Der Stellenwert von Designleistungen

Der Stellenwert von Designleistungen

So ziemlich alles, mit dem wir heute konfrontiert werden, wurde irgendwann einmal „gestaltet“. Vom aktuellen Smartphone über Leitsysteme und Schilder auf Autobahnen bis zur Verpackung von Lebensmitteln. Design begleitet jeden von uns, jeden Tag. Mal mehr sichtbar, mal unbemerkt – aber es ist stets allgegenwärtig. So ziemlich jedes Produkt durchlebt einen Design-Prozess. Das bedeutet, dass sich eine Handvoll Menschen Gedanken gemacht haben, warum ein Design so aussehen soll. Das ist aber nur die Oberfläche. Das Aussehen ist nur ein Bruchteil dessen, was im Kreationsprozess passiert.

Nun ist es aber so, dass der Look eines Designs für die breite Masse greifbarer ist. Der Prozess dahinter – also die Vorarbeit die dazu geführt hat, dass ein Design am Ende final steht – bleibt oft unbetrachtet. Das erweckt an vielen Stellen den Eindruck, "Design sei nur das visuelle Aufhübschen". Aber es steckt sehr viel mehr dahinter. Weshalb hat Design dann in der großen weiten Welt an vielen Stellen noch immer nicht den Stellenwert erreicht, den es bekommen sollte? Ich denke, die Antwort ist einfach: Das Bewusstsein für den Design-Prozess fehlt.


Der Weg dahin

„Es gibt zu viel schlechtes Design!“ – hört man immer wieder. Aber ist das wirklich so? Design ist doch stets eine unbekannte Größe, in der viele Regeln verankert sind, die dazu führen, dass eine Gestaltung emotional wirken kann, Menschen anspricht, Interesse weckt, Barrieren durchbricht und Probleme löst. Und so viel mehr. Mal ganz abgesehen vom „persönlichen Geschmack“, den jeder von uns über Jahre entwickelt hat, geht es beim Design eher um übergreifende Funktionalität und die Art und Weise, wie wir damit umgehen und vor allem interagieren können.

War z.B. ein Erscheinungsbild früher noch ein starres und festgefahrenes Konstrukt, ein Regelwerk beschrieben in 200-seitigen Design-Manuals für jede einzelne Disziplin, wo Dinge beschrieben wurden, wie z.B. "Wie müssen gestaltete Doppelseiten aussehen?" und "Welchen Abstand muss das Logo zum Rand haben?" sind in den letzten Jahren Design Systeme, Spirit Guides, Atomic Design und Design Thinking wertvolle Methoden, um diese veralteten Konstrukte aufzubrechen.


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Bild: © OSK Berlin Design System / oskberlin.com


Etwas, das „fertig“ ist, ist irgendwann veraltet und muss neu gemacht werden. Das ist nicht nur nachhaltig schlechtes wirtschaften, sondern auch grob fahrlässig, da die ursprüngliche Zielsetzung (gerne auch "Vision" genannt) meist die gleiche ist, wie heutzutage. Sie hat sich nur angepasst. Warum also nicht gleich flexible, lebhafte Systeme schaffen, die ausbaufähig sind und über Jahre hinweg aktuell bleiben und sich weiterentwickeln können. So bekommt der Begriff Konsistenz eine ganz neue Bedeutung.

„Gutes“ Design wiederum ist nicht selbsterklärend und erfordert auch immer eine Erklärung oder Herleitung. Ideen entstehen nicht per Fingerschnipp (hätte ich jetzt bloß einen Infinity-Handschuh 😄).


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Bild: © Marvel Comics / marvel.com


Die kreative Leistung

Kreative "malen" nicht nur Oberflächen an, sie setzen sich mit dem Umfeld und den Gegebenheiten auseinander, sie hinterfragen, evaluieren, lassen sich inspirieren, testen, kreieren, verfeinern… Das ist ein zeitintensiver, aber essentieller Prozess. Und das ist auch gut so. Leider, und das passiert viel zu häufig, wird der Kreationsprozess auf ein Minimum (auf das stumpfe ausarbeiten) herabgesetzt und die Möglichkeit zur Inspiration und des kreativen „Ausprobierens“ nicht wertgeschätzt, da schnelle Ergebnisse gefordert werden. Welche Gründe das auch immer haben mag. Man muss sich nur im Klaren darüber sein, dass es stets darauf ankommt, dass wenn ausreichend Zeit und Budget vorhanden ist, das Ergebnis klarer und in vielerlei Hinsicht besser wird.

