Die Abwehrstrategien deutscher Unternehmen bei der Digitalisierung

Die Abwehrstrategien deutscher Unternehmen bei der Digitalisierung

Die Wirtschaftswelt ist geprägt durch Digitalisierung und Vernetzung und den daraus entstehenden Möglichkeiten neue Geschäftsmodelle aufzubauen sowie alte Geschäftsmodelle und starre Prozesse zu modernisieren. Wesentliche technologische Treiber sind dabei Themen wie Internet of Things (IoT), Big Data, Cloud, Social Media, Robotik oder künstliche Intelligenz.

Während die Digitale Transformation und Disruption beispielsweise in der Medienbranche bereits weit fortgeschritten ist (Beispiele: Netflix, AmazonPrime, Bild.de), stehen die meisten Industriebranchen erst am Beginn ihres digital journey. Kürzer werdende Innovationszyklen, die Volatilität der Märkte sowie neue Wettbewerber, die die traditionellen Geschäftsmodelle etablierter Unternehmen in Frage stellen, bedrohen aber immer stärker auch die Industriebranche. Während der Handel bereits auf Amazon Zalando und Co. reagiert, sind Industrieunternehmen überwiegend noch sehr zögerlich, wenn es um Veränderungen und Anpassungen ihrer Geschäftsmodelle geht.

Vor allem Wettbewerber aus dem Silicon Valley sind mit großen Entwicklungskapazitäten ausgestattet und haben eine komplette Restrukturierung bisheriger Wertschöpfungsketten im Fokus. Diese Strategie setzen sie auch konsequent um, wie sich am Beispiel der Automobilbranche zeigt. Aber wie gut sind große Unternehmen in Deutschland auf diese Marktveränderungen eingestellt?

Dies nahmen der IT-Dienstleister Cognizant, das Marktforschungsunternehmen Lünendonk und Prof. Dr. Peter Buxmann, Leiter des Lehrstuhls Wirtschaftsinformatik der TU Darmstadt, zum Anlass, die Trendstudie „Mehrwerte schaffen durch Digitale Transformation“ durchzuführen. Ziel der Studie ist es, den Status Quo der Digitalen Transformation großer Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu analysieren: Wie sehen sich die Unternehmen im internationalen Vergleich aufgestellt? Mit welchen Partnern und welchen Methoden entwickeln die Unternehmen die Innovationen, mit denen sie in der Digitalen Zukunft erfolgreich wirtschaften wollen? Für die Trendstudie wurden im Zeitraum Februar bis März 2016 mehr als 120 IT- und Business-Entscheider in Unternehmen mit mehr als 2.500 Mitarbeitern im DACH-Raum befragt. Der Branchenfokus der Trendstudie lag in den drei Sektoren „Handel“, „Banken/Finanzdienstleister“ und „Chemie/Pharma/Medizintechnik“. Die Studie können hier kostenfrei bei Lünendonk beziehen.

In den traditionellen B2B-Branchen herrscht ein langsamerer Rhythmus vor. Entwicklungszyklen können oft mehrere Jahre dauern. Strategiewechsel und damit grundsätzliche Veränderungen des Geschäftsmodells gibt es kaum. Die meisten großen Unternehmen in Deutschland entstammen dieser traditionellen „Old Economy“ rund um Industrieproduktion, Autos, Energie, Logistik, Banken oder Handel. Entsprechend verhalten bewerten die befragten Manager daher die Auswirkungen der Digitalisierung auf ihr Unternehmen.

