwar zutreffen, dass die Einflussmöglichkeiten insoweit unterschiedlich seien. Eine Anreizfunktion von unternehmensbezogenen Zielen werde dadurch aber nicht per se ausgeschlossen. Gerade Mitarbeiter auf hohen Hierarchieebenen könnten in gewissem Umfang Einfluss auf die Unternehmenskennzahlen nehmen. Auch das BAG behandele persönliche und unternehmensbezogene Ziele im Hinblick auf ihre Motivations- und Anreizfunktion gleich.

 

Das Wichtigste

 Erfolgt eine Zielvorgabe erst zu einem derart späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres, dass sie ihre Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllen kann, ist sie so zu behandeln, als sei sie überhaupt nicht erfolgt. Ein derart später Zeitpunkt ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn das Geschäftsjahr bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufen ist.

 

Praxistipps

Vorsichtigen Arbeitgebern sei geraten, Terminvorgaben bzw. Erklärungsfristen im Rahmen von Regelungen zu variabler Vergütung – sei es im Rahmen von beidseitigen Zielvereinbarungen oder einseitigen Zielvorgaben – möglichst einzuhalten, damit keinerlei Rechtsnachteile entstehen können.

 

Hierbei sollten aus Gründen arbeitgeberseitiger Vorsicht jeweils sowohl der rechtssichere, als auch der rechtzeitige Zugang fristwahrender Erklärungen bzw. fristwahrender Angebote beim Arbeitnehmer sorgfältig dokumentiert werden.

 

Ausblick

 

Gegen die Entscheidung des LAG Köln wurde von Arbeitgeberseite Revision zum BAG eingelegt, die dort unter dem Az. 10 AZR 57/24 geführt wird.

Wir werden Sie über den Ausgang des Revisionsverfahrens informieren.

 

 

Jens Buchwald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

jb@scharf-und-wolter.de

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