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Animation: © Philipp Klaus / dribbble.com/erntezeit


Am Ende müssen Designer oft den Spagat zwischen Kreativität und zeitlichem Umfang mit Überstunden und Extraarbeit kompensieren, damit es zu guten, für den Gestalter „richtigen“ Ideen und Ergebnissen kommt. Oftmals werden am Ende des Tages nur die Ergebnisse gesehen, keiner redet über die Herleitung, die Vision, die Idee. Unter dem Strich muss ein Ergebnis stehen und bestenfalls in 5 verschiedenen Ausprägungen und 10 Farbvariationen vorliegen, soll auf der Smartwatch und auf der Kinoleinwand funktionieren und das alles animiert, ge-mockupt in einem Live-Prototyp, der selbstverständlich responsive ist und auf einem veralteten System funktioniert, da einer der Stakeholder keine moderne Technik mag.

Wenn man dann ein zufriedenstellendes Ergebnis für alle Beteiligten geschaffen hat (was im Grunde 1.) immer zu viele Köche sind; 2.) jede Meinung wichtiger ist, als die andere; und 3.) der Designer sein Fenster schon einmal vorsorglich geöffnet hat nach den vielen, vielen Abstimmungen), kommt etwas, was man vorher nie erwartet hätte.


Der Moment der Fassungslosigkeit

Einer der Stakeholder wurde von der Muse gebissen und kam auf die Idee, selbst Hand an das abgestimmte Design zu legen, etwas "herumzuspielen" und es mal „in die Runde zu werfen“, Bitte was? Das kam wie zu erwarten bei den Stakeholder-Kollegen super an, und trat eine Welle der "Inspiration" los, die nicht mehr aufzuhalten war und in der kollektiv die Kreation des Designers übergangen wurde. Was jetzt Einige vielleicht nicht weiter erwähnenswert finden, so ist es doch für jeden Designer, der seinen Job ernst nimmt, ein Schlag ins Gesicht, eine Abwertung der zuvor erbrachten Leistung und ein Bruch des Vertrauens gegenüber dem gesamten Prozess.

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Illustration: © Burnt Toast / dribbble.com/BurntToast

Man stelle sich jetzt einmal folgendes Szenario vor: Man geht in ein ausgezeichnetes Sterne-Restaurant mit gehobenem Preisniveau und erstklassigen Empfehlungen. Man bekommt sein Mahl serviert, isst wie gewöhnlich, lässt den Sternekoch an den Tisch kommen und stellt ihm Ideen vor, das Essen „besser“ zu machen. Einfach nur respektlos und absurd, oder?

Und genau so etwas passiert Kreativen Tag für Tag für Tag. Ideenfindung, hauptsächlich im Bereich Design wird sehr selten ernst genommen oder wertgeschätzt und oft gefühlt mit „jaja“ abgetan. Der Stellenwert einer Designleistung ist ein Stigma, da oftmals nur das Offensichtliche bewertet wird, aber nicht der Weg dahin, die Intention oder im Blick des „großen Ganzen“. Gestalter sind da, um Probleme zu lösen und durch ihre Kreativität die richtigen Lösungsansätze zu finden. Sie haben die gleiche Expertise in Ihrem Schaffen, wie ein Architekt im Bauwesen oder ein Arzt im Gesundheitsspektrum und sollten ebenso ernst genommen werden. Dazu gehört ein gewisses Maß an Vertrauen, aber vor allem das Bewusstsein um die Wichtigkeit der kreativen Leistungen.

 

„To design is much more than simply to assemble, to order, or even to edit; it is to add value and meaning, to illuminate, to simplify, to clarify, to modify, to dignify, to dramatise, to persuade, and perhaps even to amuse.”
Paul Rand


Ich bin fest überzeugt, dass Design in der heutigen Zeit nicht nur allein für "etwas schön(er) aussehen lassen" stehen kann, sondern vielmehr müssen sich Unternehmen, Marken und auch die Designer:innen selbst stark machen und dafür einsetzen, dass Design in der Lage ist, businessrelevante Fragen zu klären, Probleme zu lösen, Gespräche anzuregen und Entscheidungsfindungen positiv zu beeinflussen.

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