DER UNTERSCHIED: AGILITÄT - LAISSEZ-FAIRE

DER UNTERSCHIED: AGILITÄT - LAISSEZ-FAIRE

In immer kürzeren Abständen gibt es neue Megatrends: Digitalisierung, New Work, Agilität, KI. Sehr schnell springen die Unternehmen auf und der Aktionismus beginnt. Es wird umgesetzt, ohne zu wissen, warum. Nur nicht den Trend verpassen, der könnte ja endlich die schnelle Lösung für alle Probleme bringen. Hinzu kommt die Angst, in der Außenwirkung als rückständig zu wirken, wenn man nicht beim ersten Aufflammen eines Trends dabei ist.

Beim Thema DIGITALISIERUNG wurden hektisch Projekte ins Leben gerufen, Apps in Auftrag gegeben, iPads angeschafft, ohne eine Vision oder ein Problem definiert zu haben, auf das das Ganze einzahlen würde. Viel Zeit und Geld später war die Enttäuschung groß. Aus schlechten Prozessen wurden schlechte digitale Prozesse.

NEW WORK - dessen Erfinder Frithjof Bergmann ging es eigentlich Individuen, die eine Aufgabe finden sollten, die man wirklich, wirklich will - ist auch so ein Beispiel. Viele Unternehmen haben nun schöne Bürowelten, doch die Strukturen und Prozesse sind noch immer die alten, die Mitarbeiterzufriedenheit ist damit nicht automatisch gestiegen. Viele Mitarbeiter:innen verstehen immer noch nicht, warum sie ihre festen Plätze und Einzelbüros aufgeben sollen.

Auch als Mittel, die Mitarbeiter:innen aus dem Home-Office in die Büros zurückzuholen, hat es nicht die gewünschte Wirkung erzielt. Ein neues Menschenbild und eine andere Form von Leadership und Zusammenarbeit haben nur die Wenigsten entwickelt, und DANN in Bürowelten umgesetzt, die dann den Rahmen dafür hätten bieten können.

AGILITÄT ist im Ursprung genau ein solches neues Menschenbild, eine neue Art der Zusammenarbeit, der Führung. Und wieder ist ein Begriff entleert und fast ins Gegenteil der ursprünglichen Idee verwandelt worden. Wieder haben die Unternehmen Unmengen von Ressourcen investiert, ohnehin überlastete Teams wurden zusätzlich durch breit angelegte Agilitäts-Workshops und Trainingsprogramme gescheucht, ohne messbare Ergebnisse. Weil der Alltag in den alten Strukturen für die meisten eben einfach keinen Raum für Agilität lässt.

Agilität ist keine Toolbox, keine Technik, sondern in erster Linie eine Haltung und bedarf entsprechender Strukturen und Prozesse. Ist das vollzogen, gibt es dann auch Tools und Techniken und von mir aus auch Post-it`s, die dann tatsächlich eine wunderbare Wirkung entfalten können. Aber sie können kein - nach wie vor hierarchisch strukturiertes und geführtes - Unternehmen plötzlich in ein Schnellboot wandeln, auf dem die Menschen unternehmerisch und eigenverantwortlich, kreative Lösungen finden.

Schon gar nicht heißt Agilität, die Mitarbeiter:innen selbst wurschteln zu lassen, weil keine Zeit mehr für Leadership genommen wird. Im Agilen Manifest (2001 mit Blick auf Softwareentwicklung veröffentlicht) wurden vier Werten definiert, übersetzt auf die Unternehmen:

  • Individuen und Interaktion sind wichtiger als Prozesse und Regeln.
  • Ein funktionierendes Produkt/gutes Ergebnis ist wichtiger als Reporting.
  • Zusammenarbeit mit den Kund:innen ist wichtiger als wasserdichte Verträge.
  • Auf Veränderungen zu reagieren ist wichtiger als das Befolgen eines Plans.

Diese Werte zu leben, würde den Unternehmen tatsächlich helfen, den vielen Herausforderungen dieser Zeit wirkungsvoll zu begegnen. Das hieße also, erst einmal ein anderes Menschenbild, Führungsselbstverständnis, eine andere Kommunikation, vor allem eine andere persönliche Haltung eines jeden zu entwickeln. Das geht in der breiten Masse durch andere Strukturen und Prozesse, andere Ziele. Im Top-Management bräuchte es eine persönliche Entwicklung, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen, um als Vorbilder diese neue Kultur einzuführen. Dass es da verführerisch erscheint, eher auf transaktionale Maßnahmen zu setzen, die technisch, nicht persönlich ansetzen, finde ich menschlich und sehr verständlich, nützt aber eben nichts.

Das größte Missverständnis in Bezug auf AGILITÄT ist jedoch die Annahme, dass jeder im Grunde machen kann, was er will. Ich habe vor 10 Jahren eine Ausbildung als SCRUM-Master gemacht, weil mich der unternehmens-kulturelle Teil daran interessiert hat. Zu meiner großen Überraschung und Freude habe ich gelernt, dass agile Prozesse einen sehr klaren, geradezu unerbittlichen Rahmen von Regeln und Prozessen benötigen, mit 100% Zuverlässigkeit, was Qualität und Pünktlichkeit betrifft. In diesem Rahmen hingegen können die Teams sehr frei und erfinderisch agieren. Unpünktlichkeit, die Dinge laufen zu lassen und mittelmäßige Qualität als agil zu bezeichnen und damit akzeptabel machen zu wollen, ist nicht nur inhaltlich falsch, sondern auch der Grund, warum nicht nur die Produktivität leidet, sondern auch der Spaß - denn Arbeitsteilung funktioniert nur dann, wenn man sich auf die anderen verlassen kann.

Was denken Sie?


PS: Wer sich fragt, was eine LEADERSHIP-CONSOMMÉ ist:

Eine Consommé ist wie die meisten wissen, eine Suppe:

Das bewusste Hinzugeben und Entfernen hochwertiger Zutaten, der Einsatz von Zeit und Knowhow ergeben am Ende eine völlig klare, aromatische und intensive Essenz, die den Appetit anregt.

In jeder Ausgabe finden Sie eine Unterscheidung zwischen Begriffen und Sichtweisen, die aus meiner Sicht oft verwechselt werden.  

 

 

Vielen Dank liebe Beate für die treffende Zusammenfassung. Ich glaube, ein Kern liegt darin, dass wir uns oftmals zu wenig Zeit nehmen, herauszufinden was es wirklich braucht. Im Projekt ist das die Auftragsklärung.. Im größeren Maßstab die Vision?!

Detlef Arnold

Meine Mission: Businesspotential 50+ für Unternehmen und Marken erschließen | Über 25 Jahre Agentur-GF und Partner | Macher | Systemischer Coach | HerzBlut-Teamleader | Key-Note-Speaker "G50UNLEASHED" | Marathonläufer

1 Monat

Wow, da habe ich gerade eine Menge gelernt, liebe Beate Junginger. Vielen Dank für diese inspirierende Essenz.

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