Böse LegalTechs
Christian Wolf und Nadja Flegler haben eine bemerkenswerte Stellungnahme gegenüber der Bundesregierung zur aktuellen RDG-Reform veröffentlicht.
Bemerkenswert, weil sie auf über 50 Seiten ein augenscheinlich von tiefer Sorge geprägtes Verständnis zu Prozessfinanzierung und Forderungsdurchsetzung (LegalTech) darlegen, dass sich wie folgt verkürzt darstellen lässt (Christian Wolf, bitte korrigieren Sie mich an dieser Stelle, wenn ich Sie falsch verstanden haben sollte):
- LegalTech-Unternehmen "gefährden die juristische Infrastruktur", "besonders auf dem Land";
- LegalTech-Unternehmen zocken ihre Kunden ab;
- LegalTech-Unternehmen „vereiteln“ die Durchsetzung der aller meisten, weil eben „nicht simpel realisierbaren“, Forderungen.
Nun ist klar, wer solch einem dreischwänzigen Leviathan gegenübersteht, dem raucht der Colt in der Tasche und wer zu den nicht minder heiß rauchenden Regulierungsvorschlägen mehr lesen möchte, dem sei die Stellungnahme von Christian Wolf und Nadja Flegler sehr ans Herz gelegt.
Doch nun stelle man sich für einen Moment vor, LegalTech-Unternehmen gefährdeten eben nicht die „juristische Infrastruktur“ (was auch immer das sein soll – das profitable Monopol der Anwaltschaft?), die erbrachten Leistungen wären eben nicht überteuert (davon ab, sollte man jenseits des Wuchertatbestands normativ über Preise diskutieren?) und die Vereitelung der berechtigten Forderungsdurchsetzung würde es ebenso nicht geben – jeweils zumindest, um im Argumentationsmuster der Stellungnahme zu bleiben, nicht „in der Regel“. Was bliebe der Stellungnahme und den gemachten Regulierungsvorschlägen dann noch als tragfähiges Gerüst?
So fragt man sich, ob nicht bewusst aus der sprichwörtlichen Mücke ein Elephant werden musste, um eigene politischen Vorstellungen durchsetzen zu können. Und ob die in der Stellungnahme gemachten Rechtsvorschläge solch einer eher drastischen, von fast populistischen Anleihen geprägten Sachgrundlage zur Legitimation bedurften, um überhaupt Akzeptanz im Wettbewerb der Vorschläge zu finden. Christian Wolf und Nadja Flegler werden uns hierzu bestimmt zeitnah Weiteres sagen.
Doch anders herum wird ein Schuh daraus: Der sinnvolle Nutzen von Risikoträgern wie Rechtsschutzversicherungen, Prozessfinanzierungen und No-Win-No-Fee Rechtsdienstleistungen dürfte unbestritten sein, ebenso wie das in jedem Wirtschaftsbereich gegebene Bedürfnis, missbräuchlichem Marktgeschehen a priori Einhalt zu gebieten. Die Arbeitsaufgabe in der RDG-Regulierung muss daher lauten: Wie können wir das Gute in den Risikoträgern stärken und gleichzeitig etwaigen Gefahren begegnen und in einem stimmigen Ausgleich bringen? Wer sich einseitig auf Gefahren stürzt und diese dann zur eigenen Legitimation noch mit populistischen Anleihen überhöht, wird der Aufgabe nicht gerecht, die ihm der Gesetzgeber mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zu erkannt hat.
Man kann daher auch über die Regulierungsvorschläge von Christian Wolf und Nadja Flegler nur schwer inhaltlich streiten. Wer unterschiedliche Sachverhalte vor Augen hat, braucht sich nicht wundern, wenn er in der Regulierung zu unversöhnlichen Ansätzen kommt. Wer meint, die Anwaltschaft und ihre „core values" als Stellvertreterin der Allgemeinheit sei vor halbseidenen Scharlatanen und Abzockern zu schützen, kommt zwangsweise zu anderen Regulierungsvorschlägen als derjenige, der Digitalisierung als Chance für Kosten- und Risikoentlastung der Rechtssuchenden und ein mehr an „Zugang zum Recht“ insgesamt sieht.
