DER LÖFFELCHEN-MOMENT DES MANNES – Zwischen Andrew Tate, Harry Styles und Waschlappen.

DER LÖFFELCHEN-MOMENT DES MANNES – Zwischen Andrew Tate, Harry Styles und Waschlappen.

Ich liebe meine Frau. Ich liebe ihre Weiblichkeit, ihre emotionalen Ausbrüche, ihre Passion. Ihre unrationelle Art, die sich so signifikant von meiner Rationalität und meinem Pragmatismus unterscheidet, fasziniert mich.

Jedoch liebe ich nicht das, was sie ist, sondern das, was mich erfüllt. Das Andere. Im heutigen Anders Gedacht geht es um Kategorisierung, Lebendigkeit und vor allem um den modernen Mann und seine Männlichkeit. Ich frage mich, ob wir durch die Verwirrung zwischen Gleichberechtigung und Gleichheit riskieren, »den Mann« zu verlieren. 

Genderst du noch, oder lebst du schon?

Meine Frau ist nicht wie ich, aber über ihre Rolle als Mensch und biologische Frau hinaus habe ich kein Bedürfnis nach einer Kategorisierung. Liebe und damit einhergehend, die Lebendigkeit ist für mich keine Absolutheit. Sie besteht aus Komplexitäten, Widersprüchen und vielschichtigen menschlichen Emotionen. Ein Konzept und eine Kategorisierung, die sich nur durch weitere, unbeschreibbare Konzepte wie Herz und Seele erklären lassen.

Liebe ist ein Zukunftsversprechen, das sich nicht nur durch das, was ich weiß, auszeichnet, sondern (auch) durch das, was ich nicht weiß. Liebe ist somit auch ein Mangel an Information – das, was ich nicht definieren, erfassen oder in Worte fassen kann. Eine Liebesbeziehung baut auf dem Streben nach Gleichberechtigung, nicht auf Gleichheit auf. Sie wird lebendig durch Diversität. Durch die Verabsolutierung von Kategorien – auf Information und Wissen reduziert – wird die Liebe jedoch leblos, mit einer zunehmend verlorenen Gesellschaft, die verzweifelt eine absolute Kategorie sucht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine damit verbundene Kategorisierung (das Andere) negiert werden soll. Im Gegenteil. 

Ich bin also neugierig darauf, ob Gender-Debatten und die Befreiung der Stärken zu einer Spaltung und dem Verlust der Differenzierung führen können? Was mich interessiert ist, ob Diversität – was für mich ein Fest der Unterschiede ist – durch Kategorisierung und Verabsolutierung nicht immer die guten Ziele des Vorhabens hervorbringt – eine gerechtere und inklusivere Gesellschaft – sondern auch zu Spaltung führt und in äußerster Konsequenz zu einem Verlust von dem, was wir nicht erklären können, und damit verbunden dem Verlust von Lebendigkeit.

In diesem Tanz des Lebens geht es mir um eine besondere Beobachtung. Eine Krise »in der Mache« – und ein Problem, das ich seit Jahren zunehmend als Gesellschaftsproblem erkenne: Die Rolle des modernen (jungen) Mann

Wer oder was ist der Mann in 2024? Oder anders gefragt: Ist die Männlichkeit vom Aussterben bedroht?

Ich möchte im heutigen Essay drei der Beobachtungen genauer beleuchten: 

  1. Das Aufblühen des konservativen Mannes im Zusammenspiel mit der linken progressiven Frau und der Diversity-Bewegung – das LGBTIQ-Plus & Co.,
  2. Die Rolle der Sexualität, vor allem mit Blick auf junge Männer, und
  3. Warum Frauen mit der gegenwärtigen Entwicklung besser klarkommen

Dazu wage ich auch einen Ausblick und finde Rollenmodellen in meiner Heimat Norwegen, die uns evtl. dabei helfen können, neue Vorbilder zu formen und diese Wirkkraft eines möglichen gesellschaftlichen Wandels bereits heute zu entfesseln.

