Der Nachtsprung im Güterverkehr

Viele S-Bahn-Pendler haben ihren ganz eigenen Kalender. Wenn es beim Weg zum Bahnhof und auf dem Weg nach Hause gleichermaßen stockdunkel ist, dann ist er da, der Herbst! Ich bin eine Jahreszeitenfreundin. Ich kann der dunklen Jahreszeit, einem frischen Windzug und feuchtem Laub auf dem Heimweg durchaus etwas abgewinnen. Und auch den länger werden Nächten. Mit den vielen flirrenden Lichtern der Großstadt und unserem kleinen Licht über der Haustür – als stetiges Willkommen.

Die Nacht ist auch für mein Unternehmen, der Deutschen Bahn, eine ganz besondere Zeit. Denn: Die Bahn schläft nie. Und das gilt ganz besonders für den Schienengüterverkehr. 20.000 Züge bewegt allein die DB Cargo AG Woche für Woche durch ganz Europa, jeder Zug spart gegenüber dem Straßenverkehr 80 bis 100 Prozent CO2. Und das, während die meisten von uns schlafen.

Derzeit fahren Postpakete, Autoersatzteile, Coca-Cola-Flaschen und viele andere Güter in einem schnellen nächtlichen Netzwerk über die klimafreundliche Schiene. Eisenbahner nennen das Nachtsprung. Es ist eine alte und simple Idee: Ein Güterwagen wird abends in einem zentralen Güterbahnhof angerollt, in einem großen Güterzug eingereiht – und dann geht es durch die Nacht in eine anderes deutsches Wirtschaftszentrum. Von dort aus bringen Rangierloks die Ware frühmorgens direkt ans Ziel. Einzelwagenverkehr (EV) heißt diese besonders umweltfreundliche Spielart des Schienengüterverkehrs. Um für unsere Kunden mehr Planbarkeit in einem echten Nacht-Netzwerk zu schaffen, haben wir das Ganze „EV plus“ getauft.

Wir geben damit ein Versprechen ab: Egal ob Du einen oder zehn Güterwagen heute Nacht von Mannheim nach Hamburg bringen musst – der Zug fährt in jedem Fall. Zu einer festen Uhrzeit, auf einer festen Linie. Einfach vorbeibringen. Beziehungsweise: Einfach online ordern. Kolleginnen und Kollegen haben hier ein Online-Bestellformular entwickelt, welches absolut simpel zum Ausfüllen ist. Datum, Abfahrts- und Zielbahnhof eingeben – und für angemeldete Kunden ist damit der Güterzug auch schon bestellt!

Und mit den Waren kommt auch die Idee „EV-Plus“ gut an: Aus den ersten Tests im vergangenen Jahr ist mittlerweile ein Netzwerk aus 12 Routen zu den wichtigsten Wirtschaftszentren Deutschlands geworden. Ob München, Hamburg, Berlin, Köln samt Ruhrgebiet oder Mannheim mit den Industriezentren im Rheintal: DB Cargo fährt – jede Nacht, ob Sommer, Herbst oder Winter.  

Der Nachtsprung hat noch einen anderen Vorteil: Wir können mit Güterzügen auch Strecken nutzen, auf denen sonst ICE und Co. den Vorrang haben. So zum Beispiel die Schnellfahrstrecken zwischen Hannover und Würzburg oder andere Verbindungen: Damit vermeiden wir Ortsdurchfahrten und enge Talstrecken. Außerdem haben wir alle unsere Güterwagen seit einem Jahr vollständig auf die sogenannte Flüsterbremsen umgestellt. Damit sind unsere Züge deutlich leiser durch die Nacht unterwegs.

Wir glauben an CO2-neutrale Verkehrswege, gerade für schwere Güter. Wir können schon heute umsteigen und brauchen dazu weder ein Pilotprojekt oder ein Testfeld für Oberleitungs-Strommasten über der Autobahn. Wir stehen bei der Bahn schon seit 120 Jahren unter Strom für mehr Klimaschutz. Und wer jemals nachts die endlosen Ketten roter Rücklichter von LKWs überholt hat, der kann erahnen, was es heißt, wenn ein einziger Güterzug bis zu 52 Lastzüge auf der Straße ersetzen kann.

Wir sind die letzte Generation, die den Klimawandel noch aufhalten kann. „Mehr Güter auf die Schiene“ sind jetzt und heute schon möglich. Entwickeln wir die Idee weiter: Damit auch unsere Enkelkinder noch den Wechsel der Jahreszeiten, einen kalten Windhauch und Geruch von feuchtem Herbstlaub staunend kennen lernen.