BLOCKCHAIN
Ist sie nach Dampfmaschine und Internet die nächste große Revolution? Fans der Blockchain sind sich sicher, dass diese von der Kryptowährung Bitcoin bekannte Technologie schon bald die Daten befreien wird, wie vor einigen Jahrzehnten das Internet die Kommunikation. Das Internet entriss den Telekom-Betreibern das Vorrecht auf das Versenden und Empfangen von Daten, die Blockchain werde die Macht der Staaten und Konzerne über Information brechen, hoffen zumindest die Blockchain- und Kryptoenthusiasten.
Denn bisher verbürgen Autoritäten wie Zentralbanken oder Grundbuchämter, wie viel ein Geldschein wert ist oder wem ein Haus gehört. Solche Informationen sind in einer Blockchain dezentral verteilt und dank eingebauter Kryptografie zugleich sicher vor Manipulationen. Die Technologie könnte Vermittler und zentrale Machtinstanzen überflüssig machen und ein Internet der Gleichberechtigten schaffen. Es hat auch schon einen Namen: Web 3.0 oder meist knackiger Web3.
Tatsächlich wagen sich immer mehr Unternehmen in die neue Blockchain-Welt. So startete jüngst Mercedes-Benz in Südostasien eine Blockchain-Plattform, auf der Unternehmen dezentral Daten austauschen können. Der Automotive-Gigant Bosch tüftelt schon seit Längerem an E-Auto-Ladesäulen, die Smart Contracts nutzen, also „intelligente Verträge“. Dank Blockchain- Technik ermöglichen sie transparente Abrechnungen, und das unabhängig von den Betreibern. Seit Neuestem setzen auch Fußballvereine wie Ajax Amsterdam und Lazio Rom auf eine Blockchain, um Fälschungen von Eintrittskarten oder deren Wiederverkauf zu Wucherpreisen zu erschweren. Den gleichen Weg geht auch das Boston Symphony Orchestra.
Sind diese noch überschaubaren Anwendungen nur die Vorboten der nächsten Internetrevolution?
Nein, meinen Skeptiker wie George Colony, der Gründer des US-amerikanischen Marktforschers Forrester. Blockchain sei kompliziert und teuer und ihr Mehrwert keinesfalls immer gegeben, so einige der Kritikpunkte. Jenseits der Kryptowährung werde Blockchain eine Nische bleiben, lautet daher die Kernaussage einer Forrester-Marktanalyse von Mitte Juli.
Empfohlen von LinkedIn
In zehn Jahren würden geraden mal 16 Prozent der Unternehmensdatenbanken Blockchain nutzen, so die Prognose.
Ähnlich nüchtern schätzt auch Alexander Gehring die Zukunft von Blockchain ein. Der Geschäftsführer der Evival Technologies GmbH & Co. KG, einem im badischen Achern beheimateten Ingenieurbüro für Digitalisierung und Web-Architektur, gehört zu der überschaubaren Gemeinde der Blockchain-Experten in Deutschland. „Die Technik kann Vorteile haben, ist aber nicht der Heilsbringer für alle Probleme, die es mit Datenbanken gibt“, urteilt er. „Oft sind sogar die Datenbanksysteme, wie wir sie bisher kennen, noch die bessere Lösung.“
Dennoch sollten sich Unternehmen mit der Blockchain auseinandersetzen, da sie in bestimmten Anwendungen schon heute Vorteile bringt, weiß Gehring. Zum Beispiel ließen sich mit ihr Lieferketten sicher nachverfolgen. So nutze ein Kunde von Evival Blockchain, um Arzneimittel umzupacken, ohne den Überblick über die einzelnen Produkte zu verlieren. Einsatzbereiche gebe es auch jenseits von Logistik und Medizin, etwa wenn mehrere Parteien über die Unternehmensgrenze hinaus auf eine Datenbank zugreifen. Die Daten müssten nicht wie beim Bitcoin zwangsläufig öffentlich sein, erklärt Gehring. Es gebe auch geschlossene Blockchains, die nur bestimmten Nutzergruppen Zugang zu den Daten gewähren. Er räumt ein, dass es in deutschen Unternehmen oft noch elementarere Bedürfnisse in Sachen Digitalisierung gebe als die Blockchain. Aber sie sollten sich schon jetzt intensiv damit befassen, rät er ihnen. Der Arbeitsmarkt sei knapp und IT-Dienstleister könnten „nur endlich viele Projekte“ umsetzen.
Persönlich ist Gehring extrem fasziniert von der Blockchain-Technik und der Art der Programmierung. Sie sei in der Tat für eine Revolution gut, meint der IT-Experte, und zwar im Zahlungsverkehr. In Entwicklungsländern, die unter Währungsschwankungen leiden und kein funktionierendes Bankensystem haben, könnten Bitcoin, Ethereum und Co. in Zukunft große Verbreitung finden, auch in Europa: Gehring zahlt mehrmals im Monat mit Kryptowährungen und entwickelt mit Gleichgesinnten ein neuartiges NFT, das sie nächstes Jahr auf den Markt bringen wollen.
Bei diesen „Non-Fungible Token“ handelt es sich um digitale Zertifikate, mit denen man zum Beispiel rechtmäßiger Eigentümer einer Datei werden kann – eine Vorstellung, die noch vor einigen Jahren absurd erschien. Die Gültigkeit dieser modernen Urkunden beruht auf der Macht der Blockchain-Technik. So entstand dank NFT ein globaler Markt für digitale Kunstwerke, auf dem die Gebote auch mal zweistellige Millionenbeträge in US-Dollar erreichen. Es sind diese Nischen, in denen Experten wie Colony und Gehring der Blockchain eine große Zukunft zutrauen.