BRASILIEN, DAS UTOPIA VON THOMAS MORUS?
In Libellus vere aureus, nec minus salutaris quam festivus, De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia („Ein wahrhaft goldenes Büchlein, nicht minder heilsam als unterhaltsam, Von der besten Verfassung des Staates und von der neuen Insel Utopia“) führt er 1516 aus "Die Utopier leben in Städten und bilden Familienverbände. Erwachsene gehen eine monogame Ehe ein. Es herrscht allgemein eine patriarchalische Hierarchie, und die Älteren bestimmen über die Jüngeren. Überfamiliär ist die Gemeinschaft klosterähnlich organisiert mit Gemeinschaftsküchen und gemeinsamen Speisungen. Ein jährlich gewählter Vorsteher („Phylarch“) hat die Aufsicht über einen Familienverband von 30 Familien. Privateigentum existiert nicht, jeder bekommt unentgeltlich diejenigen von der Gemeinschaft produzierten Güter für den persönlichen Bedarf zugeteilt, die er begehrt. Männer und Frauen arbeiten als Handwerker sechs Stunden am Tag. In welchem Handwerk ein Bürger ausgebildet wird, kann er selbst entscheiden. Es besteht die Pflicht zur Arbeit, und turnusgemäß werden die Utopier aufs Land verschickt, wo sie gemeinschaftlich Ackerbau betreiben. Für Kinder besteht Schulpflicht. Besonders Begabte erhalten eine wissenschaftliche oder künstlerische Ausbildung. Die wissenschaftlichen Vorlesungen sind öffentlich, sie zu besuchen ist die beliebteste Freizeitgestaltung der Utopier. Besonderen Wert legen die Bürger auf eine für jeden Kranken optimale Krankenversorgung. Männer und Frauen üben regelmäßig für den Kriegsdienst. Kriegsverbrecher und Straftäter, teils als Todeskandidaten aus dem Ausland gekauft, müssen Zwangsarbeit leisten. In der säkular organisierten Gemeinschaft herrscht religiöse Toleranz.
Der Staat ist eine Republik. Jede Stadt wird von einem Senat regiert, der sich aus Wahlbeamten auf Zeit zusammensetzt. Das jeweilige Stadtoberhaupt ist auf Lebenszeit gewählt; entwickelt es tyrannische Züge, so kann es abgesetzt werden.
Geldverkehr kennen die Utopier nicht. Sie sollen aber durch eine Überproduktion an Gütern vieles davon anhäufen und verwenden es, um Söldnerheere zu unterhalten oder Handel zu betreiben. Die Utopier selbst schätzen Gold nicht.
Städte dürfen nur eine bestimmte Größe erreichen. Überbevölkerung wird durch Migration bzw. Bildung einer Kolonie im Ausland ausgeglichen. Umgekehrt findet bei Einwohnermangel ein Rückfluss aus den Kolonien oder überbevölkerten Städten statt."
Wie man sieht, ist sein fiktives Utopia zwar fast so alt wie Brasilien, aber weit entfernt von dem, was sich die meisten darunter vorstellen und noch weiter entfernt von der aktuellen Realität Brasiliens.
Obwohl es dieses Jahr viel Anlass zu Kritik an den Zuständen in Brasilien gab, haben die Einwohner Brasiliens auch Anlass zur Freude. So sprang der Handelsbilanzüberschuss im Januar von 56 Mrd. US$ auf ca. 90 Mrd. US$ zum Jahresende. Die Inflationsrate (IPCA) fiel von 5,4% auf 4,5% im Jahr und die Arbeitslosenquote wurde von 9% auf 7,7% reduziert. Der IMF sagt ein BIP von 3,1% für Brasilien für 2023 voraus, der Wert lag am Jahresanfang noch bei 2,1%. Damit wäre Brasilien die neuntgrößte Volkswirtschaft der Erde. Das ist die neue Rangreihenfolge:
Ein weiterer Grund zur Freude ist die Steuerreform. Nach der Rentenreform und der Arbeitsrechtsreform ist jetzt endlich auch die Steuerreform vom Kongress nach 30 langen Jahren verabschiedet worden. Der ESTADÃO beschreibt anschaulich, was die Quintessenz der Steuerreform ausmacht:
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IPI, COFINS, PIS werden künftig durch die Mehrwertsteuer CBS (Beitrag auf Waren und Dienstleistungen) ersetzt, ICMS und ISS durch die Mehrwertsteuer IBS (Steuer auf Waren und Dienstleistungen). Ja, sie haben richtig gelesen, anstatt das extrem komplexe Steuersystem Brasiliens ein für alle mal zu vereinfachen, hat man anstelle einer Mehrwertsteuer zwei geschaffen, eine Bundesmehrwertsteuer und eine Bundesland- und Gemeindemehrwertsteuer. Dazu kommt noch eine neue selektive Steuer, die auf gesundheits- und umweltschädliche Produkte erhoben wird.
Die neuen Steuern werden 2026 in Kraft treten, wobei eine Probezeit vorgesehen ist, und die neuen Regeln erst 2033 voll wirksam werden. Der Vorschlag sieht auch eine Verlagerung der Besteuerung vom Ursprung, d. h. dem Ort, an dem die Waren hergestellt werden, zum Bestimmungsort, d. h. dem Ort, an dem sie verbraucht werden, vor. Das wird erhebliche Auswirkungen auf die Standortentscheidungen der Firmen in Brasilien haben.
Die Fusion von ICMS und ISS ist sehr wichtig. Heute gelten für diese beide Steuern 5.700 Gesetze auf Gemeindebene und 27 auf Bundeslandebene. Künftig gilt dafür nur ein Komplementärgesetz. Es wird allerdings Ausnahmeregeln geben, dafür habe die Lobbyisten schon gesorgt.
Die Steuerbelastung soll beibehalten werden, d.h. die Steuerreform verringert die Steuerlast nicht, sondern macht nur die Berechnung und Bezahlung von Steuern einfacher. Die Regierung meint, dass der künftige Hebesatz zwischen 26 bis 27,5% liegen wird. Die Steuerreform entlastet auch Investitionen und soll damit den Wettstreit der Bundesländer gegeneinander um Investoren sinnlos machen.
Noch ist es viel zu früh, um über die Steuerreform abschließend zu urteilen. Zunächst müssen Ausführungsbestimmungen erlassen werden und wie wir wissen, steckt der Teufel im Detail. Aber eine positive Auswirkung hat die Steuerreform schon: "S&P Global hat das langfristige Rating Brasiliens von BB- auf BB angehoben und den Ausblick auf stabil belassen. Die Rating-Agentur begründete die Anhebung mit der Verabschiedung der Steuerreform, die einen Fortschritt in der nationalen Finanzpolitik darstellt. Das Land liegt nun zwei Stufen unter Investment Grade."
Für dieses Jahr will ich meinen Brasilien-Newsletter abschließen und die letzte Ausgabe von 2023 nicht mit kleinlicher Kritik an Missständen belasten. Das behalte ich mir für 2024 vor, dann wird es mit Sicherheit berechtigten Anlass dafür geben. Aber ich bin überzeugt davon, dass ich auch Anlass für viel Lob haben werde, denn BRASILIEN LOHNT SICH! Danke an meine Leser für ihr Interesse, fröhliche Weihnachten und einen gutes Neues Jahr! Und wer Weihnachten nicht feiert, dem wünsche ich einfach frohe Festtage!