BGH: VN muss Sicherheitsobliegenheiten erfüllen!

BGH: VN muss Sicherheitsobliegenheiten erfüllen!

Ein Beitrag unseres Kollegen Rechtsanwalt Fabian Kosch


Liebe Mandantinnen und Mandanten,

liebe Versicherungsmaklerinnen und Versicherungsmakler,

 

in diesem Newsletter möchten wir Sie auf ein aktuelles Urteil des BGH (Urteil vom 25.09.2024 – IV RZ 350/22) aufmerksam machen und Ihnen eine Empfehlung aussprechen, wie Sie als Vermittler mit dieser aktuellen Rechtsprechung umzugehen haben.

 

In der Literatur und der oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung war es sehr umstritten, ob die Obliegenheit des VN, alle Sicherheitsvorschriften erfüllen zu müssen, rechtswirksam ist. Denn eine solche Obliegenheit könnte unwirksam sein, weil der VN aus der Verhaltensvorschrift selbst nicht genau erkennen kann, welche vertraglichen Pflichten ihn treffen können und diese dann zu einer Leistungskürzung oder -ausschluss führen.

 

Der BGH bestätigt hier, entgegen der bisherigen obergerichtlichen Entscheidungen, eine Obliegenheitsvorschrift, welche insbesondere in den gewerblichen Sachversicherungen aber auch in den VGB 2014 enthalten ist. Andere Gerichte sahen die entsprechende Klausel zuvor als intransparent und damit unwirksam an. Das Urteil des BGH hat also auch für Ihre Versicherungsnehmer, sofern Sie Sachversicherungsverträge vermitteln, erhebliche Relevanz. Eine Information und Beratung des VN sollten Sie durchaus in der Beratungsdokumentation festhalten.

 

1.) Was war passiert?

 

Der Versicherer verweigerte nach einer Teilzahlung die Zahlung des Restbetrages einer Versicherungsleistung, wegen einer aus ihrer Sicht fehlenden Freigabe des Bezirksschornsteinfegers, welche nach der geltenden Landesbauordnung zwingend vorgeschrieben gewesen wäre. 

Der BGH hatte sich im Rahmen eines Revisionsverfahrens mit der Frage auseinanderzusetzen, ob folgende Klausel wirksam ist:

 

„B § 8 Obliegenheiten des VN 

 1. Obliegenheiten vor Eintritt des Versicherungsfalls

 a) Vertraglich vereinbarte Obliegenheiten, die der VN vor Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllen hat, sind 

 aa) die Einhaltung aller gesetzlichen, behördlichen sowie vertraglich vereinbarten Sicherheitsvorschriften (siehe A § 17)“

 

Die in B § 8 Nr. 1a) aa) VGB 2014 in Bezug genommene Klausel A 

 § 17 VGB 2014 lautet auszugsweise:

 „A § 17 Vertraglich vereinbarte, besondere Obliegenheiten des VN vor dem Versicherungsfall, Sicherheitsvorschriften

 

1. Sicherheitsvorschriften

 Als vertraglich vereinbarte, besondere Obliegenheiten hat der VN …“

 

Das OLG Celle hatte in der Vorinstanz dem Versicherungsnehmer dem Grunde nach Recht gegeben. Der Versicherer wehrte sich mit Erfolg vor dem BGH.

 

 

2.) Entscheidung des BGH

 

Der BGH hält die Klausel für wirksam und insbesondere transparent.

 

Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass die Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen VN verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben, dass die Klausel die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann. Diesem Bestimmtheitsgebot kommt bei der Vereinbarung von Obliegenheiten wegen der einschneidenden Wirkung der Leistungsfreiheit besondere Bedeutung zu. Die Versicherungsbedingungen müssen erkennen lassen, was der VN im Einzelnen zu tun oder zu unterlassen hat, um seinen Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht zu gefährden. Dem VN soll bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen geführt werden, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht. Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden Durchschnittskunden. Insoweit gilt kein anderer Maßstab als derjenige, der auch bei der Auslegung von Versicherungsbedingungen zu beachten ist (Senatsurteile vom 19.10.2022 aaO; vom 20.11.2019 – IV ZR 159/18, VersR 2020, 95 = r+s 2020, 45 Rn. 8 mwN).

