Bewerbungsgespräch 3.0 – wer bewirbt sich heute eigentlich bei wem?

Bewerbungsgespräch 3.0 – wer bewirbt sich heute eigentlich bei wem?

Stellen Sie sich bitte kurz folgende Situation vor: Sie reservieren beim teuren Edelitaliener einen Tisch für Sie und Ihre Begleitung. Beruflich läuft es für Sie gerade richtig gut und das wollen Sie feiern. Nachdem Sie warm empfangen und an Ihren weiss gedeckten Tisch geführt wurden, erscheint der Küchenchef und bittet Sie, ihm eine ganze Reihe von Fragen zur italienischen Küche, Geschichte und Kultur zu beantworten, um so herauszufinden, ob Sie dem Ristorante als Gast grundsätzlich genehm sind und er überhaupt für Sie kochen will.

Wie würden Sie reagieren? Überrascht? Überfordert? Empört? Das ist verständlich, denn diese Situation würde Sie mit Sicherheit heraus- und allenfalls auch überfordern.

Sie denken nun sicher, dass dieses Gedankenspiel keine Entsprechung in der Wirklichkeit hat und es deshalb nicht viel Sinn ergibt, mögliche Reaktionen auf den unflätigen Küchenchef zu antizipieren. Richten wir aber unseren Blick auf das Bewerbungsgespräch und darauf, wie heutzutage die Rollen von arbeitsuchender und arbeitgebender Person verteilt sind, entdecken wir Erstaunliches. Was vor einigen Jahren noch undenkbar schien, ist inzwischen oft Realität: Sie als Unternehmerin oder als Führungskraft, die eine bestimmte Stelle besetzen möchte, befinden sich in einer Situation, in der Sie der Kandidatin oder dem Kandidaten Ihr Unternehmen und den Job genauso glaubhaft und begeisternd erklären können müssen, wie die Jobsuchende ihre Motivation und Fähigkeiten.

Was ist passiert?

Im Grunde ist das schnell erklärt: Die Rollen haben sich, wenn nicht vertauscht, so einander dennoch stark angeglichen. Interviewer und Interviewte müssen sich gleichsam bemühen, sich von der besten Seite zu zeigen. Mit dem Unterschied, dass die Kandidatin oder der Kandidat oftmals weitere Job-Optionen hat, wo hingegen die Arbeitgeberin nicht mehr wie früher aus vollen Bewerberinnen-Reihen schöpfen kann.

Der neue Knigge fürs Bewerbungsgespräch

Das bedeutet für Sie, falls Sie eine Stelle zu besetzen haben, vor allem zweierlei: Sie müssen die Wertesysteme, Bedürfnisse und Lebensmaximen der Bewerbenden kennen, verstehen und ihnen im besten Fall gerecht werden können. Sie müssen aber auch, und das dürfte der anspruchsvollere Part sein, die Art und Weise, wie Sie Bewerbungsgespräche bisher strukturierten und gestalteten, überdenken. Sie wissen, dass ein gutes Arbeitsklima, flache Hierarchien, Eigenverantwortung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie usw. Top of Minds vieler Bewerberinnen und Bewerber sind. Dementsprechend darf Ihr Auftritt am Bewerbungsgespräch all diesen Faktoren nicht entgegenwirken. Wie treten Sie grundsätzlich auf, was für Fragen stellen Sie der Kandidatin, was für Fallbeispiele wählen Sie, wie sondieren Sie die berufliche Vergangenheit der Person vor Ihnen, wie präsentieren Sie Ihr eigenes Unternehmen… Alles Fragen, die Sie heute nicht mehr dem Zufall – und noch viel weniger der Art und Weise, wie Sie es früher gemacht haben – überlassen sollten.

Gerne gebe ich Ihnen gleich ein paar Do’s und Dont’s mit auf den Weg. Vorab aber ein wichtiger, grundsätzlicher Hinweis: Es hilft, wenn Sie sich vor einem Bewerbungsgespräch nochmals in Erinnerung rufen, dass dem Interview oftmals ein langer und intensiver Suchprozesses vorangegangen, das Gespräch einen entscheidenden Moment innerhalb der gesamten Candidates Experience darstellt und dass die Auswahl an geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten nicht unerschöpflich ist. Diese kleine Mediation prägt Ihr Mindset dahingehend, als dass Sie das anstehende Gespräch als wertvoll(er) taxieren und allfällige Distanz schaffende Verhaltensweisen organisch ablegen.

Do’s und Don’t’s 

  1. Schaffen Sie eine angenehme Gesprächsatmosphäre im Büro oder Sitzungszimmer, gekühlt im Sommer, geheizt im Winter usw.
  2. Erkundigen Sie sich nach der Befindlichkeit der Bewerberin oder des Bewerbers.
  3. Erklären sie den Gesprächsablauf und stellen Sie sich selber vor.
  4. Seien Sie nahbar und glaubhaft interessiert an den Aussagen der Bewerberin oder des Bewerbers.
  5. Wählen Sie beim Skills-Check keine Katastrophen-Szenarien aus Ihrem Unternehmen, zu welchen die Kandidatinnen/Kandidaten Lösungswege aufzeigen sollen.
  6. Fragen Sie nach praktischen Erfahrungen und Erfolgen und schauen sie nach dem Potential und den Stärken. Suchen Sie nicht primär nach den Lücken.
  7. Kalkulieren Sie auch Zeit ein, damit noch Zeit bleibt, um Fragen zu stellen.
  8. Überlegen sie sich im Vorfeld, was Ihre Unternehmung, Ihr Team und die Arbeit wertvolles zu bieten hat.
  9. Lassen Sie das «Pokerface» weg, wenn Ihnen ein Gespräch gefällt und zeigen Sie dies auch.
  10. Holen Sie die Gehaltserwartungen rechtzeitig ab, damit nicht am Schluss vom Prozess Überraschungen und Enttäuschungen entstehen.
  11. Definieren sie gleich das weitere Vorgehen mit einem Zeitplan, damit der Prozess schnell vorangetrieben werden kann.

Viel Erfolg!

Doris Fink


Es braucht kein Interwiew! Allein schon das Wort! Interview?? Muss ich Rede und Antwort stehen? Für meine Vitae? Was mir im Leben passiert ist? Niemand, der nicht in meinen Mokassins gelaufen ist, darf sich über mich eine Meinung bilden! Niemand! Auch nicht Entscheidungsträger! Ich führe gerne ein Kennenlernen-Gespräch! Ob, die Zusammenarbeit passen könnte? Aber, die meisten Linien-Verantwortlichen haben doch eh eine vorgefertigte und damit vorgefestige Haltung! Sie sind getrieben von Fragen wie: Wird dieser Bewerber mir gefährlich? Sägt er an meinem Stuhl? Diese Fragen sind menschlich, basierend auf dem Ego der Führungsebene! Aber nicht zielführend! Schon gar nicht für ein Unternehmen! Always be a unicorn!

Ezra Pierpaoli PhD

Seasoned pharma professional from medical affairs to business development

1 Jahr

Das Beispiel des Küchenchefs habe ich auch schon erlebt. Ein "Bewerbungsgespräch" bei dem es kein Gespräch gab sondern 1 Std. lang vom Interviewer vorbereitete Fragen und Fallbeispiele beantworten. Ich fühlte mich wie in einer Uniabschlussprüfung. Aus der Stelle ist dann auch nichts geworden.

Josef G. Küffner

Project Manager @ Kanton Aargau | Business Development, Networking

1 Jahr

Liebe Doris Fink to the point!

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