Ich freue mich über Feedback und Gedanken und gerne ein Teilen mit deiner Community und / oder Kollegen, die das Thema auch interessieren könnte. 

1. Die Suche nach dem modernen Mann

Die zunehmende New-Wave-Suche nach Sinn und Seele trifft auf Andrew Tate & Co. Von Sabbaticals und Retreats bis hin zu Substanzerfahrungen mit Egobefreiung und Bewusstseinserweiterung. Alles muss erklärt werden, auf der Suche nach einer absoluten Antwort. Andererseits gibt es das Phänomen Tate: den »Modernus-Mannus-Machos«.

Bei einer Gruppe junger Männer im Hipster-Kiosk von nebenan – wo ich zur späten Stunde meine Mandelmilch für mein Frühstück  hole… – führte ich letzte Woche ein Art »Feldforschung« durch:

  • »Kennt ihr Andrew Tate, Jungs?«
  • »Krasser Typ, Bruder«, lautet die spontane Antwort.
  • »Er darf Rumänien nicht verlassen und wird beschuldigt, zusammen mit seinem Bruder Tristan sowie zwei Frauen aus Bukarest heraus Menschenhandel, Geldwäsche in großem Stil, Vergewaltigung und organisierte Kriminalität  betrieben zu haben. Erst vor einem halben Jahr wurde er wegen der Bildung einer kriminellen Organisation angeklagt«, füge ich hinzu.
  • »«Digger, das ist nicht korrekt, Alter. Aber was er sagt, ist schon gut. Er traut sich zu sagen, was ist, kein Waschlappen eben.«

Unser Gespräch geht weiter. In jedem Satz fällt zweimal das Wort »Bruder«. Neue Kategorisierungen und Beschreibung wie Cringe, Side-Eyed, NPCs und Rizz treiben die Sprache. Verwirrt über den modernen jungen Mann verlasse ich am Abend den Kiosk.

Ich stelle fest, dass Tate zusammen mit dem US-Influencer Justin Waller junge Männer in ihrer »Real World Business School« »ausbildet«. Wenige Tage später stoße ich bei X (ehemals Twitter) auf eine »Spaces«-Diskussion, in der sich der kontroverse Alex Jones mit US-Präsidentschaftskandidat Vivek Wishabimi, Elon Musk und eben jenem vierfachen Kickbox-Weltmeister Tate stundenlang daran machen, Millionen von Menschen ihre Sicht auf die Welt zu erklären. Themen wie die Rettung aller Frauen, Diskussionen über Weltprobleme und die Befreiung von den bösen Mächten der Elite werden mit einer einseitigen Sichtweise an das Publikum herangetragen. Ob Musk die Welt wirklich so sieht, bleibt unklar – Hauptsache, seine Plattform bleibt lebendig.

Tate lebt heute »gefangen« in Rumänien. Im Jahr 2022 gehörte er zu den meistgesuchten Personen bei Google und wird überall zu Talkshows eingeladen. Interviews mit dem Fußballer Ronaldo oder dem US-Rapper Kanye West in »Piers Morgan Uncensored« kommen nicht annähernd an die Einschaltquoten für Interviews mit Tate aus Rumänien heran. Dort äußert sich der »King of Toxic Masculinity« hinter dunklen Sonnenbrillen mit aggressivem Ton und für viele mit provokanter Sprache selbstsicher zu allen Themen – von der Rolle der Frau bis zur Lage in Israel.

Es gibt natürlich andererseits auch tolle Vorbilder. Harry Styles beispielsweise ist charmant, erfolgreich und freundlich. »Ein Vorbild für alle Generationen« lautet eine Headline. Aber in einer Welt, in der Offenheit, Geschlechtergerechtigkeit und das Streben nach Toleranz betont werden, finden wir heute viele junge Männer, die gespalten und verloren sind. Sie befinden sich im Schwebezustand zwischen der vermeintlichen Seelen- und Sinnsuche und Vorbildern mit kriminellem Hintergrund, die als aggressive Frauenverächter für Stärke, Reichtum und materialistischen Erfolg stehen.

