Berufliche Neuorientierung mit 50
„Ich weiß jetzt, was ich will!” Meine Klientin Katrin strahlte. In unserer letzten gemeinsamen Coaching-Sitzung war plötzlich der Knoten geplatzt. Die Zweifel, von denen sie mir in unseren Gesprächen immer wieder erzählt hatte, konnten zuletzt nicht gegen Katrins Neugier, ihre Offenheit und ihre Lebensfreude ankommen. Jetzt saß mir eine glückliche, gelöste Frau gegenüber, die zwei wichtige Entscheidungen getroffen hatte: Erstens wird sie sich eine längere berufliche Auszeit gönnen, die ganz im Zeichen ihres persönlichen Wachstums und ihrer neu entdeckten Leichtigkeit stehen soll. Und zweitens weiß sie, dass sie danach nicht mehr in den Job zurückkehren wird, den sie mehr als zwanzig Jahre lang ausgeführt hat. Mit über 50 Jahren ist Katrin jetzt bereit, ihrem Leben noch einmal eine ganz neue Wendung zu geben. Anstatt den Frust über ihren Berufsalltag und ihre unerfüllten Träume herunterzuschlucken und auf die Rente zu warten, wird sie mit einer beruflichen Neuorientierung selbstbestimmt dafür sorgen, dass die nächste Phase ihres Berufslebens ein spannendes Abenteuer wird, in dem sie sich neuen Herausforderungen stellen und ganz neue Seiten an sich entdecken kann.
Ich freue mich immer besonders, wenn ich erleben darf, dass Menschen wie Katrin, die längst nicht mehr am Anfang ihres Berufslebens stehen, sich von ihren Ängsten befreien und den Schritt in die berufliche Neuorientierung wagen. Es ist eine besondere Leistung, denn die Zweifel und blockierenden Glaubenssätze, die die meisten von uns plagen, wenn es um berufliche Veränderung geht, sind bei Menschen über 50 ganz besonders laut. Allen voran natürlich die große Frage „Ist es nicht schon viel zu spät?” (Du ahnst es schon: Die Antwort darauf ist ein klares „Nein”!) Viele Menschen in diesem Alter kommen deshalb gar nicht erst so weit, dass sie sich ernsthaft auf den Gedanken einer beruflichen Neuorientierung einlassen, geschweige denn, das Vorhaben mit einem Coach angehen. Doch wenn sie es tun, dann kann das zu ganz fantastischen und überraschenden Ergebnissen führen.
Wenn Du diesen Artikel gefunden hast, hast Du Dich wahrscheinlich auch schon einmal mit dem Gedanken beschäftigt, beruflich noch einmal ganz neue Wege einzuschlagen. Deshalb möchte ich dir hier meine Top 3 Erkenntnisse zur beruflichen Neuorientierung mit 50 plus mitgeben. Ich hoffe, sie werden Dich ermutigen, Dich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen. Dafür bekommst Du am Ende dieses Artikels noch ein paar konkrete Tipps, wie Du gleich ins Handeln kommen kannst.
Die Amerikanerin Julia Child studierte Geschichte und arbeitete dann viele Jahre lang in der Werbebranche. In den 1950er Jahren wurde ihr Mann beruflich nach Paris versetzt. Julia begleitete ihn, entdeckte ihre Leidenschaft für die französische Küche und besuchte in ihrer Freizeit Kochkurse. Im Alter von 50 Jahren schrieb sie ihr erstes Kochbuch, um dem amerikanischen Publikum ihre Begeisterung für französische Gerichte nahezubringen. Sie hatte große Zweifel, ob sie überhaupt einen Verlag finden würde, geschweige denn eine Leserschaft. Doch das Buch wurde zu einem Bestseller und in den folgenden Jahren begeisterte Julia mit ihren Kochbüchern und Kochsendungen im Fernsehen ein Millionenpublikum.
Ähnlich verlief auch die Karriere der Modedesignerin Vera Wang. Sie war 40, als sie ihren Job als Modejournalistin aufgab und den Schritt wagte, eine eigene Boutique für Brautmode zu eröffnen. In ihren 50ern baute sie ihr Geschäft zu einer weltweit bekannten Marke auf, die inzwischen Millionenumsätze macht. Heute, mit über 70, ist sie heute noch immer höchst produktiv und innovativ und die Reichen und Schönen heiraten am liebsten in von ihr entworfenen Kleidern.
