Das Bild des Skandals: Hinter Gitter
Woelki hinter Gitter: Der Kardinal öffnet vor Fotografen und Kameraleuten die Tür. Screenshot aus der Tagesschau vom Tag.

Das Bild des Skandals: Hinter Gitter

Zur Kommunikation des Erzbistums Köln und seines Kardinals Rainer Maria Woelki hat der Kölner Journalist Joachim Frank eigentlich längst alles gesagt, was dazu zu sagen ist. Der Schlusssatz lautet: "Wer seine Pressearbeit Anwälten überlässt, der ist mit seiner Kommunikation am Ende." Aus diesem Zustand findet Woelki offenbar nicht mehr heraus. Entsprechend wenig verwundert es, dass die "Zeit" einen Tag nach der Razzia im Haus des Erzbischofs meldete:

Nach den Durchsuchungen wegen Meineid-Vorwürfen gegen Kardinal Rainer Maria Woelki will der Geistliche Anzeige erstatten, weil Journalisten vorab darüber informiert worden sein sollen. «Was uns stört, ist nicht die Hausdurchsuchung, sondern dass die Information und der Termin offenbar an die Medien durchgestochen wurden», sagte Woelkis Anwalt Björn Gercke der «Zeit». Deshalb werde er im Namen des Kardinals Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses erstatten. Er vermute das Leck nicht bei der Staatsanwaltschaft, sagte Gercke der Deutschen Presse-Agentur. 

Der letzte Satz ist entscheidend für die juristische Beurteilung. Denn: "Die für die Terminfestlegung der Razzia verantwortlichen Amtsträger hätten sich nicht strafbar gemacht, wenn sie den Termin an die Presse gegeben haben sollten. Doch alle Amtsträger, auch Polizisten, denen der Termin nur mitgeteilt wurde oder die von diesem sonstwie erfahren haben, haben sich nach § 353b Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht, wenn sie vorab die Medien informierten", hat dazu im vergangenen Dezember ein anderer Kölner Anwalt in einem Gastbeitrag für die "Legal Tribune Online" in Bezug auf einen ähnlich gelagerten Fall geschrieben. Der Paragraph regelt die Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht. Er verbietet keineswegs dem ermittelnden Staatsanwalt selbst, die Presse vorab zu informieren, wenn dadurch keine wichtigen öffentlichen Interessen gefährdet werden.

Fun fact: Der Autor dieses Gastbeitrags ist Partner einer Kanzlei, die ebenfalls umfangreich für Woelki in diesem Komplex tätig war. Und dieser Komplex hat sich in der breiten öffentlichen Wahrnehmung von einem Problem des Umgangs mit dem Missbrauchs-Skandal im Erzbistum durch den Kardinal zu einem als "Woelki-Skandal" wahrgenommen Kommunikations-Desaster entwickelt. Kardinal Woelki möchte übrigens nicht, dass man "Woelki-Skandal" sagt oder schreibt. Auch bei diesem Wunsch setzte er auf Klage statt Kommunikation. Im Mai 2022 wies das Landgericht Köln die Klage des Kardinals gegen die Bezeichnung "Woelki-Skandal" ab.

Was die neuste Woelki-Klage spannend macht: Laut "Zeit" will der für die Meineid-Ermittlungen zuständige Oberstaatsanwalt die Presse nicht selbst vorab über die Razzia informiert haben (was er durchaus gedurft hätte). In dem oben zitierten Artikel heißt es weiter:

Der Kölner Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn sagte: «Wir werden versuchen, das aufzuklären.» Die Staatsanwaltschaft habe kein Interesse daran, dass Maßnahmen von der Presse begleitet würden. «Uns macht das nur Ärger», sagte er. Am Dienstag waren Gebäude des Erzbistums Köln durchsucht worden. Laut Willuhn waren Medienvertreter bereits vor Beginn der Maßnahmen vor Ort. Es sei verständlich, dass der Kardinal verärgert reagiere, wenn Ermittler kämen und er in eine Kamera blicke. Man habe sich das anders gewünscht.

Wie auch immer. Mehr als zwei Dutzend Foto- und TV-Journalisten werden kaum zufällig um 8 Uhr morgens vor dem Erzbischöflichen Haus an der Kardinal-Frings-Straße 10 in Köln gestanden haben. Dass der Kardinal jedoch selbst an das Tor der Zufahrt kommen würde, konnten weder Journalisten noch Staatsanwaltschaft ahnen.

Die so entstandenen Bilder, die den ganzen Tag bis zur 20-Uhr-Ausgabe der Tagesschau liefen, haben mindestens die Wucht der Bilder, die am 14. Februar 2008 die Festnahme des ehemaligen Post-Chefs Klaus Zumwinkel dokumentierten. Mit diesen Bildern hat der "Woelki-Skandal" erstmals eine wirkmächtige Bildmarke. Der gesamte Skandal war bisher nicht mit einem abgebildeten Ereignis verknüpft. Es gab kein Foto zum Skandal, keine journalistische Bildmarke, die sich als Ikone im kommunikativen Gegenwarts-Gedächtnis hätte festsetzen können. Wie damals Zumwinkel, so wird auch Woelki diese Bilder nicht mehr loswerden. Nur dass er sie - anders als damals Klaus Zumwinkel - mutmaßlich selbst verschuldet hat.