Auf meinen Post auf LinkedIn reagiert eine geschätzte Kollegin mit der Frage, ob Feminismus und veränderte Rollenbilder den Mann verunsichert oder seine Männlichkeit verändert haben? In Kreisen von (selbsternannten) Feministinnen kommt die Aufklärung, die Männer haben Angst vor dem Aufstieg der Frauen. Die Herausforderung, dass einige Männer nicht mit einer starken, selbstbewussten und »erfolgreichen« (wie auch immer wir das definieren möchten) Frau klarkommen, ist aber keine Schuldzuweisung an die Frauen.

Sind Männer, die es nicht handhaben können, im Schatten ihrer Frau mit einem profilierten Amt (oder Position) zu stehen, schwach? Oder liegt es daran, wie die Gesellschaft Männer sieht? 

Ich glaube nicht, dass es im Kern das Problem ist, dass Männer ihren Frauen den Erfolg nicht gönnen. Findet eine dauerhafte Verabsolutierung im Vergleich und der Kategorie statt, so finde ich nie Anklang und Ruhe. So liegt die Verlorenheit in permanenter externer Validierung und Vergleich, nicht im Aufstieg der Frauen.

Sicherlich kommen viele Männer damit nicht klar… Ich sehe aber dies nicht als gesellschaftliche Herausforderungen für »den Mann«. Vielmehr suche ich das Problem, im binären Vergleich zu stehen und die dauerhafte (externe) Validierung. Der junge  – normale – Mann findet sich nicht in der Minderheit wieder. So ist der Linksliberalismus und die immer länger werdenden LGBTIQ-Plus & Co Liste, die Quotenverteilung und der Diversity-Fokus keine Heimat für den normalen jungen Mann. 

Traditionell wurde von Männern erwartet, emotional unempfänglich zu sein. Dies hat heute ein Vakuum geschaffen, in dem junge Männer nach extremen Formen der Männlichkeit suchen. Hier finden Personen wie Tate & Co. ihre Anhängerschaft. Der verunsicherte und verlorene Mann ist anfällig für Populismus und sucht nach neuer Stärke – schließlich sind in seiner Wahrnehmung alle anderen Schuld an seinem Leid.

Daher ist für mich das Thema männliche mentale Gesundheit von großer Bedeutung.

Das Auftauchen dieser Problemstellung ist nicht nur Ergebnis individueller Verantwortungslosigkeit, sondern spiegelt eine tiefere Herausforderung wider, wie wir als Gesellschaft Männlichkeit und Emotionen behandeln.

Tiefe Freundschaften und offene Gespräche unter Männern? Laut Studien in den USA sind die engen Freundschaften unter Männer um 50% zurückgegangen seit 1990. Die New York Times schreibt ihr darüber als Phänomen »friendship recession.« Viele Männer haben kaum noch echte Freunde. Und wenn das wichtig ist, dann haben wir ein zunehmendes Problem. Wenn also die Vaterrolle für die Entwicklung eines jungen Mannes eine wesentliche Bedeutung spielt, so zeigen Studien, dass die Väter heute auch nicht ausreichend präsent sind. Suchen wir also nach Antworten in Gesellschaft und Bildung?

Diese Entwicklung nimmt meine Heimat Norwegen ernst. Dort hat der König im Rat ein öffentliches Komitee eingesetzt, das die Herausforderungen der Gleichstellung von Jungen und Männern in Norwegen untersuchen soll Im März erscheint aus diesem Gremium, dem »Mannesutvalget« (der Männerauswahl) das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2022, die sich mit den Herausforderungen der Geschlechtergleichstellung beschäftigt, mit denen Jungen und Männer in Norwegen konfrontiert sind. 

