Banks are facing trouble with supervisory reporting

Von Bernd Neubacher, Frankfurt

Börsen-Zeitung, 21.08.2018

Die deutsche Kreditwirtschaft hat ein Problem: Beim marktbeherrschenden Anbieter Bearing Point klemmt die Einführung einer neuen Standardsoftware fürs Meldewesen. Banken sorgen sich darum, nicht mehr meldefähig zu sein.

Das bankaufsichtliche Meldewesen erfreut sich in den Führungsetagen von Banken eher selten des gehobenen Interesses. Das könnte sich bald ändern: Probleme beim Melde-Softwareanbieter Bearing Point sorgen in den Banken zunehmend für Kopfschmerzen, Verzögerungen, Zusatzkosten und Unmut. Das niederländische Beratungshaus und sein Produkt Abacus ist im Meldewesen nicht irgendein Anbieter, sondern Platzhirsch: "Abacus ist heute nicht nur die marktführende Meldewesen-Software im deutschsprachigen Raum, sondern hat im letzten Jahr auch zahlreiche internationale Banken und Aufsichtsbehörden im In- und Ausland als Neukunden gewinnen können", wirbt Bearing Point für sich. Zu den Nutzern von Abacus zählen unter anderem die Commerzbank, die Deutsche Postbank, die DZ Bank, die DekaBank, diverse Landesbanken, die BerlinHyp, die Hamburger Sparkasse (Haspa), aber auch kleinere Institute wie die Bank für Sozialwirtschaft sowie Versicherer.

Ein Thema für die Aufsicht

Damit allerdings sind Probleme im Betriebsablauf potenziell rasch ein Thema auch für die Bankenaufsicht. Merke: Hat eine Bank Probleme im Meldewesen, ist dies das Problem dieser Bank - hat aber das Gros der deutschen Banken Meldeprobleme, ist dies ein Problem der Aufsicht. Die Deutsche Bundesbank erklärt auf Anfrage vorbeugend: "Die Erfüllung der Meldepflichten obliegt den Instituten, die Auswahl geeigneter Produkte und Infrastrukturen ebenso. Die Bundesbank geht davon aus, dass alle Institute und Anbieter bei etwaigen Schwierigkeiten die erforderlichen Anstrengungen zur schnellen Lösung unternehmen."

Die Geschichte der lange Zeit erfolgreichen Software Abacus, mit deren Überarbeitung Bearing Point sich verhoben hat, lässt sich dabei in verschiedenen Versionen lesen: Als Erzählung von einem Dienstleister, der im Erfolg wie so viele vor ihm die größten Fehler begeht, ebenso als Beleg für inzwischen irrwitzige Meldeanforderungen der Aufsicht, die mittlerweile selbst ein erfahrener Dienstleister nicht mehr zu bewältigen vermag, aber auch als Episode, die aufzeigt, wie die Abhängigkeit von einem einzigen Dienstleister Banken gefährlich werden kann.

Sie beginnt mit der Idee, die rund zehn Jahre lang erfolgreiche Software Abacus DaVinci für die Solvenzmeldung (COREP) und die Finanzberichterstattung (FINREP) im Lichte neuer Anforderungen zu modernisieren und es Banken mit einem neuen Produkt "Abacus 360" zu ermöglichen, zum Beispiel Szenarien und Stresstests zu rechnen. Und sie bekommt bald einen ernsten Hänger, da die Einführung stockt.

Bearing Point, die im vergangenen Jahr ihren Umsatz um 13 % auf den Rekordwert von 721 Mill. Euro gesteigert und dabei im Geschäftsbereich Regtech prozentual zweistellig zugelegt hat, verspricht anfangs ein "neues, optimiertes Datenmodell, so dass selbst unter sich ständig verändernden Rahmenbedingungen eine langfristige nachhaltige Wartung möglich ist" sowie "eine maßgeschneiderte Optimierung von Reportingprozessen, Regulatory Analytics und Regulatory Management".