Es ist müßig und für das Ergebnis irrelevant, darüber zu spekulieren, warum Woelki nach dem Klingeln aus der Tür des Erzbischöflichen Hauses trat, dann quer über den recht großen Innenhof ging (von dem aus man sehr gut sehen kann, wer vor dem Tor steht), um dann persönlich Staatsanwaltschaft und Polizei einzulassen. War kein Personal im Haus? Funktionierte die Gegensprechanlage nicht? Wollte er das so? Was auch immer Kardinal Woelki geglaubt haben mag, welches Bild er dabei abgeben würde, was auch immer seine Intention gewesen sein mag oder auch nicht - die Bilder zeigen keinen kooperationsbereiten Hausherrn, der verständig die Vertreter:innen von Staatsanwaltschaft und Polizei einlässt. Sie zeigen ein Gitter. Und ihn dahinter.

Für die visuelle Botschaft spielt es überhaupt keine Rolle, dass es sich bei dem Gitter um das Tor der Einfahrt handelt. Woelki ist auf diesen Bildern hinter Gitter. Das wars. Und diese Bilder werden jetzt immer wieder verwendet werden, wenn Medien über das Ermittlungsverfahren 121 Js 945/22 und die von verschiedenen Anzeigeerstattern erhobenen Vorwürfe der falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) und des Meineides (§ 154 StGB) berichten. Die Wucht und Wirkung dieser Bilder werden auch nicht durch das gemildert, was die Staatsanwaltschaft Köln in ihrer übrigens auch vom Erzbistum Köln verbreiteten Presseerklärung betont. Im Gegenteil:

"Es wird darauf hingewiesen, dass sich die Maßnahmen auf die Erhellung eines lediglich anfänglichen Verdachtes und insoweit auf die Feststellung sowohl belastender als auch entlastender Umstände richten. In diesem Stadium des Verfahrens beansprucht die im Strafprozess ohnehin bis zu einem rechtskräftigen gerichtlichen Urteil zu beachtende Unschuldsvermutung in ganz besonderem Maße Geltung. Zur Vermeidung entsprechender Missdeutungen wird im Übrigen explizit darauf hingewiesen, dass dem Beschuldigten in keiner Weise die aktive oder auch nur passive Vertuschung von oder gar Beteiligung an Missbrauchstaten zur Last gelegt wird."

Vor allem der letzte Hinweis macht eigentlich alles nur noch schlimmer. Dass die Staatsanwaltschaft sich bemüßigt fühlt zu betonen, dass dem Kardinal, der sich im Dezember 2018 eigentlich an die Spitze der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln setzen wollte, immerhin keine Vertuschung oder Beteiligung an Missbrauchstaten zur Last gelegt wird - dieser eine Satz fasst das ganze Ausmaß des Desasters zusammen, das in der öffentlichen Wahrnehmung schon lange kein bloßes Kommunikations-Desaster mehr ist.

Die umfangreich für den Kardinal tätige Kanzlei Höcker (auf ihrer Seite sind die Einsätze in Teilen nachlesbar) veröffentlichte offenbar noch während der laufenden Durchsuchungen folgende Pressemitteilung:

Die Staatsanwaltschaft Köln durchsucht gerade sicher auch aufgrund des medialen Drucks die Räume des Erzbistums Köln. Sie sucht Hinweise, die den Vorwurf der Falschaussage gegen Kardinal Woelki belegen oder aber widerlegen. Es wird dauern, bis ein Ergebnis vorliegt. Prognose: am Ende wird das Verfahren eingestellt, denn der Kardinal hat die Wahrheit gesagt. Bis dahin werden sich die Medien natürlich darin überschlagen, aufgrund einer ergebnisoffenen Untersuchung seinen Rücktritt beziehungsweise seine Abberufung zu fordern. Genau das nennt man Vorverurteilung.

Das ist keine Prognose, sondern anwaltliches Wunschdenken. Es ist schließlich genau die Behauptung, der Kardinal habe die Wahrheit gesagt, die unter einem so gravierenden Verdacht des Meineids steht, dass es für einen umfassenden richterlichen Durchsuchungsbeschluss reichte. Die Bilder hinter Gitter sind für den Kardinal deshalb so brisant, weil es sich bei der falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) und Meineid (§ 154 StGB) nicht um Bagatell-Delikte handelt. Auf Meineid steht Gefängnis. Und die Bebilderung der künftigen Berichterstattung über das Ermittlungsverfahren wird immer nahelegen, dass die Erhärtung des Tatverdachts der Wahrheit näher kommen könnte als jede juristische Unschuldsvermutung.

Im "Woelki-Skandal" ist dem Protagonisten mit Kommunikation nicht mehr zu helfen. Alle Chancen, die er dazu hatte, sind vertan. Der eingeschlagene Weg, mit allen juristischen Mitteln und sogar bis zum Tatverdacht des Meineids darauf zu beharren, von nichts gewusst zu haben, ist im sachlichen Ergebnis das durch blanke Uneinsichtigkeit vorgetragene Eingeständnis, der komplett falsche Mann für den Job zu sein. Und es um offenbar jeden Preis bleiben zu wollen. Der Preis, den katholische Kirche dafür in Form von Kirchenaustritten zahlt (2022 erstmals mehr als eine halbe Million), steigt von Woche zu Woche.

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