Der Mittelstand verschwindet (vielleicht)
Immer weniger Menschen wagen den Schritt in die Selbstständigkeit. Auch wenn nicht zuletzt durch mediale Aufmerksamkeit und TV-Sendungen "Start-ups" zurzeit in aller Munde sind, insgesamt wird weniger unternehmerisches Risiko gewagt.
Die Gründungszahlen zeigen durch die Bank ein identisches Bild. Deutschland ist kein Land der Gründer (mehr). Die Ursachen sind bekannt. Zunächst ist da der demographische Wandel - wir werden "weniger" und "älter" - was dazu führt, dass - gepaart mit der lange boomenden Konjunktur und einem in manchen Regionen leergefegten Arbeitsmarkt - der Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte per se diejenigen abschöpft, die als Potenzial für die erfolgreichen Unternehmer von morgen zur Verfügung stehen. Hinzu kommt, dass gerade in den jüngeren Generationen mehr Wert auf Lebenszielen fernab der beruflichen Karriere liegen. Dies ist einerseits der Lohn der Vergangenheit, zeitgleich andererseits die Bürde einer wohlhabenden Volkswirtschaft - im Vergleich hierzu sind Gründungsintensitäten und das Streben nach Selbstständigkeit gerade in den sogenannten Schwellenländern deutlich ausgeprägter. Und drittens kommt unser Bildungssystem hinzu. Deutschland liegt in zahlreichen Rankings in Sachen Unternehmertum - sei es in der Schule oder in den Hochschulen - tendenziell in den hinteren Plätzen (siehe zum Beispiel die neueste Ausgabe des Global Entrepreneurship Monitor). Nicht vorhandenes Wissen, gepaart mit einer anderen Lebensperspektive und dem Ausblick auf vermeintlich sichere Beschäftigung ohne Risiko zu guten Löhnen, führt dazu, dass Gründer hierzulande heute Mangelware sind. Wenn dann noch das allzu oft negativ dargestellte Unternehmerbild hinzu kommt, manifestiert sich diese Tendenz.
Der rückläufigen Gründungsneigung einerseits steht jedoch eine noch viel zu häufig unbeachtete Entwicklung anderseits entgegen, die massive Veränderungen mit sich bringen wird. Nur kaum jemand hat sie auf der Agenda. Die Unternehmensnachfolge. Laut Daten des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) kommen heute auf jeden von den IHKs bundesweit berateten potenziellen Übergeber lediglich 0,6 Übernehmer. Noch vor wenigen Jahren es wenigstens 1,5. Fast jeder zweite Übergeber - ob alters- oder krankheitsbedingt - findet keinen Nachfolger. Dies führt bereits heute im besten Fall zu Marktkonsolidierungen und Zusammenschlüssen, im schlechten Fall zu Stilllegungen mit entsprechenden Folgen für Mitarbeiter, die öffentliche Hand und nicht zuletzt das Bild einer Stadt und Region.
Es bedarf enormer Anstrengungen, um das nicht wegzudiskutierende Risiko einer drohenden Scheiterns des Generationenwechsel zu verringern. Andernfalls verschwindert die Unternehmensstruktur, die Deutschland zu erfolgreich und oftmals aufgrund seiner Heterogenität auch krisenresistent gemacht hat: der Mittelstand.
Was braucht es?
- Eine echte Gründungskultur hierzulande über alle Branchen hinweg ist nötig, hierbei sind sowohl junge Branchen (KI, 3D Druck, Digitalisierung) als auch "traditionelle" Bereiche wie Handel, Gastronomie oder Verkehr gleichermaßen zu unterstützen.
- Unternehmertum muss im Sinne der Chancengerechtigkeit fester Bestandteil des Bildungssystems auf allen Ebenen werden. Nur wenn die "Wahlfreiheit" zukünftiger Generationen zwischen abhängiger und unabhängiger Beschäftigung besteht und diskriminierungsfreie Wege geschaffen werden, dann kann auch trotz Sättigungseffekten der Volkswirtschaft ein Grundpotenzial an Selbstständigen gesichert werden.
- Wir brauchen einen Mentalitätswandel hierzulande, dass das Scheitern bei der Gründung kein Schande ist. Getreu dem Motto "wer hinfällt, muss aufstehen" sollten wir aktiv dafür werben, dass zum Risiko auch Scheitern gehören kann, aber eben auch Chancen.
- Es braucht einen "echten" Bürokratieabbau. Das beginnt beim Verfahren der Gründung, geht über steuerliche Fragestellungen und mündet im aktuellen Thema DSGVO. Fakt ist, nahezu alle bisherigen politischen Bestrebungen zur Entlastung von Bürokrative erinnern eher an die Hydra als an ernsthaft durchdachte und auch umgesetzte Lösungen.
- Die Förderung der Gründungslandschaft muss analog mit einer Plan zur Bewältigung der Unternehmensnachfolge einhergehen. Das Matching von Übergeber und Übernehmer, die hohe Emotionalität beim Generationenwechsel oder rechtliche Anforderungen sind Aufgaben, die eine klare Fokussierung von Akteuren wie den Wirtschaftskammern, den Wirtschaftsförderern und Politikentscheidern verlangt.
Gelingt es, diese Punkte aktiv nachzuverfolgen, gepaart mit weiteren Anforderungen - Breitband, Verkehrsinfrastruktur nennend - besteht zumindest mittelfristig die Möglichkeit, dass wir das hierzulande sichern was uns stark macht: Unternehmerische Ideen und Innovationen schaffen und in erfolgreiche Konzepte umsetzen, um auch morgen noch einen erfolgreichen Mittelstand zu haben.