Kunden aber stellen plötzlich fest, dass die Performance "überhaupt nicht mehr stimmt". Ließen sich aufsichtliche Meldungen zuvor in sechs bis acht Sunden über Nacht erstellen, braucht dies nun mehrere Tage. Dies sei "absolut inakzeptabel", heißt es: "In diesem Stadium befinden wir uns jetzt seit über einem Jahr." Die Folge: Banken haben mehr Aufwand, weil sie eigene Expertise einbringen müssen, Einführungsprojekte werden ausgeweitet, verteuern sich auf geschätzt das Doppelte an Kosten, und das Risiko, nicht meldefähig zu sein, nimmt zu.

Ein Sorgenkind ist dabei die parallele Verarbeitung einer großen Menge von Daten. In größeren Häusern kann ein Verarbeitungsprozess schon einmal bis zu 10 Millionen Einzelkonten umfassen, daher müssen diese Banken verschiedene Rechner gleichzeitig laufen lassen und die Resultate anschließend zusammenführen. "Da gab es nicht nachvollziehbare Fehler in der Anwendung", ist zu hören. Auch die Erstellung der sogenannten, vom Baseler Standard BCBS 239 vorgeschriebenen Audit Trails lasse zu wünschen übrig. Die technischen Anforderungen erhöhten nicht nur die Laufzeit, sondern führten auch zu fachlichen Problemen. Offiziell äußern wollen sich betroffene Banken nicht.

All dies ist unschön, steht doch Ende September eine erste größere Meldung von Daten für Anacredit, das Kreditregister der Europäischen Zentralbank (EZB), auf der Agenda. Ein Sprecher von Bearing Point erklärt auf Anfrage: "Bei der Einführung von Abacus 360 im Jahr 2017 mussten wir eine Komponente in der neuen Generation unserer Softwareplattform ersetzen." Dieser Sachverhalt, der sich ausschließlich auf das Melde-Modul Anacredit bezogen habe, sei den Kunden bereits im August 2017 mitgeteilt worden. Die wesentlichen Punkte im Meldemodul Anacredit seien Stabilität sowie Skalierbarkeit bei größeren Portfolien gewesen, wird bestätigt. Zur Lösung der Themen habe Bearing Point in einer Testreihe "einen neuen Ansatz für die verteilte Verarbeitung" geprüft. Die Ergebnisse zeigten, dass mit dem neuen Ansatz "eine Skalierbarkeit bis weit über die heute benötigten Datenvolumina hinaus erreicht werden kann".

Bearing Point habe Kunden "schon Ende des letzten Jahres eine Lösung zur Verfügung gestellt, mit der sie die Anacredit-Meldepflichten erfüllen konnten. Die Meldebereitschaft in allen anderen Bereichen war und ist auch zukünftig durch die bewährte Plattform abgedeckt", wird betont. Eingeführt hatte Bearing Point das erste Abacus-360-Banking-Release im Juni vergangenen Jahres. Inzwischen habe man die Lage im Griff, heißt es dort.

Noch habe kein neues Release erhebliche Verbesserungen gebracht, heißt es dagegen im Markt. Die Ansage dort: "Was wir brauchen, ist ein verlässliches Meldesystem, das läuft." Eigentlich solle Abacus 360 schon längst bei den Kunden in Betrieb sein, heißt es. Nun liefen vielmehr die Banken beweglichen Zielen hinterher. Ständig werde am System herumgeflickt, Eingangsschnittstellen würden verändert, und inzwischen befinde man sich zwei Jahre hinter dem ursprünglichen Zeitplan. Sei vor zwei Jahren versprochen worden, Ende 2018 sei man maßgeblich migriert, sei nun davon die Rede, dass es bis 2020 dauern dürfte.

"Hoher Zeitdruck"

"Wir haben festgestellt, dass die Fertigstellung der neuen Abacus-360-Plattform bis Ende 2018 zu ambitioniert gewesen ist und nicht nur bei uns, sondern auch bei unseren Kunden zu hohem Zeitdruck geführt hätte", erklärt Bearing Point dazu: "Wir geben nun uns und unseren Kunden mehr Zeit sowohl bei der Softwareentwicklung als auch bei der Migration auf die neue Plattform. Des Weiteren haben wir uns entschieden, die Wartung für die augenblickliche Plattform Abacus zu verlängern. Die Abacus-360-Entwicklungskapazitäten wurden auf Anacredit konzentriert." Wie 2017 angekündigt, werde Bearing Point Ende August eine "neue Release-Roadmap für Abacus 360" vorlegen.

