Das Büro ist tot, lang lebe das Büro!
“Remote first” lautet aktuell wieder die Devise in unserem Büro. Aufgrund der steigenden Fallzahlen von Covid-19-Erkrankungen in Berlin haben wir bei Merantix uns entschlossen, präventiv die Begegnungen im Team so gering wie möglich zu halten. Gleichzeitig erschaffen wir mit dem “AI Campus” ein Ökosystem, in dem die Büroarbeit der Zukunft stattfinden soll. Als wir im vergangen Jahr mit den Planungen begonnen haben, hatte das Coronavirus die Welt noch nicht im Griff. Schon damals erschien das Vorhaben, über 450 Arbeitsplätze auf 5.400 Quadratmetern zu erschaffen, “ambitioniert”. Heute mag mancher sagen, es sei “Wahnsinn”. Aber ist es das?
Neues Bewusstsein für Arbeitsumgebungen
Durch die Corona-bedingten Anpassungen in der Arbeitswelt ist das Bewusstsein dafür gewachsen, in welcher Umgebung welche Form der Arbeit am besten stattfinden kann. Für mich lässt sich die Unterteilung am besten wie folgt machen:
- Fokussierte, standardisierte und/oder konzeptionelle Arbeit in Ruhe → Home Office
- kreative Arbeit → Natur
- Kollaboration → Büro
Tatsächlich liegt in der Ruhe des Home Offices – sofern die Rahmenbedingungen stimmen – seine Kraft. Ungestört und mit weniger Ablenkungen können hier vor allem Aufgaben aus dem Tagesgeschäft erledigt werden. Die meisten meiner Kolleg:innen schätzen es, sich aus dem Bürobetrieb herausziehen und am heimischen Schreibtisch mitunter effizienter sein zu können.
Viel beschworen ist die morgendliche Joggingrunde in der Natur, um den Kopf frei zu bekommen und/oder um sich auf spezielle Herausforderungen und Ideen konzentrieren zu können. Durch diesen Fokus können zum Beispiel Aha-Momente forciert werden, die einem sonst im Alltag nicht unbedingt unterkommen. Es ist der freie Blick in die Natur, statt auf einen Bildschirm, der unsere Gedanken auf besondere Weise sortieren kann. So entstehen etwa Assoziationen und Verbindungen, die wir im Büro oder im Home Office nicht machen würden.
All die Arbeit für und mit sich selbst aber ersetzt den Austausch, die Diskussion mit anderen niemals vollumfänglich. Die Kollaboration ist und bleibt ein wesentlicher Teil unserer Arbeit. So wie unser Gehirn beim Umherschweifen in der Natur angeregt wird, ungewöhnliche Verknüpfungen zu machen, so wird es auch bei zufälligen Begegnungen im Büro – bei sogenannten “water-cooler conversations” – oder dem Brainstorming mit dem Team in einem Raum zu unerwarteten Transferleistungen angeregt.
Innovation braucht ein Zuhause
Mit dem “AI Campus” schaffen wir deshalb einen Ort, an dem Gründer:innen, Forscher:innen und Business-Expert:innen gemeinsam daran arbeiten können, dass der Transfer von KI-Forschung in die Anwendung gelingt. Dabei sollen sowohl das Merantix-Team und die -Ventures, als auch Teams anderer Startups und etablierter Unternehmen den idealen Platz finden, um gemeinsam und domänenübergreifend am Fortschritt in Sachen Künstlicher Intelligenz zu arbeiten. Dafür ist das Herzstück des “AI Campus” gedacht – ein mehr als 700 Quadratmeter großer “Connection Space”.
Denn auch wenn viele Unternehmen mit der Arbeit aus dem Home Office heraus gute Erfahrungen gemacht haben, wird das Büro auch weiterhin mehr sein, als “nice to have”. Schließlich ermöglicht nur die physische Präsenz von Teammitgliedern an einem Ort essentielle Innovationsschübe (denn auch noch so geniale Gedankenblitze aus der Jogging-Einheit müssen im Team vorgestellt und herausgefordert werden):
- Team und Relationship Building: Es ist ein bisschen wie beim Onlinedating – die Kontaktanbahnung mag auf Distanz funktionieren, aber irgendwann kommt der Punkt, wo ein Treffen im echten Leben als nächster Schritt ansteht. Je früher das stattfindet, desto eher merkt man dann auch, ob die Chemie stimmt oder nicht. Es braucht einfach den persönlichen Kontakt, um Beziehungen so zu intensivieren, dass – in Bezug auf Unternehmen gesprochen – eine Kultur entstehen kann.
