Der Durchbruch! Wie wir als Familie die Haushaltsführung neu denken und was Frederic Laloux damit zu tun hat

Der Durchbruch! Wie wir als Familie die Haushaltsführung neu denken und was Frederic Laloux damit zu tun hat

TEIL 1

Auch mit 3 Jahren kann man wunderbar den Geschirrspüler ausräumen

Ich muss gestehen, dass ich schon immer - ganz besonders seit ich Mutter bin - mit allem was Haushaltsführung anbelangt, auf Kriegsfuss stehe. Es ist nun einfach so, dass bei uns («uns» das heisst: vier Kinder, 3, 10, 13 und 15 Jahre alt, mein Partner und Vater des Jüngsten der vier Kinder – 70% berufstätig, ich – 80% berufstätig - und diverse Vierbeiner mit Fell oder Federn) die Halbwertszeit eines sauberen Bodens bei unter einer Stunde liegt! Der Putzlappen ist noch klatschnass und schon stapft jemand mit seinen Matsch-Schuhen ins Haus, um kurz zu pinkeln oder eine Schere zu holen. Ja, ich bin eine Verfechterin des freien Spiels, aber in diesen Momenten lässt sich eine Schimpftirade nicht vermeiden.

Nun ist der Einbezug der Kinder in die Haushaltsführung nicht nur ein pädagogischer Wert, sondern sollte auch eine echte Hilfe und Erleichterung mit sich bringen. Also habe ich mich jahrelang intensiv mit verschiedensten Varianten von Ämtli-, Kontroll- oder Bonuspunkte-Listen auseinandergesetzt, um die Mithilfe im Haushalt zu organisieren. Pro Woche räumt immer das gleiche Kind den Geschirrspüler aus. Blöd, dass gerade dieses Kind wegen der Schule, dem Hobby, dem Kindergeburtstag oder was auch immer nicht da ist, wenn gerade diese Aufgabe anfällt. Dazu die meist abends - alle sind geschafft, müde und hungrig - anfallenden Streitigkeiten: «Aber heute gibt es für meinen Bruder viel weniger aufzudecken als gestern für mich. Das ist unfair!». Und die Eltern werden in diesen Situationen als Controller*innen und Schiedsrichter*innen einberufen… Einen Teil, z.B. das Putzen auszulagern, war keine eine Option für mich. Es muss doch möglich sein, dass wir unseren Dreck selbst wegputzen?! Zudem muss es doch einfach Alternativen geben zu dieser zermürbenden Haushalts-Ämtli-Geschichte oder? … Ja – wir haben eine gefunden, resp. irgendwie hat sie uns gefunden.

Spannenderweise haben sich bei mir fachliche Themen (ich leite Studiengänge zu den Themen Führung und Management im Sozialbereich) und die Themen als Mutter und Familienfrau in den letzten Monaten in eine ähnliche Richtung bewegt. Zuerst ohne, dass es mir so richtig bewusst war.

Die Idee von Frederic Laloux (Reinventing Organization, 2015) wie Organisationen zutiefst wirkungsvoll, seelenvoll und sinnvoll zusammenarbeiten können, fasziniert mich seit längerer Zeit. Deshalb findet dieser neue Denkansatz, Organisationen als evolutionäre Systeme zu denken, auch Eingang in meine Dozentinnentätigkeit an der Berner Fachhochschule. Gleichzeitig stelle ich fest, dass wir als Familie die Haushalts-Geschichte irgendwie besser hinkriegen. Ohne Pläne, ohne feste Aufgabeverteilung und mit deutlich besserer Stimmung. Und plötzlich die Erkenntnis während einer meiner Vorlesungen: schrittweise haben bei uns die drei Prinzipien von Laloux - Selbstführung, Ganzheit und evolutionärer Sinn - Einzug gehalten in die Alltagsgestaltung unserer Familie. Was heisst das konkret?