In dieser (neuen?) Welt finden sich nicht nur die »modernen, in der Midlife-Krise Steckenden«, sondern auch die junge Generation wieder. Tennisstar Zverev oder Fußballer Boateng – auch in Deutschland sind Vorbilder in Sachen optischer Ausstrahlung, Reichtum und Erfolg, nicht frei von Rollendebatten. Beide angeklagt wegen Gewaltvorwürfen gegen ihre jeweiligen Liebhaberinnen und Partnerinnen. Zahlreiche Statistiken zeigen, dass die Jugend – insbesondere junge Männer – zunehmend von Gewalt, Kriminalität und Rausch inspiriert werden und immer jünger werden. Im »Social-Media-Dschungel« dominieren auch die dominanten Accounts. Junge Männer werden straffälliger, brechen die Schule ab und sterben früher, so die Statistiken. Zusammen mit neuen psychologischen Herausforderungen könnte die Dunkelziffer der »späten Selbstabtreibungsquote im fortgeschrittenen jungen männlichen Alter« zunehmen – kurz: Männer im Alter von 30 bis 50 Jahren haben es nicht mehr so leicht; sie wissen nicht, wohin mit sich. Die Folge könnten steigende Suizidraten sein; der einst starke Mann wird zum schwachen Geschlecht.

So scheint es, wie in vielen Bereichen der Daumen-Hoch- oder -Runter-Gesellschaft, dass eine zunehmende Spaltung deutlich wird. Auf Diversity- und Geschlechtergerechtigkeit folgt die Spaltung in Kategorisierungen.

Das aktuelle Problem scheint mir zu sein, dass die Tür für gefährliche Vorbilder öffnet, wenn junge Männer nicht mit Gefühl, Verletzlichkeit, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen in ihrer »Toolbox« ausgestattet werden.

2. Die komplexe Sexualität und die Eigenliebe

Die zweite Beobachtung ist, dass Jungs heute in einer pornofizierten Gesellschaft aufwachsen. Über das rasch steigende Suchtproblem wird in internationalen Medien zunehmend berichtet.  

Mein Sexualunterricht war völlig abwesend. Und Porno? Es gab kein Internet. Hatten wir Glück, konnten wir eine VHS ergattern. Nach wochenlangem Warten auf einen Moment des Alleinseins, oder bei einer Gelegenheit, beim Kameraden zu übernachten, konnten wir die Highlights genießen, wenn die Eltern uns alleine ließen. Für uns waren die Lederhose–Juckende–Tiroler–Schreier, die ihre Akte und »acting« mit unterschiedlichem Schauspieltalent (synonym mit grotten schlecht) mit angezogener Hose durchführten, das einzige Angebot. Feuchte Träume gab es von den mit Früchten abgedeckten Begleiterinnen von Hugo Egon Balder und Tutti Frutti, oder dem monatlichen Plakat von Samantha Fox im Badeanzug. Touch me!

Die erste Generation Satelliten-Receiver boten eine zugedecktes Viereck am Fernseher, wo man seitlich deuten konnte, was hinter der Zensur passierte. Später konnten wir die Code-Karte dann aus dem Schlafzimmer der Eltern ergattern, um die Zensur abzuschalten, eine langsame technologische Entwicklung über Jahre. 

Und heute? Einmal in der Suchleiste eingetragen, so gibt es binnen weniger Sekunden: Squirting, Rough, Gangbang, Choking. Alles umsonst. Stundenlang. Täglich. »Frauen wollen auf dem Schreibtisch nach Feierabend hart genommen werden.« Hier ist deine Ausbildung wie… Losgelöst davon ab, ob es stimmt oder nicht, so ist der Sexual-Unterricht für 13-Jährigen Jungs heute. Mit 14, ausgeleert und gelangweilt. Mit 18 impotent im Jugendzimmer. Ein neuer Absatzmarkt für Viagra, Cialis & Co. 