Bitte versteh mich nicht falsch, natürlich muss das Ziel einer beruflichen Neuorientierung mit 50 nicht weltweiter Ruhm und Millionenumsätze sein. Doch was ich Dir mitgeben möchte, ist, dass selbst eine absolute Spitzenkarriere nicht zwangsläufig geradlinig verläuft, dass viele Menschen erst spät ihre wahre Berufung finden, und vor allem, dass Menschen jenseits der 50 unheimlich viel zu bieten haben. Wäre es nicht wahnsinnig schade gewesen, wenn Julia Child auf ihre Zweifel gehört, ihr Manuskript in die Schublade gesteckt, und auf die Rente gewartet hätte?
Apropos Rente. Vielleicht kennst Du die innere Stimme, die Deinen Wunsch nach Veränderung verdrängt und sagt: “Ach, und so schlimm ist es auch wieder nicht, und wenn ich noch ein paar Jahre durchhalte, kann ich in der Rente endlich tun, was mir Spaß macht.” Dazu möchte ich Dir zwei Gedanken mitgeben. Erstens: Egal wie gesund wir heute sind, leider hat keiner von uns eine Garantie darauf, dass wir noch viele Jahre lang körperlich und geistig fit genug sein werden, unsere Träume zu verwirklichen. Bitte schiebe deshalb nichts bis zur Rente auf, was Dir wirklich wichtig ist. Und zweitens: Stell Dir vor, Du könntest in Deinem Leben schon jetzt Raum für eine neue Tätigkeit schaffen, die Dich so begeistert, dass Du sie gar nicht aufgeben möchtest, wenn Du das Rentenalter erreicht hast. Wäre es nicht viel schöner, wenn Du Dir mit Mitte 60 überlegen kannst, in welcher Form Du Deiner Berufung weiter nachgehen kannst, anstatt die Tage zu zählen, bis Du endlich nicht mehr arbeiten musst?
2. Mit 50 zu alt? Nein - Dein Alter ist Deine Stärke
„Ich bin doch schon viel zu alt, um jetzt noch einmal etwas Neues zu machen. Vor zehn Jahren wäre das vielleicht gegangen, aber ich glaube, jetzt ist der Zug abgefahren.” Solche Zweifel höre ich als Coach für berufliche Neuorientierung immer wieder von meinen Klienten. Und weißt Du was? Diese Aussagen kommen von Menschen in jedem Alter, egal ob Ende 20 oder Anfang 50. Denn es gibt kein Alter, in dem es zu spät ist, etwas zu verändern. Aber leider neigen wir in jedem Alter zu denselben blockierenden Gedanken. Was Dich heute zurückhält, ist nicht Dein Alter, sondern die innere Stimme, die Dir immer neue Gründe serviert, warum Du lieber nichts verändern solltest.
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Wenn Du glaubst, dass Du aufgrund Deines Alters in einem neuen Tätigkeitsbereich nichts zu bieten hättest, lade ich Dich ein, einmal zu überlegen, wie Du Dich seit dem Beginn Deiner beruflichen Laufbahn verändert hast und wie unglaublich viel Du gelernt hast. Vielleicht hast Du junge Kollegen oder Kinder, die gerade erst ins Berufsleben starten und siehst, mit welchen Problemen und Selbstzweifeln sie zu kämpfen haben. So vieles, was Dir als „alter Hase” heute selbstverständlich erscheint, hast Du über die Jahre mühevoll erlernt.
Klar, jüngere Menschen haben Dir vielleicht in ein paar Bereichen Fähigkeiten voraus, weil sie sich z. B. selbstverständlicher in der digitalen Welt bewegen. Doch diese Fähigkeiten kannst Du Dir schnell draufschaffen, wenn es sein muss. Andersherum geht das nicht so einfach. Den Erfahrungsschatz, den Du aufgrund Deines Alters mitbringst, kann man nicht schnell in einer Fortbildung nachholen.
