Corona-Verfügungen beschäftigen weiterhin die Gerichte
von Christina Schröck, LL.M. - meyer.rechtsanwalts GmbH
Nach der Entscheidung des VG Bayreuth am 20.3.2020 (B 7 S 20.223) mussten sich erneut Allgemeinverfügungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie einer gerichtlichen Überprüfung stellen – mit unterschiedlichem Erfolg. Doch trotz der auf den ersten Blick gegenläufigen Beschlüsse ergibt sich hieraus nicht zwangsläufig ein rechtlicher Widerspruch. Vielmehr betrachteten die Urteile unterschiedliche Facetten von inhaltlich ähnlichen Verfügungen.
VG Aachen
Ob Maßnahmen wie Kontaktverbote und Betriebsuntersagungen unter die Generalklausel des § 28 Abs. 1 IfSG fallen können, ist bisher nicht abschließend geklärt. Darüber dürften ggfs. Eilverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Aufschluss geben. Es erscheint jedoch äußerst bedenklich, die bisherigen drastischen Grundrechtsbeschränkungen auch gegenüber Nichtstörern und Nichtinfizierten als unproblematisch rechtmäßig einzustufen.
Genau dies stellte aber das VG Aachen in zwei Entscheidungen zu Betriebsschließungen fest. Hier wendeten sich zwei Betriebsinhaber, Betreiber einer Lottoannahmestelle und eines Pralinengeschäfts, gegen die Allgemeinverfügung der Stadt Würselen in Nordrhein-Westfalen.
Bisher ist nur die Entscheidung über die Schließung der Lottoannahmestelle (7 L 233/20) verfügbar. Dort wird die Generalklausel recht lapidar mit Verweis auf die Gesetzesbegründung als ausreichend angesehen. Die weitere Argumentation beschäftigt sich mit der Frage, ob Lottoannahmestellen weiterhin geöffnet bleiben dürfen. Das Gericht entscheidet, in dieser Hinsicht nachvollziehbar, dass Lottoannahmestellen nicht als Ausnahme genannt sind und auch nicht essenziell für die Versorgung der Bevölkerung sind. Daher hält es die Verfügung zumindest nicht für offensichtlich rechtswidrig. Dies ist, gerade im Hinblick auf das Suchtpotential von Glücksspiel und den dadurch möglichen Kundenandrang durchaus verständlich und die Argumente des Gerichts lassen sich hören.
Interessant wäre es jedoch, zu wissen, weshalb ein Pralinengeschäft – ein Einzelhandel für Lebensmittel – ebenfalls geschlossen bleiben soll. Denn eine Beschränkung auf bestimmte Lebensmittelgeschäfte lässt sich keiner der bisherigen Anordnungen entnehmen, auch nicht der fraglichen Allgemeinverfügung der Stadt Würselen. Auch und gerade in der Krise sollten Menschen auf Nervennahrung wie Schokolade zurückgreifen können. Insofern differenzieren die Corona-Verordnungen und Allgemeinverfügungen nicht zwischen verschiedenen Formen von Lebensmittelgeschäften.
Die Res Corona wird die Gerichte sicherlich auch weiterhin in Atem halten.
VG München, 24.3.2020 – M 26 S 20.1255
Sachverhalt
Die Antragstellerin, eine in Bayern Wohnende, wendete sich gegen die Allgemeinverfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 20. März 2020. Die Allgemeinverfügung ordnet, wie momentan in allen Bundesländern üblich, Kontaktreduktionen mit bestimmten Abstandsregelungen (Nr. 1), Schließung von Gastronomiebetrieben mit Ausnahme der Abgabe und Lieferung von Speisen zum Mitnehmen (Nr. 2), ein Besuchsverbot von Krankenhäusern, Altenheimen und ähnlichen Einrichtungen (Nr. 3) und das Verbot, die eigene Wohnung außer bei Vorliegen triftiger Gründe zu verlassen (Nr. 4, 5) an. Die Antragstellering macht geltend, durch diese rechtswidrige Allgemeinverfügung in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG verletzt zu sein.
Entscheidung
Das Gericht gab der Antragstellerin teilweise Recht. Nicht erfolgreich war die Antragstellerin in Bezug auf die Nummern 2 und 3 der Verordnung, da sie eine eigene Betroffenheit nicht nachweisen konnte. Es genügt für den Rechtsschutz gegen einen Verwaltungsakt – wie die Allgemeinverfügung – nicht, von diesem abstrakt als Einwohner des fraglichen Gebiets betroffen zu sein. Vielmehr müssen konkrete Einschränkungen geltend gemacht werden.
Allerdings erklärt das Gericht die Nummern 1, 4 und 5 der Allgemeinverfügung in Bezug auf die Antragstellerin für rechtswidrig.
