Authentisch ja, aber dann doch nicht?
Auf der einen Seite fordern wir Authentizität – eines der am meisten gebrauchten Schlagwörter der Branche übrigens. Wir fordern nach einer Person mit Ecken und Kanten, wir wollen keinen glattgespülten Marken-Profilen folgen, außer um an Informationen zu kommen. Oder wenn es was zu gewinnen gibt. Ein iPad!
Wenn allerdings auf der anderen Seite im Social Web Beiträge auftauchen, die halt eine Krise des Postenden beschreiben, wenn jemand öffentlich hadert und zaudert, wenn jemand fragt und forscht – Facebook als moderne Variante eines Sudelbuches also, hingeschmierte Gedanken – wenn also genau das passiert regen sich die Leser auch wieder auf. Wie kann man nur! Intimste Geheimnisse der Öffentlichkeit preisgegeben. Zitate, die man so nie gesagt hat! Wie empörend! Wie unvernünftig auch. Da macht man sich doch Karrieren und Freundschaften kaputt – wenn der Chef erst DAS da liest. Wartet, ich druck das aus und lege das sofort morgen ins Fach, dann kann der Schreiberling aber was erleben…
Entscheidet euch, verdammt nochmal!
Was wollt ihr denn jetzt nun? Ihr wettert alle gegen die glattgeleckte Oberfläche, gegen das Schön-Wetter-Getue von Marken, ihr findet die Katzenbilder niedlich, aber oberflächlich, ihr hasst Morgengrüße auf Twitter. Und diese Sinnsprüche, die man so im Social Web findet, „Zitronen, Leben, Limonade!“Das alles haßt ihr, weil es Ausdruck einer Einstellung ist, die positiv, aber langweilig und auf Dauer kaum auszuhalten ist. Wie deprimierend muss das eigene Leben sein, wenn man nicht mal ein schickes Photo auf Instagram posten kann, in der man seine körperlichen Vorzüge zeigt. Dauernd wird davor gewarnt, dass Jugendliche in einer Welt, in der die positive Oberfläche regiert sich diese Oberfläche als eigentlichen Grund der Persönlichkeit zu nutze machen – und dann deprimiert sind und todunglücklich, weil man den Grad jenes Vorbildes nicht erreichen konnte.
Andererseits seid ihr auch nicht angetan davon, wenn jemand Dinge schreibt, die nicht in einem Happy-End münden. Denn alles muss heutzutage gut ausgehen, ein Happy-End haben, alles muss flauschig sein und überhaupt ist das Internet ja eine Kuschelkomfortzone. Nein. Natürlich nicht. Das Internet bildet ist ein Spiegel. Es zeigt nur das, was Personen, die ins Internet hineingeblickt haben auch sehen. „Wenn ein Affe in ein Buch schaut, kann kein Mensch herausschauen“ – ein Zitat, das Lichtenberg als Erfinder des Sudelbuches gesagt haben könnte, aber da es hier ja im Internet steht könnte es auch falsch und erfunden sein.
Wenn es einer Person dreckig geht, dann wird es das Internet auch sein. Wenn jemand Reinigungsmittel für die Seele braucht, dann zeigt es das Internet auch. Das ist kein Fehler des Internets, das ist überhaupt kein Fehler, denn das wolltet ihr doch: Menschliche Profile mit Ecken an Kanten, an denen man sich reibt, an denen man verzweifelt, die man beschimpfen und hassen möchte. Marken möchte das auch, wenn so bleiben sie wesentlich länger in Erinnerung als – als – die Firma mit dem Bären auf der Alm und Milchkannen… Wie hieß die noch?
Nehmt die Mitte
Wie auch immer: Ihr könnte das Eine ohne das Andere nicht haben. Entweder ihr akzeptiert den Menschen, der da im Internet aktiv ist mit seinen Höhen, Tiefen, Fehlern, guten Seiten und Schwächen. Dann habt ihr ein glaubhaftes, authentisches Profil. Und wenn jemand über die Stränge schlägt, dann kann man das auch so handhaben wie im normalen richtigen Leben. Mit Reden. Miteinander. Oder ihr bekommt Plastik-Postings, so porentief rein, dass sie euch mit der Zeit nichts mehr an Nährstoffen für die Seele geben können. Weder das Eine noch das Andere wird euch guttun. Daher: Wählt am Besten die Mitte und nimmt alles mit einem Körnchen Salz. Aufregen tut nie gut.