Der Konsens des Zusammenlebens
Was hält eine Gesellschaft zusammen? Sind es Regeln und Gesetze und wenn ja, welche? Sind es Werte wie Produktivität und Effektivität, Leistung und Gewinn? Ist es die Abgrenzung zu anderen Nationen oder zum „Fremden“ an sich? Genügt das um ein lebensfreundliches Miteinander zu gestalten? Unser Land scheint ja zur Zeit an manchen Stellen von beinahe unversöhnlichen Gegensätzen geprägt zu sein, von Sprachlosigkeit und einem gewissen Maß an Orientierungslosigkeit und vielleicht auch Angst. Ich lese die Nachrichten und höre von Menschen, die andere auf den Bahnsteig oder die Treppe herunterstoßen. Es wird von Leuten berichtet, die ausrasten, die sich Straßenrennen liefern, die Autobahnen für ein nettes Foto blockieren, die Rettungskräfte behindern und sogar angreifen. Einzelfälle oder wird hier permanent der Konsens unseres Zusammenlebens unterhöhlt? Gewiss, die unsichtbaren Alltagshelden und -heldinnen erscheinen hier nicht so oft, die, ohne die unsere Gesellschaft schon lange nicht mehr in dieser Form da wäre. Trotzdem scheint das Miteinander für nicht wenige Menschen irgendwie schwieriger geworden zu sein, die Spannkraft hat nachgelassen und der Frustrationslevel ist hoch.
Eine Gemeinschaft kann mit Hilfe von Gesetzen und dazugehörigen Strafmaßnahmen geordnet, jedoch nicht verordnet werden. Sie wird nicht aus den eingangs erwähnten Werten geboren. Unsere Gesellschaft sollte auch nicht einfach eine Zwangs-, Interessengemeinschaft oder Arbeitsgruppe sein. Wir brauchen auch keine „Wartezimmergemeinschaft“ sein, die miteinander hofft, dass der Arzt bald kommt (wer immer dass sein mag). Wir haben nämlich ein Erbe, das uns Aufschluss darüber geben kann, wie menschliche Gemeinschaft funktionieren kann. Von diesem Erbe des „christlichen Abendlandes“ zehren wir noch heute, wobei ich die Fehlentwicklungen der kirchengeschichtlichen Vergangenheit gewiss nicht ignorieren möchte. Trotzdem sind es Werte wie Barmherzigkeit, Vergebung, Gnade, Zuwendung, Wertschätzung und Anerkennung, die uns das christliche Erbe mitgibt. Im Kern bedeutet es „Lass dich versöhnen mit Gott“ und werde wie er, „menschlich“, so wie Jesus von Nazaret es vorgelebt hat. So wie er soll der Mensch sein, einer, der den Anderen aufhilft und ihn nicht beim Sterben fotografiert, nur um ein „gelungenes“ Foto ins Internet hochzuladen.
„Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst“, das ist der Kern des Evangeliums und praktikabel geworden, weil Gott seine Liebe zum Menschen in Jesus offenbart hat (Johannesevangelium 3, 16). Vielleicht ist unsere gesellschaftliche Situation ja ein Aufruf, sich neu auf unsere christlichen Fundamente zu besinnen. Ein Rückruf zum Glauben an den Jesus Christus, der allen Menschen Wert und Würde gibt. Von hier her kommen die Werte, die Menschen zusammenhalten und in diesem Glauben wachsen Menschen, die keine Gesetze mehr brauchen um zu lieben. Es lohnt sich, sich auf diesen Jesus einzulassen.