Bewusste Beziehungen leben - beruflich und privat.

Bewusste Beziehungen leben - beruflich und privat.

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Es gilt die gleiche Frage in allen Beziehungen: Wo kann ich bei mir selbst ansetzen?

Anjet Sekkat ist Beziehungscoach und Autorin von Partnerschaft Reloaded (2022). Erfahre mehr zum Buch im Gespräch mit Nadjeschda Taranczewski und Anjet Sekkat.

Anjet, was ist das größte Hindernis für eine glückliche Beziehung?

Auch wenn es fast schon ein Klischee ist: Das größte Hindernis ist unser Wunsch, dass unsere Partnerin, unser Partner anders wäre, dass sie oder er sich doch einfach nur verändern soll. Die Illusion ist, dass wenn der/die andere dies einsehen und sich verändern würde, die Schwierigkeiten in der Beziehung gelöst würden. Die Herausforderung ist, unseren Partner oder unsere Partnerin so sein zu lassen wie er/sie ist in ihrer Andersartigkeit. Stattdessen gilt es, dass wir bei uns selbst beginnen, hier liegt unser größter Hebel.

Wo kann jede:r bei sich selbst ansetzen, um die eigenen Beziehungen zu verbessern?

Natürlich können bestimmte Aspekte in dem/der andere/n herausfordernd für mich sein. Mit dieser inneren Herausforderung meinerseits muss ich mich beschäftigen und schauen, was ich brauche und vor allem, was ich hierdurch über mich selbst und meine Vergangenheit lernen kann.

Also: Erinnert mich etwas an alte Erfahrungen aus meiner Herkunftsfamilie oder an andere Beziehungen? Wo habe ich Muster aufgebaut, die mir sehr dienlich waren? Ich kann lernen, mir diese Wiederholungen anzusehen, bewusst zu machen und auszutreten. Wenn ich etwas Neues über mich gelernt habe, dann begegne ich auch meinem Partner oder meiner Partnerin frisch. Von diesem neuen Platz aus gestalte ich meine Beziehungen im hier und jetzt neu. Mit anderen Worten: Wenn ich mich in meiner Beziehung wie in einem Hamsterrad fühle, dann muss zuerst ich aus meinem Hamsterrad raus - und was meine Partnerin oder mein Partner dann macht, können wir später sehen.

Wie können wir mit der zusätzlichen Belastung umgehen, die durch die Pandemie entstanden ist?

Was wir uns alle wünschen und brauchen, ist gesehen zu werden, in unserer Belastung und in unserer Überlastung. Wir müssen uns begegnen, ohne direkt eine Lösung parat zu haben oder einzufordern; ohne direkt etwas verändern oder gut machen zu müssen. Wichtig ist, dem/der anderen einfach nur erzählen zu können, wie es uns geht und was gerade schwierig und belastend ist.

In jeder Paarbeziehung gilt es zwei Pole zu nähren. Der eine Pol steht für Zugehörigkeit, Nähe, und Stabilität. Der andere, der während der Pandemie total reduziert wurde, für Freiraum, Autonomie und Wandel. Wir müssen beide für uns prüfen, inwieweit wir uns diesen Polen nahe fühlen und ob es dafür mehr oder etwas anderes benötigt. Viele Menschen sitzen jetzt seit Monaten in einem zu engen Raum aufeinander und haben wenig Frisches und Neues, was von außen in die Beziehung reinkommt.

Es ist wichtig, von uns selbst und unserem Partner/unserer Partnerin zu wissen, was wir jeweils in dieser Balance zwischen den Polen "Stabilität" und "Veränderung" brauchen und wie wir das auch mit begrenzten Ressourcen erreichen können. Sprechen wir darüber, wonach wir uns beide gerade sehnen, anstatt uns gegenseitig Vorwürfe zu machen, so können wir definieren, welchen kleinen Schritt jede:r für sich selbst tun kann und welchen kleinen Schritt ich für mein Gegenüber tun kann.

Welche Relevanz hat das Beziehungsthema im Arbeitsalltag?

Das Beziehungsthema hat überall da Relevanz, wo Menschen miteinander etwas schaffen, also natürlich auch in jedem Arbeitskontext. Je kreativer, je innovativer der Arbeitskontext, je weniger starre hierarchische Strukturen Form geben, desto relevanter ist die Beziehungskultur. Aber unabhängig davon, wie unsere Organisation aufgestellt ist gilt: wir verbringen alle unglaublich viel Zeit mit Kolleg:innen. Das bedeutet, je besser die Beziehungen in meinem Arbeitskontext sind und je erfüllender, nährender und erfrischender, desto mehr steigert das meine Lebensqualität.

Was eine Erkenntnis aus der Paararbeit, die sich auf berufliche Beziehungen übertragen lässt?

Was ich immer wieder sehe ist, dass da, wo es schwierig wird, wo Herausforderungen oder Konflikte auftreten, der Blick ganz schnell auf das Gegenüber geht: "Wenn X nur anders wäre, wäre es so viel leichter!" Mit dieser Haltung verschärfe ich aber meist die Fronten und die erlebte Krise, denn mein Gegenüber kann ich nicht ändern. Wenn ich diese Einstellung habe, frage ich nicht mehr, was ich damit zu tun habe, oder warum denn gerade ich so ein Problem mit einem bestimmten Verhalten habe.

Wie in der privaten Partnerschaft führt der Weg aber nur über mich. Ich muss herausfinden, warum die Situation mit dem Kollegen so herausfordernd für mich ist und was das mit mir und meiner Geschichte zu tun hat. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass ich an jemanden erinnert werde und gerade in einer Wiederholung festhänge. Ist dies der Fall, reagiere ich gar nicht auf diese bestimmte Person, sondern auf vergangene Erfahrungen mit anderen. Wenn ich diesen Zusammenhang erkenne, verstehe ich auch, warum ich so eine Ladung habe und so stark reagiere.

Im nächsten Schritt kann ich besser sortieren, was in die aktuelle Situation gehört und was Altlasten aus der Vergangenheit sind. Steige ich aus meinem Hamsterrad aus, kann ich die Wiederholung stoppen und mir stattdessen den Raum und die Zeit nehmen, zu schauen, wie eine neue Reaktion oder Lösung aussieht. Von diesem neuen Platz aus blicke ich anders und neu auf den Konflikt und mein Gegenüber, dadurch entsteht neuer Handlungsspielraum. Also gilt die gleiche Frage in allen Beziehungen: Wo kann ich bei mir selbst ansetzen?

Was können wir in Organisationen konkret für eine bessere Beziehungskultur tun?

Ich kann mit Kolleg:innen sichere Räume schaffen, in denen wir uns erzählen können, wie es uns geht, was uns herausfordert und was uns belastet - das stärkt unser Miteinander. Ganz automatisch schließen wir von uns auf andere. Ich denke, dass das, was ich brauche, um mich sicher oder wohl zu fühlen, auch das ist, was andere brauchen. Mein Gegenüber braucht aber vielleicht etwas total anderes, um sich mir zu öffnen und um gut mit mir zusammen arbeiten zu können. Das müssen wir herausfinden. Das bedeutet nicht, dass wir uns jetzt im professionellen Kontext ständig um uns selbst oder um unsere Beziehung drehen. Es bedeutet, dass wir uns gegenseitig eine Gebrauchsanleitung anfertigen, die eine produktive und freudvolle Zusammenarbeit möglich macht.

Je kreativer, je innovativer der Arbeitskontext, je weniger starre hierarchische Strukturen Form geben,
desto relevanter ist die Beziehungskultur.

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