 

Für einen durchschnittlichen VN sind gesetzliche und behördliche Sicherheitsvorschriften rechtlich verbindliche Anordnungen staatlichen Ursprungs, die gerade das versicherte Risiko vor einer versicherten Gefahr schützen sollen. Unter einer Vorschrift im Sinne der Bedingungen versteht er eine rechtlich verbindliche Anordnung einer zuständigen Stelle, die nicht lediglich den Charakter einer Ermahnung, einer Empfehlung oder eines Ratschlags hat. Unter welchen Voraussetzungen eine rechtlich verbindliche Anordnung zu einer bedingungsgemäßen Sicherheitsvorschrift wird, ist für einen durchschnittlichen VN ebenfalls ausreichend erkennbar.

 

Der Wortteil „Sicherheit“ zeigt dem VN, dass die von ihm zu beachtenden Vorschriften Schutzcharakter haben müssen. Nicht erfasst sind hierbei solche Schutzvorschriften, die in keinerlei Zusammenhang mit dem versicherten Risiko stehen. Erkennbarer Zweck der Obliegenheit ist vielmehr, den Eintritt des Versicherungsfalls zu verhindern oder zu erschweren. Der VR und die Gemeinschaft der Versicherten sollen vor dem erhöhten Risiko geschützt werden, das im allgemeinen mit der Verletzung der Sicherheitsvorschriften verbunden ist. Unter Sicherheitsvorschriften versteht der durchschnittliche VN danach allein solche Anordnungen, die gerade das versicherte Risiko vor einer versicherten Gefahr schützen sollen. Das sind nur Vorschriften, die bezwecken, den Eintritt des Versicherungsfalls mindestens zu erschweren, und dazu bei abstrakter, vom Einzelfall losgelöster Betrachtung auch geeignet sind.

 

Die Ausdrücke „gesetzlich“ und „behördlich“ verweisen den durchschnittlichen VN auf einen öffentlich-rechtlichen Ursprung der Sicherheitsvorschriften. Ein Gesetz ist nach allgemeinem Sprachverständnis eine vom Staat erlassene, rechtlich bindende Vorschrift (Duden Bedeutungswörterbuch, 5. Aufl. Stichwort „Gesetz“). Der Ausdruck „behördlich“ bezeichnet aus der Sicht eines durchschnittlichen VN ebenfalls staatliche Tätigkeiten. In diesem Verständnis sieht sich ein durchschnittlicher VN durch den ihm erkennbaren Sinn und Zweck der Obliegenheit bestätigt, mit der außervertragliche Normierungen vertraglich verbindlich gemacht werden sollen. Der VR möchte sich erkennbar die Sachnähe und das Fachwissen öffentlicher Stellen zunutze machen. Damit verhindert er zugleich, dass die Versichertengemeinschaft anderenfalls für ein Verhalten des VN aufzukommen hätte, obwohl dieses von öffentlichen Stellen als gefährlich für das versicherte Risiko erkannt worden ist. (…)

 

Die Verweisung auf Sicherheitsvorschriften außerhalb der AVB steht der Bestimmtheit der Klausel nicht entgegen. Eine Verweisung auf andere Rechtsnormen ist dem geltenden Recht nicht fremd und auch in AGB nichts Ungewöhnliches. Eine Obliegenheit des VN kann nicht in jedem Fall so konkret gefasst werden, dass sie jede erdenkliche Situation in ihrem Anwendungsbereich genau beschreibt (MünchKomm-VVG/Wandt, 3. Aufl. § 28 Rn. 36). Ohne Verweisungen können allzu detaillierte, unübersichtliche, nur schwer durchschaubare oder auch unvollständige Klauselwerke entstehen, die ihrerseits den Interessen der VN abträglich wären. Auch eine – wie hier – dynamische Verweisung auf ein anderes Regelwerk stellt an sich keine unangemessene Benachteiligung dar (BGH, Urt. v. 14.1.2014 aaO). Sie muss allerdings eindeutig als solche erkennbar sein, weil mit ihr dem Vertragspartner das Risiko zukünftiger Rechtsänderungen aufgebürdet wird, so dass er den Umfang der auf ihn zukommenden Belastungen anhand der bei Vertragsschluss geltenden Vorschriften nicht ermitteln kann (BGH, Urt. v. 12.10.2007 – V ZR 283/06, NJW-RR 2008, 251 Rn. 15).

