Das "Magische Dreieck" in Zeiten von COVID-19
Magische Dreiecke sind beliebt. Es gibt einige davon. Das wohl berühmteste stammt aus dem (Projekt)Management. „Zeit“, „Kosten“ und „Qualität“ lauten da die Eckpunkte. Es sind – wie in jedem magischen Dreieck – Zieldimensionen. Zwischen diesen bestehen ärgerliche Wechselwirkungen. Wieso ärgerlich? Nun, weil man nicht alle drei auf einmal „optimieren“ kann. Wenn ich eine Zieldimension besonders anstrebe, muss ich bei mindestens einer der anderen Nachteile in Kauf nehmen. „Kein Wenn ohne Aber“ lautet die zwangsläufige Formel. Will ich mehr Qualität, wird es teurer oder dauert länger oder beides (unter sonst gleichen Bedingungen). Isso! Ein Trilemma, ein Naturgesetz, ärgerlich, eben.
Nun gibt es auch in der Corona-Pandemie ein magisches Dreieck. Es verbindet die Zieldimensionen „Gesundheit“, „Freiheit“ und „Wirtschaft“. Woher das kommt? Hab‘ ich mir ausgedacht. Darf also angemeckert werden. Freue mich schon darauf – auf die Diskussion und all die schlauen Kommentare.
Mit dem Frank-Dreieck lässt sich etwas erklären. Zum Beispiel, mein persönliches Gefühl, dass unsere Regierung keine einheitliche Zielestrategie hat. Heißt: In verschiedenen Bereichen unseres Lebens wird nach unterschiedlichen Prioritäten gesteuert. Beispiele gefällig?
- Schulen: 1. Freiheit, 2. Wirtschaft, 3. Gesundheit
- Kultur/Kreativwirtschaft: 1. Gesundheit, 2. Wirtschaft, 3. Freiheit
- Kneipen/Restaurants: 1. Gesundheit, 2. Wirtschaft, 3. Freiheit
- Hotels/Tourismus: 1. Gesundheit, 2. Wirtschaft, 3. Freiheit
- Handel: 1. Wirtschaft, 2. Freiheit, 3. Gesundheit
- Sonstige Wirtschaft: 1. Wirtschaft, 2. Freiheit, 3. Gesundheit
Ich gebe zu: das ist alles nicht so eindeutig. Schließlich habe ich ein betriebswirtschaftliches Modell auf die Volkswirtschaft übertragen. Dabei sind verschiedene Zielgruppen zu betrachten. Die Freiheit der einen ist die gesundheitliche Einschränkung der anderen. Beispielsweise!
Aber einige Muster sind doch augenfällig. So offenbart der Vergleich zwischen „Handel“ und „Kultur/Kreativwirtschaft“ wie unsere Politiker ticken. Denn beides sind Wirtschaftssegmente; die Kulturwirtschaft ist mit 3% des BIP sogar größer als einige Segmente im Handel, etwa der Textileinzelhandel. Doch im Fall von Theatern und Gaststätten gilt „Gesundheit zuerst“ und sie werden geschlossen. Im Fall von Elektronikmärkten oder Klamottenläden gilt indessen „Wirtschaft zuerst“ und sie bleiben offen. Warum diese unterschiedlichen Zielprioritäten? Ist völlig unklar! Die Ansteckungsgefahr im Kiosk oder Klamottenladen ist sicher nicht niedriger als in einem Theater (alle mit Hygienekonzept). Aber unsere Politiker verfügen anscheinend über ein bestimmtes Mindset. Es offenbart sich in Sätzen wie dem unseres Arbeitsministers, der den Weihnachtseinkauf als „patriotische Pflicht“ bezeichnet. Im Land der Dichter und Denker hatte ich auf wenigstens einen Politiker gehofft, der den „Theaterbesuch als patriotische Pflicht“ bezeichnet. Den scheint es aber nicht zu geben.
Ein erstes Problem beim Handeln der deutschen Regierung ist also, dass die Gründe für die unterschiedlichen Zieleprioritäten nicht vollständig vernünftig sind und falls doch, so sind sie zumindest nicht gut erklärt. Das andere – noch größere Problem – besteht darin, dass es überhaupt wechselnde Zieleprioritäten gibt.
