Das Nirvana der Wörter
Ich stelle mir das so vor: Eine Eingangshalle, riesig wie ein Bahnhof. Die zeitlose Architektur einer viele Jahrhunderte alten Tradition. Herren im Zwirn. Damen elegant. Dezenz, wohin man blickt. In Wände aus edlem Holz sind Vitrinen eingelassen - große, geräumige Schaukästen mit Sicherheitsglas verschlossen, unauffällig von bewaffneten Männern im Anzug bewacht. Die Vitrinen sind aufwändig und doch zurückhaltend illuminiert. Darin stehen samtbeschlagene Podeste, auf denen die wertvollen Ausstellungsstücke ruhen, zu deren Präsentation die Einrichtung dient.
Es sind Wörter
Wörter von unsagbarem Wert: Wörter von Bedeutung: wahrer Bedeutung (gibt es denn eine andere?). Nur selten werden sie verwendet - und nur für genau bestimmte Gelegenheiten. Der Raum riecht vornehm, erfüllt von frischer Luft. Es herrscht das Flair eines gelassenen, aus innerer Überlegenheit gewachsenen Selbstbewusstseins. Die Atmosphäre reiner Nützlichkeit drückt sowohl Demut, als auch selbstverständlichen Adel aus. Musik diffundiert aus dem Raum, gerade gut genug wahrnehmbar, um die unglaublichen Summen zu übertönen, die genannt werden, wenn ein Kunde bittet, eines der Wörter in den Mund nehmen zu dürfen.
Die Preise sind so hoch, dass nur wenige Kunden auf der Welt in der Lage sind, sich diese Wörter zu leisten. Dabei geht es nicht um Geld. Vielmehr geht es um die Fähigkeit, Aussagen ohne oberflächlichem Glanz und frei von Beliebigkeit zu formulieren und mit Bedeutung zu beleben. Konsequenz des Handelns und Haltung sind es, was ihnen Bedeutung gibt. Nur wenige Unternehmen sind dazu in der Lage. Andere mögen vielleicht die finanziellen Mittel zusammenkratzen können. Doch sie scheitern, wenn es um Haltung geht. Beschämt rücken sie ab, wenn sie das erkennen. Nur auf Empfehlung wurden sie hier eingelassen. Um nun feststellen zu müssen, dass sie nicht bestehen können und ihnen nur noch eines bleibt: Die Reste ihres aus einer berühmten Vergangenheit stammenden Kapitals aufzubrauchen. Heimlich, damit es niemand sieht, ernähren sie sich noch eine Zeitlang von Resten. Doch bald ist nichts mehr da, was die Erinnerung an sie lohnt.
Geld zählt hier nichts. Es geht um Werte und Haltung, wahre Haltung (gibt es denn eine andere?). Und auch wenn es Unsummen sind, die hier für ein gutes Wort bezahlt werden, so ist das doch nur Kleingeld angesichts der durch Bedeutung erreichbaren Gewinne.