Die Nummer 1, das strenge Kontaktverbot, scheitere aufgrund der Ausgestaltung der Maßnahme als Allgemeinverfügung. Denn solche Akte sind nur gegenüber einem nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Adressatenkreis möglich. Da sich das Verbot jedoch auf jede Person beziehe, die sich zu irgendeinem Zeitpunkt der Geltung in Bayern aufhält, richte es sich an einen unbestimmten Personenkreis.
Die Regelung beziehe sich auch nicht auf einen konkreten Lebenssachverhalt, sondern sei abstrakt-genereller Natur. Eine derartige Regelung ist aber nicht durch Verwaltungsakt möglich, sondern bedarf einer Rechtsnorm. Denn der Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte gilt nur inter partes, gegenüber den betroffenen Parteien, während Rechtsakte inter omnes, für alle geltend, überprüft werden. Insoweit ist die Allgemeinverfügung rechtswidrig.
Doch auch die Ausgangssperre erweist sich als rechtswidrig. Denn die Rechtsgrundlage des § 28 Abs. 1 IfSG erlaubt keine Einschränkung des Grundrechts der Freizügigkeit (Art. 11 GG). Die Regelung nennt lediglich die Grundrechte der Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 GG, und der Versammlungsfreiheit, Art. 8 GG. Aufgrund des Zitiergebots nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG ist aber eine Erwähnung aller eingeschränkten Grundrechte notwendig, um nur eindeutig gewollte Grundrechtseingriffe zu ermöglichen und der Gesetzgeber Rechenschaft über die Auswirkungen ablegt (BVerfGE 64, 72/79; 85, 386/403 f; 113, 348/366). Daher sind auch die Nummern 4 und 5 der Allgemeinverfügung in Bezug auf die Antragstellerin rechtswidrig.
Bewertung
Die Entscheidung führt zu einer recht zwiespältigen Situation. Einerseits ist es begrüßenswert, dass das Gericht die rechtlichen Grundlagen durchaus ernst nimmt. Auf die Angemessenheit der Maßnahmen geht es hierbei gar nicht ein, sondern lässt die Überprüfung schon früher scheitern. Die lässt erkennen, dass ein effektiver Rechtsschutz auch in Krisenzeiten funktioniert.
Allerdings ist die Allgemeinverfügung damit nicht nichtig. Denn anders als bei der Überprüfung einer Rechtsnorm wirkt das Urteil eben nur zwischen den Parteien. Auch wäre eine Aufhebung in den momentanen Zeiten der Unsicherheit vermutlich nicht gerade förderlich für das Vertrauen der Bevölkerung.
Bayern besserte inzwischen nach
Bayern hat in Sachen Corona-Maßnahmen inzwischen nachgebessert. Statt der vom VG München zumindest in Bezug auf das Kontaktverbot als rechtswidrig eingestuften Allgemeinverfügung hat Bayern nun identische Regelungen in Form von Rechtsverordnungen erlassen. Diese betreffen die Ausgangssperre und Betriebsuntersagungen. Doch an der Rechtswidrigkeit der Ausgangssperre, die das Verwaltungsgericht attestierte, ändert dies nichts. Die unter anderem eingeschränkte Freizügigkeit ist in Art. 28 IfSG nach wie vor nicht genannt, auch wenn sich dies bald ändern könnte, wenn die geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes verabschiedet werden.
OVG Hamburg, 26.3.2020 – 5 Bs 48/20
Sachverhalt
In Hamburg sucht eine Betreiberin von Geschäften für E-Zigaretten und deren Zubehör Eilrechtsschutz aufgrund der Schließung von Einzelhandelsbetrieben. Die Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus in Hamburg vom 16. März 2020 ordnet, wie auch in allen anderen Bundesländern geschehen, die Schließung von Verkaufsstellen des Einzelhandels an. Von diesem Gebot ausgenommen sind nur bestimmte wichtige Güter und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs. Die Antragstellerin sieht sich durch die rechtswidrige Allgemeinverfügung in ihren Rechten verletzt.
Bereits vor dem VG Hamburg unterlag die Antragstellerin jedoch und wendet sich nun gegen die erstinstanzliche Entscheidung.
Entscheidung
Das OVG entschied gegen die Antragstellerin, die sich in der zweiten Instanz nur noch gegen das Auswahlermessen hinsichtlich der zu treffenden Schutzmaßnahmen und die Annahme des Verwaltungsgerichts wendete, bei einer Folgenabwägung gebühre dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung der Vorzug vor den wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin im Rahmen ihrer Berufsausübung. Somit betraf das Verfahren nur noch das Ermessen der erlassenden Behörde bezüglich der konkreten Maßnahmen.