- “Water-cooler conversations”: Damit gemeint sind Gespräche, die durch zufällige Begegnungen im Büro stattfinden. Kein Zoom-Call kann bewirken, was “mal eben nebenbei” entstehen kann, wenn Menschen aus unterschiedlichen Abteilungen oder Domänen sich über ihre Arbeit austauschen und zum Beispiel gemeinsame Anknüpfungspunkte identifizieren.
- Forschung und Entwicklung: Kein noch so perfekt ausgestatteter Heimwerkerschuppen ersetzt einen vollwertigen Arbeitsplatz mit Hightech-Ausstattung, an dem experimentiert und geforscht werden kann.
- Brainstorming: Zugegeben, die Not macht erfinderisch und mittlerweile gibt es ganz passable Möglichkeiten, auch digital auf ein Whiteboard zu schreiben. Aber die diskursive Arbeit sowie auch die Validierung von Ideen braucht die Auseinandersetzung in einem Raum.
Am besten illustriert das die Erfahrung, die wir bei Merantix nach der Aufhebung des Lockdowns im Frühsommer gemacht haben. Um eine geordnete Rückkehr entsprechend der Auflagen zu garantieren, haben wir unserem Team gesagt, dass jede:r wann immer möglich im Home Office arbeiten soll. Das Büro dagegen kann “aus wichtigem Grund” genutzt werden. Ein “wichtiger Grund” kann dabei die konzentrierte Arbeit am Schreibtisch, die Brainstorming-Session mit Kolleg:innen im Meetingraum oder einfach der Wunsch nach Geselligkeit sein. Das Ergebnis: Bei einer Belegung von durchschnittlich gut einem Drittel der Arbeitsplätze sind die Meeting-Räume seither von morgens bis abends ausgebucht! Das heißt: Unsere Kolleg:innen kommen sehr bewusst für Meetings ins Office und gehen danach wieder nach Hause.
Home Office und Remote Work sind gefährlich für Startups
Die Frage, ob und in welchem Maße Home Office und Remote Work sinnvoll sind, beantwortet sich anhand der aktuellen Situation eines Unternehmens. Ein bestehendes, sich im Wachstum befindliches Unternehmen etwa hat etablierte Prozesse und Rollen. Diese ermöglichen es, Aufgabenpakete zu schnüren, die ohne größeren zusätzlichen Organisationsaufwand außerhalb einer Bürostruktur erledigt werden können. Das liegt nicht zuletzt daran, dass jedes Teammitglied genau weiß, was es zu tun hat.
In einem Startup dagegen, das noch am Anfang steht und noch kein belastbares Geschäftsmodell validiert hat, ist der direkte Kontakt zum Team überlebenswichtig. Wer gemeinsam an neuen Ideen arbeitet, braucht vor allem die Gewissheit, dass die einzelnen Beteiligten vertrauenswürdig und kompetent sind. Außerdem ist es notwendig, Ideen immer wieder zu challengen und eventuell zugunsten anderer Optionen fallen zu lassen. Das ausschließlich oder größtenteils per Videokonferenz zu machen, killt jede Innovationskraft. Und genau deswegen wird es auch in Zukunft Büros geben – sie müssen nur im Sinne des neuen Bewusstseins fürs Arbeiten konzipiert sein.
Über den Autor:
Adrian Locher ist Co-Gründer und CEO des Venture Studios Merantix, das den Transfer von KI-Forschung zur Anwendung in der Wirtschaft forciert. Er ist getrieben von der Vision, dass Künstliche Intelligenz die Menschheit mindestens so stark beeinflusst, wie die Entdeckung des Feuers oder die Erfindung der Dampfmaschine.
Bei LinkedIn schreibt er regelmäßig zu Themen rund um Venture Building und KI.
Tätig in diversen Bereichen wie Marketing, Eventorganisation, Projektführung, strategische Beratung für KMU's.
4 JahreSpannender Bericht, danke. Ist bei uns in der IW auch gerade ein großes Thema. Liebe Grüsse aus der alten Heimat.
Redefining HighCulture 🌿 | enua | Entrepreneur & Investor
4 JahreVery true
Founder & Managing Partner at FLEX Capital | previously: Founder/CEO at Absolventa.de & Monteurzimmer.de (both exited)
4 Jahrefully agree!!!
Founder & CEO Payrexx.com
4 JahreWir Menschen sind anpassungsfähig!
Back to the cinema roots.
4 JahreWie bei vielen anderen Aspekten des Lebens kommt es auf die gute Mischung an. Wenn sowohl physische Präsenz wie auch konzentriertes Home Office möglich sind, werden sicher die besten Resultate erzielt. Es sind auch nicht alle Menschen gleich. Diesem Umstand sollte auch Rechnung getragen werden...