Auf NETFLIX und Co. finden wir die HOT-Serien der Reality-TV. Fuckboy-Island, Too Hot To Handle, Ex On the Beach usw. Eine weitere Arena einer illusionären Männlichkeit? Ohne Sex vor der Kamera keine Einschaltquote, kein Heldenstatus, so lautet die Devise. Das Phänomen verdinglicht nicht nur Männer, sondern sendet auch eine gefährliche Botschaft, dass Sexualität das primäre Merkmal der männlichen Identität ist. Darauf folgt die neue Einnahmequelle »Only Fans«, nach dem Motto »Alle haben mich fi**** sehen, jetzt kann ich auch damit Geld verdienen.« 

Auffällig auch jungst eine öffentliche Debatte unter zwei Frauen, wobei die eine sich über Only-Fans als neuer Einnahmenplattform erkundigen wollte, worauf die Kollegin klarstellt: »Ohne Hardcore läuft da nichts mehr, alles andere macht jeder.« 

Vielleicht war es früher nicht besser, aber es war auf jeden Fall anders - bzw. alles brauchte seine Zeit. Weshalb wir uns zumindest die gegenwärtige Entwicklung genauer anschauen sollten. Und auch hier geht es nicht um eine Schuldzuweisung, sondern eine Beobachtung, dass (junge) Männer mit dieser rasanten Entwicklung nicht klarkommen, und das sollte thematisiert werden. 

Ziehen wir die Jugendlichen mit schädlichen Vorbildern groß, die destruktive Ideen über Männlichkeit und Sexualität fördern, oder gehört diese Entwicklung zur neuen Normalität? Die unbegrenzte Dominanz des Mannes, der die Frau als bloße Vergnügung sieht, der Geld, Ruhm und Gewalt darstellt, trifft auf unsichere junge Männer, die bei der starken Frau, die ihre Sexualität in vollen Zügen auslebt, nicht ankommen. Eine gefährliche Spaltung in einer neuen paradoxalen Welt, die das soziale Beisammensein bedroht, die Konflikte und Verluste für alle Beteiligten fördert, obwohl das ausgesprochene Ziel von Diversity und Genderdebatten eigentlich ja das Gegenteil bewirken sollte. Auch wenn hier überspitzt formuliert, beobachte ich eine solche Entwicklung als gesellschaftliche Zeitbombe.

3. »Die Frauen können alles besser«

Ich blicke nach unten und stelle einen biologischen Unterschied zur Kategorie »Frau« fest. Dies bedeutet jedoch nicht, dass ich die Existenz und den Respekt für weitere Kategorien und Minderheiten negiere. Im Gegenteil, ich habe großen Respekt für jegliche subjektive Wahrnehmung und gefühlte Kategorisierung. Dennoch gilt für mich, dass Gleichberechtigung nicht mit Gleichheit gleichzusetzen ist. Ich respektiere die Kategorisierung einer Minderheit mit männlichen Genitalien, erwarte aber auch, dass Respekt gegenseitig sein darf, um die Grundlage für eine dynamische Gesellschaft zu bilden. Wenn sich jemand nicht wohl dabei fühlt, wenn »es« sein Ding in der Frauendusche unter jungen Mädchen schwingt, dann braucht es vielleicht nicht eine dritte und vierte Kategorie, sondern eher Klarheit? Das Männer-Paradoxon könnte womöglich eine Konsequenz einer solchen Entwicklung sein, bei der das, was für viele als Normalität, biologische Banalität oder eben keine weitere Zuordnung betrachtet wird, nicht als eine Kategorie gesehen und auch nicht benötigt wird.

Die Sexualität als Verdinglichung scheint in vielen Fällen die Männer mehr zu plagen. Die Frauen können leichter die pornofizierte Welt nachahmen. Ob authentisch und mit Lust sei dahingestellt, aber – so scheint es mir – eine wachsende Zahl an Männern wird den vermeintlichen Ansprüchen der Gesellschaft nicht gerecht. Dass wir alle nicht Fußball wie Messi spielen können, damit finden wir uns ab, aber Geld, Maskulinität und Sexualität, da sollten alle mithalten können – so gefühlt. Für viele junge Männer sind dann Persönlichkeiten wie Andrew Tate, Logan Paul die modernen Vorbilder einer besseren Welt. 

