Debattenkritik: "Das Klima Buch" von Greta Thunberg
(Ein Kommentar von Till Spurny )
Das von Greta Thunberg herausgegebene "Das Klima Buch" ist eine umfangreiche Sammlung zahlreicher klimawissenschaftlicher Aufsätze der internationalen Forschungsgemeinde. Der kluge Kapitelaufbau und die wohl überlegte Auswahl der Beiträge machen einen sortierten Gesamteindruck, sodass die Herausforderung, wissenschaftlich komplexe Fakten auf eine allgemein verständliche Weise zu kommunizieren und in einer gut durchdachten und sinnvollen Struktur für ein Laienpublikum greifbar zu machen, als durchaus gelungen zu bezeichnen ist.
Die gegenwärtig unübersehbare Medienpräsenz von Themen rund um den Klimawandel macht neugierig, ob Gretas Buch neue und aktuelle Erkenntnisse zusammentragen kann und inwiefern die Argumentationslinien der Klimabewegung klar und differenziert herausgearbeitet werden. In der Hinsicht stellt sich für Leserinnen und Leser jedoch schon früh im Buch die Frage, mit welcher Brille man das Buch lesen möchte. Nehme ich die Inhalte mit einem alarmierten oder gar panischen Haltung auf? Oder suche ich nach dem Sachlichen und der rationalen Nachvollziehbarkeit von hoch komplexen wissenschaftlichen Zusammenhängen?
Der offenbare Anspruch, den Klimawandel unter vielen verschiedenen Gesichtspunkten zu beleuchten, bringt den Nebeneffekt mit sich, dass auch politische Aussagen und soziale sowie wirtschaftliche Aspekte in den Band aufgenommen wurden, denen an manchen Stellen die Trennschärfe zum Klimawandel fehlt. In einem ihrer selbstverfassten Aufsätze schreibt Greta Thunberg beispielsweise über den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Demokratie bzw. Autokratie. Ein Leser, der an Fakten zum Klimawandel interessiert ist, kann bei solchen Passagen durchaus hinterfragen, ob man denn grundsätzlich allen Thesen folgen solle, die aus Sicht der Klimabewegung zwar logisch scheinen mögen, die im Grunde jedoch als Gegenstand anderer Publikationen ausführlicher besprochen werden sollten.
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Um es klar zu benennen, der Kern der Klimaproblematik sei nach Aussage des Buchs der Kohlendioxid-Ausstoß seit Beginn des industriellen Zeitalters, also etwa zwischen 1850 und heute. Der größte Anteil der heutigen, jährlichen CO2-Emissionen, nämlich fast 50% weltweit, gingen auf die Lebensweise der reichsten 10% der Weltbevölkerung zurück. Diese Fakten repräsentieren die Kernpunkte des Klimadilemmas: Es ist nicht allen die klimaphysikalische Dimension, in der es um die Wirkung des Treibhauseffektes oder etwa die Veränderungen des Jetstreams auf der Nordhalbkugel geht, sondern die Klimakrise ist auch ein Symbol der globalen Ungleichheit, sowohl historisch gesehen als auch auf die Gegenwart bezogen.
Das Klima Buch stellt keineswegs einen Aufruf zu blindem Aktionismus dar. Es ist vielmehr eine vielschichtige und in vielerlei Hinsicht bereichernde Zusammenstellung wichtiger aktueller Erkenntnisse aus den Klimawissenschaften. Angesichts der Komplexität des Forschungsgegenstands wäre indes wünschenswert, wenn die Klimadebatte im Allgemeinen nicht ständig um politische Dimensionen aufgeheizt werden würde, sondern wenn mehr Sachlichkeit und Rationalität in die Debatte einkehren würden. Der Umgang mit Zahlen und Fakten aus den Klimawissenschaften sollte beispielsweise stets reflektiert erfolgen. Es ist nicht nur in den Medien, sondern auch in wissenschaftlichen Aufsätzen inzwischen zur Gewohnheit geworden, ständig Zahlen und vermeintlich gesicherte Daten einfließen zu lassen, mit denen die Dringlichkeit und Ungeheuerlichkeit des Klimawandels untermauert werden sollen. Oft übersehen wird dabei, dass diese Zahlen ursprünglich aus komplexen wissenschaftlichen Untersuchungen stammen und lediglich dabei helfen sollten, einen komplexen Sachverhalt einfacher beschreibbar zu machen.
Ein Beispiel dafür ist das Einhalten oder Überschreiten des im Pariser Klimaabkommen beschlossenen 1,5 °C Ziels. In den Aufsätzen des Buchs finden sich etwa Aussagen wie die Folgende, die ohne weitere Erklärung oder entsprechende Ausführung in den Text einfließen: Wenn das 1,5 °C Ziel nicht eingehalten wird, so werde der Meeresspiegel um ca. 2 Meter ansteigen, auch wenn dieses Niveau erst in 2000 Jahren erreicht sein dürfte. Ein solcher Umgang mit Berechnungen rund um das 1,5 °C Ziel ist letztlich wenig sinnvoll, da hierbei rein statistische Berechnungen benutzt werden, die zusammenhanglos in einen Text einfließe. Fragt man sich, was mit dieser Information ausgesagt werden soll, so findet man keine befriedigende Antwort. Zahlen und Daten aus den Klimawissenschaften sind häufig derart abstrakt, dass sie ihre Aussagekraft oftmals verlieren, wenn sie unreflektiert verwendet werden.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass "Das Klima Buch" von Greta Thunberg eine wertvolle und hoch relevante Sammlung von Beträgen aus den Klimawissenschaften darstellt, die hoffentlich dazu beitragen wird, mehr Menschen für den Klimawandel zu sensibilisieren und die Klimadebatte insgesamt sachlicher zu gestalten.