Und dabei spreche ich nicht nur von Deinen beruflichen Erfahrungen. Vergiss auch die Fähigkeiten nicht, für die Dir nie ein Zeugnis ausgestellt wurde, aber die dennoch zu Deinen absoluten Stärken zählen: Mit über 50 hast Du Dich privat wie beruflich schon in zahlreichen Situationen beweisen müssen. Du bist geübt im Umgang mit allen möglichen Menschen, musstest Deine Kommunikationsfähigkeiten schärfen und sicher schon den ein oder anderen Konflikt lösen. Du hast vielleicht Kinder großgezogen, ein Haus gebaut, kranke Angehörige gepflegt, eine Scheidung überstanden, Deine Finanzen erfolgreich gemanagt, Wissen an andere vermittelt, Freunde in Lebenskrisen beraten, und, und und …
Was Menschenkenntnis, emotionale Stabilität und Stressresistenz angeht, hast Du vielen jüngeren Kollegen sicher eine Menge voraus.
3. Gib Dir die Erlaubnis, mehr zu wollen
Als Katrin mit mir Kontakt aufnahm, war ihr schon lange klar, dass sie beruflich etwas ändern musste. Seit mehr als zwanzig Jahren arbeitete die studierte Sozialpädagogin höchst engagiert an einer Grundschule. Immer wieder suchte sie sich neue Herausforderungen und übernahm zum Beispiel die Koordination der Ganztagsbetreuung an der Schule. Doch zuletzt fühlte sie sich nur noch unterfordert und unzufrieden. Ihr war klar, dass es das für sie noch nicht gewesen sein konnte. Und trotzdem kam sie einfach nicht ins Handeln und drehte sich gedanklich immer im Kreis. Sie fragte sich, wie ihre Familie und ihr Umfeld reagieren würden, wenn sie ihren Job aufgeben würde. Könnte sie es sich wirklich erlauben, eine Weile einfach von ihren Ersparnissen zu leben, um sich neu zu orientieren? Und was, wenn sie dann keinen neuen Job finden würde?
Ich kann diese Zweifel sehr gut verstehen. Gerade Menschen über 50 bringen meistens etwas mehr „Ballast” mit ins Coaching, wenn es um eine berufliche Neuorientierung geht. Ihre persönlichen und finanziellen Verpflichtungen sind meistens weit höher als die von jüngeren Menschen und zudem sind sie oft stärker von der Vorstellung geprägt, dass man einen Beruf ein Leben lang ausführt – eine Idee, von der die jüngeren Generationen sich bereits zunehmend verabschieden. Daher rate ich zunächst einmal: Gib Dir die Erlaubnis, mehr zu wollen. Klammere die Bedürfnisse und Meinungen Deines Umfeldes zunächst aus und überleg Dir gezielt, was Dich in Deiner jetzigen Situation besonders belastet und was Dich glücklich machen würde.
Hast Du erstmal einen Ideen-Fundus gesammelt, kannst Du im nächsten Schritt daran gehen, diese Ideen alltagstauglich zu machen. Auch in meinen Sitzungen mit Katrin wurde schnell klar: An Ideen fehlt es ihr nicht! Im Laufe unseres Coachings stießen wir auf zahlreiche Interessen, für die in Katrins bisherigen Arbeitsalltag kein Raum war. Zum Beispiel hatte sie im familiären Umfeld Erfahrungen in der Sterbebegleitung gesammelt. Ermutigt durch unser Coaching besucht sie nun eine Fortbildung zu dem Thema und wird sich in ihrer Auszeit überlegen, ob sich dieses Interesse in ihre nächsten beruflichen Schritte integrieren lässt. Indem Sie sich die Erlaubnis gegeben hat, sich ganz gezielt mit Ihren Interessen und Fähigkeiten zu beschäftigen, hat Katrin die Tür zu vielen neuen Möglichkeiten aufgestoßen und eine neue Leichtigkeit gefunden. Möchtest auch Du diesen Schritt gehen?
Dann möchte ich Dir hier zum Schluss fünf Ideen für Listen mitgeben, die Du erstellen kannst, um die ersten entscheidenden Schritte für eine berufliche Neuorientierung mit 50 zu gehen. Nimm Dir dafür bitte genug Zeit. Nimm Dir zunächst mindestens eine Stunde pro Liste und schreibe alles auf, was Dir intuitiv in den Sinn kommt. Lass die Gedanken dann mindestens einen Tag wirken und nimm Dir die Liste dann ein zweites Mal vor, um sie zu ergänzen.