Coaching: Menschen für Organisationen zurichten?
Der Ansatz des lesenswerten Buchs von Matthiesen/Muster/Laudenbach ist gut.
Ihre These: Die Organisation wird menschlicher, wenn man die in ihr tätigen Menschen konsequent als Organisationsmitglieder mit klaren Rollen und Aufgaben betrachtet und weite Teile ihrer Person ignoriert. Ihr Text ist eine wunderbare und mit vielen Beispielen angereicherte Interpretation des Luhmann'schen Diktums, wonach der Mensch Umwelt der Organisation sei – und weswegen dies gut, entlastend und menschlich ist.
Der Blick der Autor:innen auf Coaching hingegen ist defizitär.
Sie verstehen Coaching allein als Zurichtung von Menschen für Organisationen. Coaching soll motivieren, soll Blockaden lösen und Menschen formatieren – so dass sie Höchstleistungen für die Organisation erbringen.
In einer Hinsicht haben sie ja recht: Coaching darf keine Kompensation für Organisationsversagen sein. Wenn einer Führungskraft in der Organisation ungefragt zu viele Aufgaben und Rollen zugemutet werden, helfen Motivationscoaching oder die Arbeit an den Antreibern der Person wenig. Vielmehr sollten sich schleunigst die Rollenbeschreibungen und -besetzungen in der Organisation ändern. Wenn ein Team ambitionierte Ziele vorgesetzt bekommt, aber weder Zeit noch Ressourcen dazu gewährt werden, hilft keine Teamentwicklung im Hochseilgarten oder mit Bierkastenbrückenbau. Dann geht es auf Organisationsebene um Zielklärung und Ressourcenverhandlungen.
Wo die Autor:innen allerdings daneben liegen:
Professionelles Coaching bleibt nie nur auf der Person- und Motivationsebene. Ein guter Coach nimmt vielmehr – selbst im Zweiersetting – immer die Organisation mit in den Blick: "Was müsste sich in der Organisation ändern, damit Sie die Rollen bewältigen können? Wie können Sie aus Ihrer Rolle heraus dazu beitragen?" Oder im Teamcoaching: "Was brauchen sie als Team von der Organisation bzw. von den anderen Rollen, damit sie diese Ziele erreichen?" – Professionelles Coaching befähigt dazu, die eigene Rolle in der Organisation gut wahrzunehmen und andere Rollen auf ihre Verantwortung anzusprechen. Das geht oft soweit, dass im Coaching Interventionen in der Organisation geplant und eingeübt werden.
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Was professionelle Coaches tun:
Professionelle Coaches bevorzugen deswegen Dreier-Klärungen und beziehen Auftraggeber:innen in der Organisation mit ein. Frage an die Vorgesetzte: "Was ist ihr Ziel, ihr Auftrag an das Coaching?" Mögliche Antwort: "Helfen Sie dem Kollegen dabei, dass er das mit den verschiedenen Rollen endlich irgendwie schafft, motivational und so". Hier braucht es eine klare Rückmeldung des Coaches: "Ich kann nicht zaubern. Es kann sein, dass sich herausstellt, dass die Aufgaben und Rollen so nicht machbar sind, nicht für ihn und nicht für andere. Und es kann sein, dass Sie selbst dafür in die Verantwortung gehen müssen und die Rollen klären".
Deswegen werden gute Coachings in aller Regel von Zwischen- und Auswertungsgesprächen mit der Auftraggeberin begleitet. Deswegen geht es selten nur darum, das Verhalten der Person zu ändern – inwieweit ist das überhaupt möglich? –, sondern die Verhältnisse in den Blick zu nehmen, in denen sie arbeitet, auch und gerade im Einzelcoaching.
Matthiesen, K., Muster, J., Laudenbach, P.: Die Humanisierung der Organisation. München: Vahlen, 2022.