Das Gericht stellte jedoch keine Ermessensfehler fest. Grundsätzlich sei die Allgemeinverfügung auf eine effektive Bekämpfung der schnellen Ausbreitung des Virus gerichtet und verbiete daher weitgehend den Betrieb von Verkaufsstellen des Einzelhandels. Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, inwieweit ihre Produkte besonders wichtige Güter des täglichen Bedarfs darstellen, die Verbraucher nicht auf anderen Wegen, etwa über Kioske, Supermärkte oder den Onlinehandel erhalten könnten. Insofern sei die Ermessensentscheidung der Behörde nicht offensichtlich fehlerhaft. Eine Ungleichbehandlung sei bei Produkten mit unterschiedlicher Priorität für den täglichen Bedarf möglich und auch unterschiedliche Entscheidungen in verschiedenen Bundesländern seien aufgrund des eigenen Ermessenspielraums der Behörde zulässig. Auch seien Kontakteinschränkungen nicht ebenso wirksam, da im Geschäft der Antragstellerin auch längere Beratungsgespräche stattfinden, die ein höheres Infektionsrisiko aufweisen als eine vollständige Schließung.
Auch lasse die Ermessensentscheidung bezüglich der Folgenabwägung keine offensichtlichen Fehler erkennen. Die Behörde musste hierbei den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gegen die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin im Rahmen ihrer Berufsausübung abwägen. Eine eindeutige Rechtswidrigkeit konnte das Gericht hierbei nicht feststellen.
Insgesamt erscheine es offen, ob die Allgemeinverfügung aufgrund der Ermessensentscheidungen rechtmäßig oder rechtswidrig sei. Damit ist nach summarischer Prüfung der Antrag nicht offensichtlich erfolgreich, sodass das Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Allgemeinverfügung überwiegt und die Verfügung im Rahmen eines ausführlichen Gerichtsverfahrens überprüft werden muss. Bis dahin bleibt die Allgemeinverfügung vollziehbar.
Bewertung
Die Entscheidung des OVG ist so eindeutig wie nachvollziehbar. Im Hinblick auf die Ermessensentscheidung, die zum Erlass der Allgemeinverfügung führte, lassen sich keine offensichtlichen Fehler erkennen. Es liegt nahe, dass E-Zigaretten nicht ohne Weiteres mit Lebensmitteln, Drogerieartikeln oder Zeitungen gleichzusetzen sind. Die Meinungen über die Wichtigkeit von E-Zigaretten mögen geteilt sein, doch ein gewisser Spielraum besteht bei staatlichen Maßnahmen. Dies ist richtig, denn nur so sind individuell angemessene Maßnahmen möglich.
Einen direkten Widerspruch zur Entscheidung des VG München stellt der Beschluss ebenfalls nicht dar. Anders als die Kollegen in Bayern musste sich das Hamburger OVG nämlich nicht mit der Rechtsgrundlage der Verfügung auseinandersetzen. Denn diese hatte die Antragstellerin in der zweiten Instanz nicht angegriffen.
Insofern prüften die beiden Gerichte hier unterschiedliche Facetten ähnlicher Regelungen. Eine obergerichtliche Entscheidung bezüglich der Reichweite des § 28 Abs. 1 IfSG wäre jedoch wünschenswert gewesen, um Klarheit zu gewinnen.
Fazit
Eine obergerichtliche Entscheidung zur Rechtsgrundlage der vieldiskutierten, staatlichen Maßnahmen könnte Klarheit verschaffen. Doch möglicherweise käme eine derartige Entscheidung auch dem Öffnen von Pandoras Büchse gleich. Denn würde mit einem Schlag die Rechtmäßigkeit aller Verfügungen und Verordnungen offiziell in Zweifel gezogen, könnte dies zu Protestreaktionen führen, die verheerende Folgen haben könnten.
Insofern wäre eine stabilere Rechtsgrundlage für die Corona-Maßnahmen wünschenswert. Doch dies ist kein Wunsch, den deutsche Gerichte ohne Weiteres erfüllen können. Insofern bleibt ein leicht banges Gefühl zurück, insbesondere in Anbetracht der Verfahren, die das Bundesverfassungsgericht in Sachen Corona bald beschäftigen werden (hierzu der Beitrag von Carsten Bäcker im Verfassungsblog).
Es bleibt also weiterhin bei Unsicherheit und wachsender Unruhe. Doch immerhin wissen die deutschen Gerichte, woher sie in Zeiten der Krise Beschäftigung bekommen.
Professor for consumer law at Bayreuth University
4 JahreRechtsverordnung für Bayern ist schon länger in Kraft.