„Auf Augenhöhe sprechen"
Unternehmer und Verantwortung
Wer Salem Hattab kennenlernt, ist schnell eingenommen von seiner Persönlichkeit. Als Senior Vice President machte er die dänische Ecco Group mit Sitz in Bredebro zu einem Weltkonzern, heute lebt er im nordfriesischen Niebüll. Mit der Wirtschaft sprach Hattab über Freundschaft, die Begegnung mit anderen Kulturen und die Bedeutung von Details bei der Schuhherstellung.
Wirtschaft: Herr Hattab, Sie haben Ecco über Jahrzehnte begleitet und entscheidend geprägt. Welches Ziel hatten Sie dabei vor Augen?
Salem Hattab: Als ich Ende der 70er-Jahre bei Ecco eingestiegen bin, war die Firma noch klein. Es gab nur einen einzigen Inhaber. Man kann sagen, wir haben uns getroffen und sind einfach losgegangen. Am Anfang waren wir in Westeuropa in Ländern wie Portugal und Italien sehr aktiv – wir hatten dort viele Betriebe und haben produziert. Ich bin immer vor Ort gewesen, um einen Eindruck zu bekommen, was geht und was nicht. Osteuropa war damals noch nicht überall leicht zugänglich. Polen, die damalige Tschechoslowakei und auch Russland wurden nach und nach zu wichtigen Märkten für uns. Ich habe immer versucht, weit vorauszuschauen. Heute haben wir Produktionsbetriebe und Geschäfte auf allen fünf Kontinenten. Mein Prinzip war: sauber rein und sauber raus. Wenn man sich entscheidet, in ein Land zu gehen, dann muss man auchetwas tun vor Ort. Die Bedingungen müssen stimmen. Alles andere ist nicht nachhaltig. Diese Veränderungenbrauchen Zeit. Wer glaubt, man könne alles in kurzer Zeit um 180 Grad drehen, wird schnell enttäuscht.
Wirtschaft: Aber es gab auch Länder, in die Sienicht gegangen sind. Welche Gründe hatten Sie dafür?
Hattab: Einige Länder waren politisch zu instabil. Das Risiko für das Unternehmen wäre zu groß gewesen. Dennoch: Man muss sich vor Ort einen Eindruck verschaffen und mit den Menschen auf Augenhöhe sprechen. Nur so kannman das Risiko und die Chancen einschätzen. Im Vorfeld negativ zu denken macht keinen Sinn. Wer weltweit tätig sein will, muss früh rauskommen. Viele warten zu lange und lassen sich von Vorurteilen beeinflussen.
Wirtschaft: Wie sind Sie den Menschen vor Ort begegnet?
Hattab: Man muss zuhören und sein Gegenüber ernst nehmen. Dazu gehört in erster Linie, die Kultur des anderen zu respektieren. Ich kann nicht in ein anderes Land gehen und davon ausgehen, dass da alles so läuft wie hier. Dann öffnen sich keine Türen. Wenn ich in meiner Einstellung offen bin, dann ergeben sich Chancen. Jeder Mensch hat zunächsteinmal Wertschätzung verdient. Ich war oft einer der Ersten in Ländern, von denen alle gesagt haben, da ginge nichts. So etwa in China. Mit Geduld kommt man an sein Ziel.
Wirtschaft: Das klingt nach einem sehr freundschaftlichen Umgang.
Hattab: Für mich gibt es zwei verschiedene Formen von Freundschaft: die private, die nichts mit dem Geschäft zu tun hat, und die geschäftliche. Beide muss man sorgfältig aufbauen und pflegen. Ehrlichkeit ist hier ein wichtiges Thema. Meine Geschäftspartner haben schnell gemerkt, dass ich nie nur gekommen bin, um Geschäfte zu machen. Ich habe mich auf sie und ihre Kultur eingelassen. Ja, Freundschaft spielt für mich eine große Rolle.
Wirtschaft: Ecco steht für eine besonders hohe Qualität. Wie entsteht diese?
Hattab: Man braucht ein Auge für Details. Ich selbst bin Schuhingenieur und kenne jeden einzelnen Arbeitsschritt.Wenn eine Maschine unrund läuft, dann sehe ich das. Egal in welcher Fabrik ich auf der Welt war, ich habe immer auf die Details geachtet und diese, wo nötig, korrigiert.
Wirtschaft: Was für Details sind das?
Hattab: Das fängt bei einem nicht straff genug gespannten Keilriemen einer Nähmaschine an. Die Näherin muss sich deutlich mehr anstrengen und die Nähte werden nicht optimal. Das muss man sehen, dafür braucht man ein Auge. Oder in Indien: Ich war in Fabriken, wo Arbeiter den Klebstoff mit den Händen auf die Schuhe auftrugen, einfach weil sie es nicht anders kannten. Die ersten Pinsel habe ich noch in meinem eigenen Aktenkoffer mit dorthin gebracht.
Wirtschaft: Wie hat sich das Geschäft in den vielen Jahren verändert?
Hattab: Es ist insgesamt jünger geworden und Teamwork spielt heute eine viel größere Rolle. Mein Vorbild ist hier der Rennsport. In sechs Sekunden vier Reifen zu wechseln, das erfordert ein perfektes Zusammenspiel. Egal in welche Industrie man schaut, alles ist viel schneller geworden. Um mithalten zu können, braucht man heute junge und engagierte Leute mit guten Ideen. Diesen muss man eine Chance geben.
Wirtschaft: 2018 haben Sie das Bundesverdienstkreuz für ihr soziales Engagement erhalten. Gehört das für einen Kaufmann zum Geschäft dazu?
Hattab: Ich spreche nicht viel über dieses Engagement. Wenn ich sehe, dass jemand Hilfe benötigt, dann kann ich nicht wegschauen. Als Mensch gehört es zu meiner Pflicht, anderen zu helfen, unabhängig davon, welchen Beruf ich ausübe. Ich engagiere mich seit mehr als 30 Jahren für den Rotary Club Niebüll. Gemeinsam konnten wir viele bedürftige Familien und Kinder mit Schuhen versorgen – in Nordfriesland und weltweit. Ein guter Kaufmann schätzt sein Gegenüber wert und begegnet ihm mit Respekt. Wenn ich jemandem mein Wort gegeben habe, dann habe ich es auch gehalten. Zuverlässigkeit ist wichtig. Nur so erarbeite man sich das Vertrauen, das man für eine erfolgreiche Geschäftsbeziehung braucht. Dabei dürfen wir jedoch nie vergessen, welche Verantwortung wir gegenüber allen anderen Menschen haben.
Erschienen in "Wirtschaft zwischen Nord und Ostsee" November 2019, Interview: René Koch
Zur Person: Salem Hattab, Jahrgang 1943, ist gebürtiger Iraker und lebt heute im nordfriesischen Niebüll. Der gelernte Schuhingenieur war als Geschäftsführer des dänischen Schuhherstellers Ecco mitverantwortlich für die Expansion des Unternehmens zu einem Weltkonzern. Für sein weltweites soziales Engagement erhielt er 2018 das Bundesverdienstkreuz.