"Corona hat die Spreu vom Weizen getrennt"
Chantal Cartier

"Corona hat die Spreu vom Weizen getrennt"

Der Schweizer Hotelmarkt hat eine rasante Berg- und Talfahrt hinter sich und steht jetzt wieder sehr gut da. Im ersten Teil des Hotel-vor9-Interviews mit der Schweizer Hotelexpertin Chantal Cartier wird deutlich, wie sehr Corona ein Wendepunkt für die gesamte eidgenössische Hotellerie war, sowohl in den Bergen als auch in den Städten.

Wie geht es der Schweizer Hotellerie? Wie würden Sie den aktuellen Status umschreiben?

Chantal Cartier: Corona war auch bei uns in der Schweiz für dieses Marktsegment ein klassischer Wendepunkt. Es hat sich die Spreu vom Weizen getrennt und trennt sich noch. Betriebe, die in dieser Form nicht mehr zeitgemäß und überlebensfähig sind, Hotels, deren Konzepte überdacht werden müssen, all das wurde sichtbar und hat nach einer Veränderung gerufen. Inzwischen ist die größte Herausforderung aber weniger rein betriebswirtschaftlicher Natur. Es geht vielmehr um Frage, wie wir künftig mit unseren Mitarbeitern umgehen und wo und wie wir die Fachkräfte für unseren Wirtschaftszweig erhalten können.

Die Schweizer Hotellerie ist ja in gewisser Weise in zwei Welten getrennt…

Richtig, wir unterscheiden zwischen der Stadt- und der Berghotellerie. Während Corona musste die Stadt-Hotellerie einen enormen Absturz verkraften, das war besonders brutal, da sie bislang immer das Zugpferd der Branche war in Bezug auf Wirtschaftsleistung und Innovation. Gleichzeitig konnte die Berghotellerie ein Stück weit aus ihrem Schatten heraustreten und übernahm zeitweise die Führungsposition. Selbst im Jahr 2022 waren die Buchungen in den Bergen immer noch auf einem nie gekannten Hoch. In diesem Jahr hat sich das, erwartungsgemäß, wieder etwas normalisiert. Dafür ist die Stadthotellerie erstarkt zurückgekehrt. Beide Segmente haben also eine intensive Entwicklung hinter sich und stehen jetzt generell besser dar als zuvor.

Trotzdem gibt es sicher Unterschiede?

Ja, in der Stadthotellerie müssen sich die Städte, die sich primär auf Mice fokussiert hatten, neu definieren. Etwa Basel hat hier Herausforderungen, während man sich in Zürich sehr schnell auch als Freizeitstadt positioniert hat.

Und in den Bergen?

Hier spielt gerade das Thema Verlängerung der Saisonalität eine große Rolle. Und in diesem Zusammenhang wird auch explizit investiert, damit diese Verlängerung der Saison überhaupt möglich wird. Dafür, dass man eben nicht Anfang Oktober schließt, sondern ein Angebot hat, dass die Öffnung über weitere Wochen möglich macht. Das ist jetzt am Anfang sehr kostenrelevant und noch nicht so umsatzrelevant, aber da gibt es eine interessante Wendung und Entwicklung für die Betriebe, die sich für diesen Weg entschieden haben und diesen jetzt durchhalten. Das hat dann auch viel Einfluss darauf, wie sich die Destinationen entwickeln, mit ihrem gesamten Angebot. Es geht immer nur im Verbund. Denn der Gast möchte dann ja auch außerhalb des Hotels etwas erleben und nicht vor verschlossenen Türen stehen.

Der Inlandstourismus und die direkten Anrainermärkte haben durch Corona eine völlig neue Bedeutung bekommen, weil sie im wahrsten Sinne des Wortes die Betriebe gerettet haben. Wirkt das noch nach oder schielen die Schweizer Hoteliers schon wieder primär auf die hochpreisige Kundschaft aus den Fernmärkten?