Eine »Bessere Welt« im Tanz zwischen Liebe und Sexualität zwischen Mann und Frau, ein Streben nach Stabilisierung im Umgang mit Konflikten und Spannung. Geopolitisch könnte man heute meinen, die Welt braucht mehr Sensibilität und weibliche Stärke. In sozialen Medien wird die nackte Frau und der gewalttätige Mann ökonomisch und medial belohnt, hin zur gesellschaftlichen Rolle der Aufklärer. Auch hier ein zu beobachtendes Spannungsfeld 

Was wollen die jungen Frauen heute? Was soll ich als junger Mann tun? 

Einerseits braucht es Zustimmung und Konsens. Andererseits möchte die unabhängige, stärkere Frau erobert werden. Eine Frau, die selbstbestimmt ist, die einen starken Mann sucht, jedoch gesellschaftlich die Stärke des Mannes ablehnt und nach Gleichberechtigung strebt. Die Lage ist kompliziert. In einer aktuellen Studie aus den USA spiegeln sich Netflix-Phantasien und Porno-Statistiken wider. Über 60% der Frauen fantasieren davon submissiv zu sein – oder geben an, sie werden von der Dominanz erregt. 

Das Problem? Nur 40% der Männer geben an, sexuell dominant zu sein. Jackpot des dominanten Mannes! Oder viel schlimmer: Unsicherheit und verlorenen Männlichkeit steigen? Zunehmend lese ich Artikel über die Rolle der Domina und Männer, die aus ihrem Alltag eine Flucht brauchen, um sich selbst zu spüren. Nicht ohne Grund wird zunehmend über die (männliche) psychische Gesundheit berichtet. So suchen wir keine Schuld, noch kritisieren einen Aufstieg anderer, sondern landen bei einer sehr einfachen Frage mit komplexem Hintergrund und womöglich keiner einfachen/raschen Antwort: Ist der moderne Mann dabei sich zu verlieren?

Das Problem, das ich heute beobachte, ist, dass wir die Reaktionen und die Wirkkräfte nicht erkennen.

Wenn Daten zeigen, dass Mädchen im Durchschnitt besser in der Schule abschneiden als junge Männer und wir an Universitäten junge Frauen sehen, die überall gute Abschlüsse erzielen, so folgt daraus eine Leistungsverschiebung und ein Anpassungsbedarf bei der Rolle. Die Gesellschaft bildet nie Leistung und Repräsentanz ab. Eine Quote kann Machtstrukturen aufbrechen, aber der wahre Wandel folgt gesellschaftlichen Wirkkräften. Norwegen ist nicht aufgrund der Quote ein Vorbild, sondern das Ergebnis von Qualität und Bildung. Es geht also nicht um Gleichheit.

Ich lese im Tagesspiegel, Frauen kommen besser mit sich selbst zurecht, haben ein besseres Selbstbild und benötigen weniger externe Validierung. Und Männer werden leichter aus dem Konzept gebracht, wenn sie in ihrem Stolz herausgefordert werden. Die Frau hat historisch die Erfahrung, Zweite oder keine Geige zu spielen, und dennoch fundamental zu sein, das ist für den Mann eine neue Situation. Aus meiner Heimat schauen wir Filme über den Wikinger-Mann, der die Welt erkundete und eroberte. Liest man die moderne Literatur oder auch in den Neuverfilmungen und Serien, so scheint es so, als würden die Frauen in der Wikingerzeit mehr Gleichberechtigung und Freiheit als fast alle anderen Frauen ihrer Zeit genießen. 

Es scheint fast so, als sei der gewünschte und richtige Aufstieg der Frauen und gleichzeitig der Fokus auf Minderheiten ein Problem des modernen Mannes. Weniger wegen eines vermeintlichen Machtverlusts, sondern weil es noch schlimmer ist: Die Rolle des Mannes hat seine Definition und Zuordnung verloren. Gefühlsmensch, feuchter Waschlappen oder dominanter Macho – was will die Frau eigentlich? Was will der Mann? Der Mann findet sich in der »modernen« Welt einfach nicht zurecht. 