 

B § 8 Nr. 1a) aa) VGB 2014 führt dem durchschnittlichen VN auch hinreichend deutlich vor Augen, welche Vorschriften er als gesetzliche oder behördliche Sicherheitsvorschriften zu beachten hat, um den Versicherungsschutz nicht zu gefährden. Bei richtigem Verständnis verbleibt ihm entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung kein zur Intransparenz führender ungerechtfertigter Beurteilungsspielraum. Ebenfalls erfolglos weist die Revisionserwiderung darauf hin, dass der VR die von B § 8 Nr. 1a) aa) VGB 2014 erfassten gesetzlichen und behördlichen Sicherheitsvorschriften durch einen ausdrücklichen Verweis auf brandschutzrechtliche Vorschriften der Landesbauordnungen oder die für das versicherte Gebäude geltenden Genehmigungen oder Brandschutzgutachten konkreter bezeichnen könnte. Einem etwaigen Gewinn an Klarheit für den VN stehen Rationalisierungsinteressen des VR gegenüber. Wie die Revision zu Recht einwendet, ist es ihm nicht möglich, sämtliche Sicherheitsvorschriften zum Schutz der versicherten Sache im Vorhinein aufzuzeigen oder in einer Weise zu konkretisieren, die dem VN einen Erkenntnisgewinn verschaffen könnte. Dies gilt insbesondere für behördliche Anordnungen gegenüber dem VN, die der VR regelmäßig nicht kennt. Im Übrigen ist ein Verstoß gegen das Transparenzgebot nicht schon dann zu bejahen, wenn Bedingungen noch klarer und verständlicher hätten formuliert werden können.

 

Zwar ergibt sich, worauf die Revisionserwiderung zu Recht hinweist, der Inhalt der in Bezug genommenen Sicherheitsvorschriften nicht aus B § 8 Nr. 1a) aa) VGB 2014. Um zu erkennen, wie er sich im Einzelfall zu verhalten hat, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden, muss der VN die in Bezug genommenen Sicherheitsvorschriften konsultieren. Das ist ihm aber möglich und zumutbar (Schimikowski in Festschrift Langheid, 2022, S. 423, 429). Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass es sich um für den VN verbindliche Vorschriften handelt, deren Inhalt er entweder kennt oder kennen kann, weil sie ihn infolge gesetzlicher oder behördlicher Anordnung ohnehin treffen. Das gilt insbesondere für allein an den VN gerichtete Anordnungen. Auch über den Inhalt von behördlichen Sicherheitsvorschriften für einen größeren Adressatenkreis oder von gesetzlichen Sicherheitsvorschriften kann er sich an geeigneter Stelle informieren. Zusätzlich den Abdruck oder die Aushändigung von Vorschriften zu verlangen, die der VN unschwer einsehen kann, überspannte dagegen die Anforderungen an das Verständlichkeitsgebot, so der BGH in seinen Urteilsbegründungen.

 

3.) Persönliche Einordnung

 

Diese neuerliche BGH-Rechtsprechung ist leider weniger freundlich für die Versicherungsnehmer, wie auch schon weitere vorangegangene Entscheidungen, denken wir nur an das „Fugenurteil“ oder die Entscheidung zu den Betriebsschließungsversicherung. Die hiesige Entscheidung kann vom Ergebnis eventuell vertreten werden, allerdings überrascht die Begründung tatsächlich. Gegenstand der Auslegung ist der durchschnittliche Versicherungsnehmer. Man will meinen, dass Sie, liebe Leser, deutlich näher am durchschnittlichen Versicherungsnehmer sind als der BGH-Richter. Ob sich der durchschnittliche Versicherungsnehmer bei Durchsicht der Versicherungsunterlagen wirklich denkt: 