Nehmen wir das viel gescholtene Abtretungsmodell: Mit der rechtsstaatlichen Apokalypse vor Augen mag es geradezu als ein liberaler Impuls erscheinen, die Abtretung zur Forderungsdurchsetzung zuzulassen, wenn wenigstens zuvor eine anwaltliche Beratung des Kunden erfolgt ist (Stellungnahme, S. 10). Wer indes eher nüchtern zur Kenntnis nimmt, dass in Deutschland deutlich über 300.000 Ansprüche nach dem Abtretungsmodell in den jüngeren Jahren rechtshängig gemacht wurden (eigene Schätzung; kann bei Bedarf gerne belegt werden) und keine genuin im Abtretungsmodell liegenden Kundenbeschwerden bekannt geworden sind, wird die vorherige, imperative Anwaltsberatung irgendwo zwischen Gängelei und nicht zu rechtfertigendem Grundrechtseingriff verorten. Und als ein Angriff auf die um den Ausgleich von Recht und Unrecht bemühte Gesellschaft, weil künftig auf dem Weg zum Recht mit dem Rechtsanwalt ein weiterer kostspieliger und – wie die Geschichte bis hierhin gezeigt hat – verzichtbarer Stein im Weg liegen soll.
Auch das hätte daher eine (noch) wertvollere Stellungnahme ausgemacht: Zu benennen, wo tragfähige, datenbasierte Evidenz fehlt und mitzuteilen, wo die Lebenswirklichkeit statt tief schwarz ebenso strahlend weiß sein könnte. Das fehlt und entbehrt daher nicht der Ironie, dass ausgerechnet diese Stellungnahme – die Abzocke und Irreführung anprangert – sich wird von eigener Irreführung nicht ganz freisagen können. Das ist schade.
Dass es auch anders geht, hat jüngst Elisa Hoven, eine junge Strafrechtsprofessorin in Leipzig und Verfassungsrichterin in Sachsen, in einem ganz anderen Kontext eindrücklich zur Schau gestellt:
Auf die immerwährende Salonforderung, dass Straftäter, gerade bei Sexualdelikten, härter bestraft werden mögen, entgegnete Elisa Hoven (Deutschlandfunk Zwischentöne v. 4.10.2020), dass wir hierüber nur schwerlich sinnvoll diskutieren können solange keine ausreichende empirische Grundlage zur Rechtstatsächlichkeit vor deutschen Gerichten vorliege. So sei es etwa müßig den Strafrahmen zu erhöhen, wenn man jenseits eines diffusen Bauchgefühls nicht wisse, wie er in der Praxis überhaupt genutzt werde. Das ist zwar gegen den populistischen Mainstream, aber trotzdem klug und leuchtet ein. Denn wie soll man regeln und verändern, von dem man nicht weiß, was ist?
Doch sind wir tatsächlich, was die im RDG zu regulierende Sachgrundlage angeht, so ahnungslos? Wohl eher nicht. BVerfG und BGH haben den Leviathan höchst selbst auf dem Tisch gehabt und an ihm nicht mehr gefunden als ein Rotkäppchen, dass Schutz und Pflege bedarf, um sich sinnstiftend und bereichernd in den Dienst der Gesellschaft stellen zu können. Es bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber diesen unmittelbar aus der Verfassung entspringenden Gestaltungsauftrag nun umsetzt. Und den Leviathan in der Märchenkiste belässt.
Business Development Manager - Cooperations/ Affinity at ARAG SE
3 JahreGrundsätzlich sollte m.E. eine „Stellungnahme zum Gesetzentwurf eines Gesetzes zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt“ auch die aktuelle Situation aus Sicht des Verbrauchers beleuchten. Hier setzen wir jedoch aktuell tatsächlich (wie von Jan-Eike Andresen angemerkt) auf einer sehr dünnen empirischen Datengrundlage auf. Dies löst dann hoffentlich zumindest ein Stück weit die im August 2020 vom BMJV in Auftrag gegebene Studie zur „Erforschung der Ursachen des Rückgangs der Eingangszahlen bei den Zivilgerichten“. Leider müssen wir mit den Ergebnissen aber noch bis zum Februar 2023 warten. Ich hoffe, dass diese Studie ebenso Hinweise und Wirkungszusammenhänge des Einflusses von Legal Techs (in der der Stellungnahme zugrunde liegenden Definition), von erfolgsabhängigen Geschäftsmodellen, Rechtsschutzversicherungen und der „Beigabe finanzieller Mittel in das System“ (S. 39 der Stellungnahme) auf den Zugang zum Recht beinhaltet und konstruktive Ideen für die zukünftige Gestaltung verbrauchergerechte Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt entwickelt.