Einstweilen lassen gerade größere Banken ihr bisheriges System als Sicherheitsnetz auf einer zweiten Infrastruktur neben dem neuen Produkt parallel laufen. Man wolle nicht riskieren, dass die Meldefähigkeit gefährdet sei, wenn für die neue Software einmal wieder Patches (Flickwerk/Nachbesserungen) aufgespielt würden, heißt es: "Wir sind meldefähig, aber es kostet Geld."

Mit dem Mehraufwand und dem Unmut der Institute wachsen auch die Zweifel an Abacus. Anacredit bringe eine Masse an Daten mit sich, sei aber noch eine der weniger komplexen Meldungen, meint ein Beobachter, der sich froh darüber zeigt, dass 2019 erst einmal keine neue Regulierung im Meldewesen umzusetzen sei. So könne das alte System noch eine Weile laufen. Aber: "Wir brauchen ein funktionierendes Produkt, sonst bekommen wir ganz andere Probleme."

Externe Partner

Dem Vernehmen nach hat sich Bearing Point mittlerweile ihrerseits externe Hilfe ins Haus geholt, um der Probleme Herr zu werden - zu spät, wie man bei Beobachtern meint. "Bearing Point arbeitet seit vielen Jahren innerhalb seines Netzwerks mit externen Partnern zusammen - sowohl bei Einführungsprojekten als auch in der Softwareentwicklung", hießt es beim Anbieter dazu.

In den Instituten machen derweil Überlegungen die Runde, sich von Bearing Point zu lösen. Dies sei schon aus Gründen der Steuerung operativer Risiken geboten, heißt es. Wer Verantwortung trage, müsse sich daher nach Alternativen umschauen.

Mancher Beobachter zieht schon Parallelen zum Aufstieg von Bearing Point und dem Niedergang des früheren Marktführers Logica: Die heutige Nummer 1 habe im vergangenen Jahrzehnt mit Abacus DaVinci die damalige Nummer 1 nur deshalb ablösen können, weil diese am Versuch gescheitert sei, ihr Produkt Samba mit dem Wechsel zum Baseler Kapitalstandard Basel II zu modernisieren und etwa um interne Modelle zu erweitern, heißt es.

"Nicht destabilisieren"

Im Ausland ansässige Anbieter wie Wolters Kluwer oder Axiom haben ebenfalls Melde-Software im Programm. Ein Universalanbieter, der kurzfristig einspringen könnte, sei dabei allerdings nicht in Sicht. Bis der Wechsel zu einem Abacus-Konkurrenten möglich wäre, dürfte ohnehin mehr Zeit vergehen, als die Meldepflichten den Banken lassen. In den kommenden Quartalen werde man noch mit Abacus arbeiten müssen, heißt es. Schon machen Warnungen die Runde, man dürfe Abacus jetzt "nicht destabilisieren". Es gibt aber ebenso Institute, die Abacus die Stange halten wollen. "Ich habe momentan volles Vertrauen, dass die das hinkriegen", meint ein Beobachter. Immerhin hat Bearing Point am Aufbau von Aurep, der Meldefabrik der österreichischen Banken, mitgewirkt.

Der Idee, in einem Zusammenschluss aus Banken eine eigene Software zu entwickeln, räumt man derweil nicht allzu hohe Chancen auf Realisierung ein. Dies würde nur neue Kosten bedeuten, welche die Nutzung eines Anbieters von Standardsoftware ja gerade vermeiden soll, heißt es. Zudem lassen die Trends in der Bankenaufsicht erkennen, dass eines nicht allzu fernen Tages die Banken der Aufsicht nur mehr Rohdaten liefern und diese die Meldungen, aber auch Stresstests gleich selbst rechnet - da müssten sich Investitionen in eine eigene Lösung schon sehr rasch amortisieren, wie argumentiert wird. Einstweilen lassen sich am Beispiel Abacus somit nicht zuletzt die Fallstricke einer Bankenaufsicht studieren, die fordert, dass Kreditinstitute einmal an Dienstleister ausgelagerte Aufgaben notfalls jederzeit wieder ins Haus zurückholen können. Wenn der Fall Abacus allen Beteiligten eines vor Augen führt, dann die Erkenntnis, dass eben dies nicht möglich ist.

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