 

In diesem Verständnis sieht sich ein durchschnittlicher VN durch den ihm erkennbaren Sinn und Zweck der Obliegenheit bestätigt, mit der außervertragliche Normierungen vertraglich verbindlich gemacht werden sollen. Der VR möchte sich erkennbar die Sachnähe und das Fachwissen öffentlicher Stellen zunutze machen.“ 

 

Selten habe ich einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer über die außervertragliche Normierung vertraglicher Verbindlichkeiten so sprechen hören.

 

Im Kern lässt sich die Entscheidung auf folgenden (zitierten) Satz herunterbrechen: Einem etwaigen Gewinn an Klarheit für den VN stehen Rationalisierungsinteressen des VR gegenüber.“ Die BGH-Entscheidung hätte nachvollzogen werden können, wenn diese Entscheidung im industriellen Kontext oder aber zumindest nur für den gewerblichen Bereich getroffen worden wäre. Bei professionellen Versicherungsnehmern kann sicherlich eine besondere Sachkunde in den jeweiligen Bereichen vorausgesetzt werden. Unter Umständen besteht dort sogar ein Wissensvorsprung vor dem Versicherer. Im privaten Bereich kann dies sicherlich nicht angenommen werden. Der durchschnittliche VN als Hauseigentümer wird sicherlich kein Wissensvorsprung vor den Versicherungsgesellschaften haben. Ob es dem Versicherungsunternehmen, oder aber dem GDV zumutbar wäre, sämtliche Landesbauordnung zu sichten und dem VN klare Verhaltensaufforderungen zu geben, können Sie ja für sich selbst beantworten.

 

Der Bundesgerichtshof hat jetzt jedenfalls eine klare Entscheidung zugunsten der Versicherer gesprochen. Viele Versicherungsnehmer wissen also nicht, welche Verhaltenspflichten (Obliegenheiten) Sie vor Eintritt eines Versicherungsfalles zu erfüllen haben. Im Rahmen der Schadensregulierungen war dies natürlich immer wieder ein Streitpunkt. Teilweise kürzte der Versicherer erheblich die Versicherungsleistung und drohte sogar mit einer vollständigen Zahlungsverweigerung im Rahmen der Quotelung. Häufig geht es um erhebliche Werte und hohe Versicherungssummen, die für einen Versicherungsnehmer von existenzieller Bedeutung sind, wenn der VR nicht die volle Versicherungsleitung erbringt.

 

4.) Empfehlung

 

Wir würden Ihnen dringend empfehlen, dass Sie in der Beratungsdokumentation dem Kunden darlegen, welche Obliegenheiten der Versicherungsnehmer zu erfüllen hat. Weisen Sie ausdrücklich auf die vertraglichen Klauseln hin und erläutern Sie, welche Verhaltenspflichten und Nachweise ein VN zu erbringen hat. Gerade die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften (vor Eintritt des Versicherungsfalles) ist für einen Versicherungsnehmer besonders wichtig. Wir halten es auch nicht für ausgeschlossen, dass der BGH die Auffassung vertreten könnte, dass ein Versicherungsmakler hierüber seinen Kunden bei Vertragsvermittlung zu informieren hat. Bitte dokumentieren Sie daher die erfolgte Beratung zu den Obliegenheiten, die ein Versicherungsnehmer zu erfüllen hat, natürlich auch im Rahmen Ihrer Betreuung.

 

Bei weiteren Fragen steht Ihnen Herr Rechtsanwalt Kosch und auch das gesamte Beraterteam der Kanzlei Michaelis gern zur Verfügung.

 

Wir bedanken und für Ihr großes Vertrauen in diesem Jahr und wünschen Ihnen Frohe Weihnachten und einen guten Start ins nächste Jahr!

 

Frohe Weihnachten

 

Ihr,

Stephan Michaelis LL.M. Fachanwalt für Versicherungsrecht

Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

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