Meinen Studierenden predige ich stets, dass sie sich klar für ein wichtigstes Ziel entscheiden müssen. Dieses gilt es dann zu beziffern (messbar zu machen) und anschließend konsequent zu verfolgen. Diese Konsequenz bedingt, dass die anderen beiden Dimensionen dem unterzuordnen sind. Nicht nur ein bisschen, sondern – genau – konsequent. Dabei hilft es, sich klar zu werden, was das am wenigsten wichtige Ziel ist, d.h. das #3-Ziel. Man kennt dann also sein #1 und sein #3 Ziel. Nur so kann man wirksam steuern und „zielorientiert entscheiden“!
Dass das auch bei COVID-19 funktioniert, haben viele asiatische Länder gezeigt. Mit einer konsequenten „Gesundheit zuerst“-Strategie haben sie das Virus in den Griff bekommen. Dafür haben sie „Freiheit zuletzt“ gesagt. Auch in demokratischen Ländern wie Japan und Südkorea gab es striktes Tracking und beinharte Quarantäne. Aber eben nur bis das Erfolgskriterium erreicht war – und das dauerte gar nicht so lange.
Und bei uns in Deutschland? Gibt es eine Corona-App, deren Wirkung durch den Datenschutz kastriert ist, einen „Lockdown light“, in dem so getan wird, als wären Geschäftsreisende nicht ansteckend und viele andere gutgemeinte Maßnahmen, die sich gegenseitig aufheben und so verpuffen. Ein Potpourri an Kompromissen. Ein gutgemeinter Mittelweg, der nicht funktioniert. Ein erneuter Beleg des bekannten Satzes, dass „gut gemeint der größte Feind von gut gemacht ist!“.
Zu guter Letzt: Ich sage nicht, dass ich es besser gewusst oder gemacht hätte. Ich fürchte nur, dass wir es beim nächsten Mal wieder genauso machen. Doch (besonders) in der Krise gilt: Ziele vertragen keine Kompromisse. Ziel verlangen klare Prioritäten! Und diese Prioritäten müssen erklärt und dann in aller Konsequenz verfolgt werden. Auch wenn es weh tut. Sonst erweist man seinen eigentlich guten Absichten einen Bärendienst.
Beratung und Forschung für Familienunternehmen
4 JahreHallo Frank, gut analysiert. Aus meiner Sicht aber mit dem kleinen Denkfehler, dass unser Staat (zum Glück) ein demokratischer ist (anders als manche von dir erwähnten asiatischen Staaten und das in einer solchen Staatsform Pluralität der Meinungen (zum Glück) und damit unterschiedliche wichtigste Ziele der vielen Menschen möglich sind. Auch da gibt es wieder einen Zielkonflikt, überspitzt ausgedrückt: Diktatur versus Demokratie. Mein wichtigstes Ziel bei dieser Auswahl ist klar!
Expert Witness | Business Responsibility & Forced Labour in Supply Chains Research | China expertise in Business Ethics
4 JahreDie Inkonsistenz hinsichtlich der Prioritäten der Bundesregierung wird hier sehr deutlich. Das Problem ist offenbar, dass die Bundesregierung nicht eine klare Priorität hat, zB Gesundheit, die dann auch eine konsistente Steuerung ermöglichen würde, sondern für verschiedene Bereiche unterschiedliche Prioritäten. Ob das am Ende die sinnvollere Strategie sein wird? Für die breite Gesellschaft wäre es wohl nachvollziehbarer gewesen, man hätte sich dort nicht verzettelt. So muss sich die Bundesregierung selbst immer wieder für ihre unterschiedlichen Prioritäten rechtfertigen, was im besten Fall lediglich wenig souverän wirkt, im schlechtesten Fall aber planlos/konfus.
Leadership for Good | Host Leaders For Humanity & Business For Humanity | Good Organisations Lab
4 JahreVery interesting!! Thank you for this insightful input! But is this triangle the only one? See Michael Sandel on Justice (and also his new book on Tyranny of Merit) - I would suggest another possible triangle is between welfare (utilitarian), freedom (libertarian/human rights), and virtues (moralists). I reckon "health" questions in most cases are either utilitarian (avoiding pain, maximising pleasure) or libertarian (right to pursue my own life). Need to ponder more - thanks again for the intellectual nudge! Alain Noghiu
Clarify. Create. Nourish. Let’s draw (together) the flow to change, what matters!
4 JahreUnd welche Art von Solidarität bzw Miteinander wird wann benötigt... das taucht bei mir noch auf, beim Lesen Deiner sehr spannenden Zeilen, lieber Frank Habermann !