Auch hier war meines Erachtens Corona ein Wendepunkt. Jetzt hat jeder verstanden, wie eminent wichtig die eigenen Gäste sind. Auch wenn es vielleicht manchmal härter und anstrengender ist, mit ihnen zu arbeiten, weil sie viel kritischer sind. Aber sind treu, erkennen den Wert von Regionalem und man kann sich auf sie verlassen. Es gibt von daher eine echte Rückbesinnung auf die Heimatmärkte und auch strategisch werden viele Investitionen in die Fernmärkte eher heruntergeschraubt. Hier spielt jetzt der Punkt der Nachhaltigkeit im doppelten Sinne eine Rolle. Es ist eben nur bedingt nachhaltig, für ganz kurze Aufenthaltsdauern Gäste aus den Fernmärkten zu akquirieren, auch wenn diese vielleicht in kurzer Zeit auch viel Geld ausgeben.

Kommen wir noch einmal zurück zur Eingangsfrage: Wie geht es der Schweizer Hotellerie, wie steht sie wirtschaftlich da?

Ich würde sagen, es geht uns wieder ziemlich gut. Es gibt eine sehr gute Aufbruchsstimmung und es stehen auch wirklich wieder relevante Investorengelder zur Verfügung

Wofür werden die Investitionen verwendet?

Viele Investitionen fließen in den Bereich der Nachhaltigkeit. Es gibt beispielsweise neu die Gruppierung "Responsible Hotels of Switzerland". In dieser Vereinigung haben sich inzwischen 40 führende Schweizer Hotelbetriebe der ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit verschrieben. Insgesamt wird gerade viel in diesem Bereich angeschoben und investiert. Daran erkennen wir, dass es der Schweizer Hotellerie insgesamt nicht so schlecht geht.

Trotzdem hat man mitunter das Gefühl, dass die Hardware in vielen Schweizer Hotels auch Investitionen vertragen könnte…?

Wir müssen sehen, dass die Schweizer Hotels im Vergleich zu den Häusern in Österreich im Schnitt einfach zwanzig Jahre älter sind. Aber dass es per se einen Investitionsstau gibt, kann ich nicht bestätigen.

Lesen Sie am Montag Teil 2 des Interviews 

Das Gespräch führte Pascal Brückmann

Zur Person:

Chantal Cartier’s Welt sind die Hotels. Sie kennt (fast) alle Hotelbetriebe der Schweiz inklusive ihrer Stärken und Schwächen. 2022 hat sie die Hotelgruppe "Responsible Hotels of Switzerland" initiiert. Die Absolventin der Ecole hotelière de Lausanne mit einem Executive MBA der Universität St. Gallen/Rotmann School of Management (Toronto) startete ihre Karriere bei Hyatt in Zürich und wirkte anschließend über zehn Jahre in diversen Funktionen bei Schweiz Tourismus. Heute ist sie CEO & Partnerin der Marketing- und Kommunikations-Agentur Schmid Pelli & Partner AG. Zudem Verwaltungsrätin der Aletsch Arena. 

Der Schweizer Hotelmarkt: 

In der Schweiz gibt es derzeit 4.497 Hotelbetriebe (2022), zehn Jahre zuvor waren es noch 4.742 Betriebe. Die brutto Zimmerauslastung liegt bei 50,8 Prozent, wobei die Hotels in den Städten eine bedeutend höhere Auslastung haben (Stadt Zürich 85%, Genf 62%) im Vergleich zu den Bergregionen, mit Beispielen von Region Graubünden mit 40 Prozent oder dem Wallis mit 47 Prozent Auslastung. Im Jahr 2023 lag der Anteil der Schweizer Gäste bei 50 Prozent. Die Hotellerie als Rückgrat des Schweizer Tourismus erwirtschaftet allein einen jährlichen Umsatz von 8,5 Milliarden Franken (2019) und beschäftigt über 75.000 Angestellte (2022).

Andreas Züllig

Gastgeber bei selbständig

1 Jahr

Sehr gutes Interview...👍😊

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