Starten wir mit dem evolutionären Sinn. Der evolutionäre Sinn unserer Alltags- und Haushaltsführung sehe ich ganz banal darin, dass wir alle ein Zuhause haben, indem wir uns wohlfühlen, Körper und Seele gut versorgt werden und jeden Morgen irgendetwas Sauberes zum Anziehen finden. Vor zwei Jahren hat die älteste Tochter rumgemeckert, dass ihre Lieblingskleider zulange im Waschkorb liegen, bevor sie gewaschen werden. Natürlich mussten die Kinder auch vorher schon bei der Wäsche mithelfen, doch die Verantwortung lag bei uns Erwachsenen. Schnurstracks erklärte ich ihr die Waschmaschine und seit sie 12 Jahre als ist, wäscht sie ihre Kleider selbst. Keine frische Unterwäsche mehr im Schrank? Der Lernprozess ergibt sich von selbst - ohne pädagogische Interventionen, bei denen die Mutter zum 100-ten Mal die Funktion des Wäschekorbes zu erklären versucht.

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Dass die Mahlzeiten nicht von allein auf den Tisch kommen, leuchtet allen ein. Seit einigen Monaten fange ich nicht mehr an, allein zu kochen. Der 3-jährige hilft bei den Mittagsmahlzeiten mit und abends rufe ich durchs Haus, wer kochen möchte oder mit mir gemeinsam kocht. Meldet sich niemand, mache ich etwas für mich und warte. Ich musste nicht oft warten und auch nicht lange. Irgendjemand findet sich immer und natürlich Entscheiden wir dann gemeinsam, was auf den Tisch kommt. Beim gemeinsamen Kochen ergeben sich wunderbare Gespräche über das Erlebte des heutigen Tages. Es ist dann selbstverständlich, dass diejenigen, die nicht gekocht haben, anschliessend die Küche machen.

Die verschiedenen Aufgaben im Haushalt werden immer wieder neu vergeben, resp. ausgehandelt. Wenn die Aufteilung erfolgt ist, organisiert sich jede/r selbst. Badezimmer putzen, saugen, recyclen, Hühner misten, Rasen mähen, Kühlschrank raus putzen – all diese Aufgabe können von allen übernommen werden. Es kann nicht sein, dass sich die Kinder und gerade auch die Teenager ins Zimmer verkriechen, während die Eltern am Herd stehen oder die Waschmaschine in Gang setzen. Und nach getaner Arbeit haben wir uns dann alle etwas Freizeit verdient. Schliesslich stärkt die Verantwortungsübergabe und Selbstführung die Selbstwirksamkeit. Unser 10-jähriger Sohn ist furchtbar stolz, wenn ihn beim Abendessen die Geschwister für das leckere Essen loben.

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Nun hört sich dies zugegebenermassen etwas romantisch an. Abstriche machen, eine perfektionistische Haltung ganz weit unten im Keller vergraben und flexibel bleiben, sind wichtige Voraussetzungen, damit dieses gemeinsam Projekt Erfolg hat. Der Schrank sieht dann halt so aus… und die Gemüsebeilage besteht dann halt zu 90% aus Gurkenscheiben und Rüeblistängeli (logischerweise kocht auch bei uns kein Kind freiwillig einen Gemüseauflauf).

Wie entscheidend das Überdenken meines Selbstbildes als Mutter zu dieser Veränderung beigetragen hat, lesen Sie im Teil 2 des Artikels zum Thema «Ganzheit». Darin wird auch erzählt, wieso es bei uns zu Hause kein Sackgeld gibt.

Prof. Dr. Emanuela Chiapparini

Leiterin Institut Kindheit, Jugend und Familie an der Berner Fachhochschule BFH

4 Jahre

Vielen Dank für deinen lesenswerten Beitrag! Was du hier informativ, erfahrungsbasiert und witzig beschreibst, wird in der Familienforschung "Doing Family" genannt. Die oft unterschätze Herstellungsleistung von Familie, die du in deinem Beitrag sehr klar beschrieben hast, ist eines der Befunde aus der abgeschlossene Literaturrecherche im Rahmen des laufenden Forschungsprojekts zu Elternbildung: https://www.bfh.ch/de/forschung/forschungsprojekte/2020-198-344-262/

Andrea Abraham

Dozentin Kindeswohl/Kindesschutz

4 Jahre

Liebe Melanie, eigentlich wollte ich nur ganz kurz ins Linked-in und konnte nicht anders als deinen Beitrag zu verschlingen. Vielen Dank für deine Inspiration!

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