Von den Modernen Wikingern Lernen

Braucht die Welt mehr Stärke und Männlichkeit oder Männer, die stark und Männlich sind? Es braucht eine männliche Identität, die die Seele nährt, anstatt sie zu untergraben. Eine neue Reise, die den Mann und seine Psyche stärkt. Die Mythen über »den Mann« müssen vielleicht ersetzt und eine vielfältige Realität der Männlichkeit umarmt werden. 

Gleichwohl ist die Spaltung in der Kategorisierung und das Negieren des anderen das Problem. Es geht nicht um eine Ablehnung der Minderheit, sondern ein Fest der Diversität. Das bedeutet, dass der Mann in seiner Rolle seinen Platz findet und gestärkt wird, ohne dabei die positive Entwicklung der unzähligen talentierten Frauen und natürlich jegliche Diversität, die unsere Gesellschaft belebt, zu bremsen. Gelingt es aber nicht, den jungen Mann heute in diesem spannenden Fest der Unterschiede mitzunehmen, droht die Gefangenschaft in Ideologien von Influencern wie Tate & Co., was eher nach der Entwicklung einer gespaltenen Gesellschaft aussieht. 

Bewusst wurde mir diese Beobachtung, als ich mein neues Buch »Wikinger-Kodex« schrieb. Mit Erling Haaland, Viktor Hovland, Karsten Warholm, Martin Ødegaard und Casper Ruud sind junge Männer über Nacht zu globalen Vorbildern geworden. Auffällig ist nicht nur, dass diese Leistungskultur vor allem die jungen Männer in Norwegen prägt, sondern auch ihren Wertekodex. Sie haben kaum Skandale, führen Beziehungen teilweise mit ihren Mädels aus ihrem Dorf, ihren Jugendlieben. Sie sind selbstsicher und gleichzeitig wertschätzend. Auffällig war auch, dass sie alle Vorbilder in Mentoren hatten. Ihre Väter spielen eine fundamental wichtige Rolle in ihren Karrieren. Manchmal Ersatzväter, die als Freunde dienen wie im Fall Warholm mit seinem Spielkameraden und Trainer Leif Olav Alnes , oder mit Langläufer Klæbo, der als »Prince-Charming« die Welt erobert, mit Opa als Trainer und Vater als Wegbegleiter, während er eine traditionelle Beziehung zu seiner Jugendliebe pflegt. 

Vielleicht sollte Vielfalt, Respekt und Offenheit nicht das Ziel sein, sondern vielmehr eine natürliche Konsequenz. Das erfordert ein tieferes Verständnis der zugrundeliegenden Wirkkräfte. Es braucht vielleicht eher einen Fokus auf den Mann. Einen Mann, der Gefühle feiert, der stark sein kann, aber gleichzeitig verletzlich für sich selbst und andere ist.

Brauchen wir neue inspirierende Vorbilder, die das Bild des unfehlbaren Mannes zugunsten einer nuancierten und authentischeren Version darstellen? Einen Mann, der Werte wie Ehrlichkeit, Verantwortung und Mitgefühl fördert? 

Der junge Mann muss heute ermutigt werden, stark zu sein, aber nicht nur körperlich, sondern vor allem mental und emotional. Das bedeutet, eine Bildungsrolle zu übernehmen, bei der wahre Stärke in der Bereitschaft zur Wahrheit liegt, sich für das Richtige einzusetzen, sich um andere zu kümmern und eine konstruktive Kraft in der Gesellschaft zu sein.

Vielleicht ist es an der Zeit, die Geschlechterdebatte aus einer neuen Perspektive zu beleuchten? 

So kommen wir wieder zur Liebe zurück. Zur Liebe zu sich selbst und zu dem, was wir nicht kategorisieren können. Ich bin ein Mann. Ich habe mein Ego und ich möchte auch (mehr) sein. Ich muss das Yin zum Yang meiner Partnerschaft ergänzen, oder zumindest eine (auch) treibende Kraft in der Erfüllung der Leerräume zwischen uns – meinem Partner und mir – im Erkunden der Lebendigkeit sein. 

Vielleicht muss ich sogar die treibende Kraft der Lebendigkeit sein. Aber dafür muss ich erst verstehen, wer und was ich nicht bin. Ich mache mir Gedanken über den verlorenen Mann, der heute verzweifelt nach seinem »Löffelchen-Moment« sucht. 

Werde ich nach dem Schreiben diesen Artikel fündig? Nicht wirklich. Aber ich werde mir zunehmend bewusst, dass dies ein Thema ist, mit dem sich unsere Gesellschaft in 2024 ernsthaft beschäftigen sollte. 

Ich bin ein Mann, lass mich jetzt raus.


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Bisher sind die Städte Frankfurt, München, Berlin, Duisburg (Ruhrgebiet), Hamburg, Wien und Zürich geplant.



Anca Eisele

Please note: I do not respond to product or service solicitations on LinkedIn. Thank you.

10 Monate

“So liegt die Verlorenheit in permanenter externer Validierung und Vergleich” - wie wahr!

Niko Gültig Crossmark

Creative Director, Konzeptioner & Berater für Zukunftskonzepte, Geschäftsführer Cluster der Kreativwirtschaft, CLUK

10 Monate

Danke für deine Zeilen. Ja das Thema Männlichkeit ist sehr komplex. Das Geschlecht ist ein Faktor, der an vielen Stellen unser Leben beeinflusst. Aber eben nur einer von vielen Faktoren. Es gibt dann auch noch: Toleranz, Flexibilität, Begeisterungsfähigkeit, Kreativität, Intelligenz, Mut und natürlich deren Gegenteile. Wenn ich also eine Person bewerte, sollte ich überlegen, wo wir Gemeinsamkeiten oder deutliche Unterschiede haben. Das Geschlecht ist nur ein Faktor davon! Mir scheint dass in der aufgeheizten Gender-Debatte das manchmal vergessen wird. Habe den Wikinger Kodex als Buch bestellt. Freue mich auf eventuelle Live Events. Mach's gut Anders. Niko (Cluster Kreativwirtschaft in Hessen)

Markus Groß

Dort wo du bist, versuchen es wirklich gut zu machen und jeden Tag ein bisschen besser werden…

10 Monate

….lieber Anders, starke Gedanken zum Thema #männlichkeit‼️ Du hast - wie immer - ein spannendes und vielschichtiges Thema aufgemacht. Ja, ich glaube auch, wir müssen die „Geschlechter-Debatte“ anders führen. Es geht nicht darum, ob Frau oder Mann „besser“ ist. Es geht darum, anzunehmen, dass Frau und Mann unterschiedlich sind‼️ Und so wie du das Thema angehst ist es auch essentiell diese #unterschiedlichkeit nicht als #schwäche auszulegen sonder als #stärke zu diskutieren - auf beiden Seiten‼️ Das ist ein Anfang… Übrigens habe ich beim Lesen deiner Gedanken den Eindruck gewonnen, dass Du dir mindestens genausoviele Gedanken über die #weiblichkeit machst…⁉️ Aus meiner Sicht naheliegend👍🏼

Dr. Maria Hoffacker

NEUROSCIENCE FOR SUCCESS | Future Skills for Exellence Leadership | Mentoring | Keynotes | Consulting| Expert Neuroscience 🧠 Sustainability 🌎 Communication 🤜🏽🤛 | Meeresbiologin | Autorin | Podcast: MAGIC BRAIN KICKS

10 Monate

In der Tat, die Antwort auf die Frage, wann ist ein Mann ein Mann, ist etwas komplexer. Danke für die Gedanken.

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