Während 30 Prozent der Unternehmen mit „sehr großen“ Veränderungen für die Geschäftsmodelle ihrer Branche rechnen, sind es lediglich 17 Prozent, die „sehr große Veränderungen“ für die Geschäftsmodelle des eigenen Unternehmens erwarten. Wie kommt es dazu, dass die Unternehmen davon ausgehen, selber weniger von Veränderungen durch die Digitale Transformation betroffen zu sein als die anderen Unternehmen der Branche? Viele der Unternehmen aus der Old Economy unterlegen einem unrealistischen Optimismus. Sie gehen also davon aus, dass die anderen stärker betroffen sein werden, als sie selbst. Wie falsch sie damit liegen können, verdeutlichen allerdings digitale Opfer wie Kodak, Nokia, KarstadtQuelle oder diverse Medienhäuser.

Es scheint fast so, als ob sich in der Erwartung „die anderen werden stärker betroffen“ sein, auch die Hoffnung ausdrückt, dass „die Digitalisierung schon irgendwie an uns vorbeigeht“. Denn auf die Frage, wie gut sich die Unternehmen bei modernen Technologien aufgestellt sehen, werden eklatante Schwächen sichtbar. Wirklich gut sehen die untersuchten Unternehmen nur bei der „Nutzung von Mobile Computing“ aufgestellt. Allerdings liegt die Bewertung der eigenen Positionierung mit durchschnittlich 0,52 nur im Mittelfeld der positiven Bewertungsmöglichkeiten (Skala: -2=sehr schlecht bis +2=sehr gut). Dabei schienen das Aufbrechen starrer Prozesse und die Bereitstellung von Applikationen auf mobilen Endgeräten eigentlich schon längst einen hohen Reifegrad erreicht zu haben.

Beim Thema Big Data sehen sich die Unternehmen durchschnittlich auf Augenhöhe mit leicht positiver Ten-denz. In den anderen analysierten Disziplinen „Cloud Computing“, „Social Media“, „Künstliche Intelligenz (KI)“ und „Automation/Robotics“ sehen sich die Unternehmen dagegen in einer Schwächeposition. Diese ist bei Cloud Computing mit einer durchschnittlichen Bewertung von -0,04 noch gering, bei Social Media mit -0,52 aber schon deutlicher ausgeprägt. Bei der Nutzung von Künstlicher Intelligenz in Produkten und Services liegt die Schwächeposition bei durchschnittlich -0,65. Am schlechtesten aufgestellt sehen sich die Unternehmen beim Thema „Automation/Robotics“ mit einer durchschnittlichen Bewertung von -0,87. Interessant bei die-sem Thema: In den Industriebranchen „Chemie/Pharma/Medizintechnik“ werden Verfahren und Maschinen im Bereich „Automation/Robotics“ zwar deutlich häufiger eingesetzt und die Bedeutung wird auch deutlich höher bewertet. Dennoch halten sich die Industrieunternehmen im internationalen Vergleich für nur unwesentlich besser positioniert bei diesen Technologien und Verfahren.

Dabei zeichnet sich die Digitale Transformation gerade dadurch aus, dass Maschinen und Produkte miteinander vernetzt werden, Smart Services auf der Basis von Datenströmen (beispielsweise durch Machine-to-Machine-Communication) entstehen oder bestehende Produkte neu interpretiert werden.

Für Branchen, in denen sich Innovationen rund um neue Produktionsverfahren und Industrie 4.0 drehen und bei denen anders als in der Medienbranche noch keine dominanten neuen Wettbewerber am Markt existieren, ist die Chance für eine aktive Rolle in der Digitalen Transformation größer. Dazu müssen die Unternehmen allerdings in der Anwendung neuer Technologien an Geschwindigkeit gewinnen.

Große Konzerne als Vorreiter

Einige der Traditionsunternehmen in klassischen B2B-Branchen treiben aber digitale Innovationen konsequent voran. Bosch hat beispielsweise eine eigene IoT-Cloud angekündigt, ebenso wie Siemens und GE. Zunächst soll die Plattform für eigene Lösungen zum Einsatz kommen, ab 2017 dann auch für andere Unternehmen als Service angeboten werden. Damit stellen sich Bosch & Co. als Plattform-Anbieter auf und bieten von der Sensorik über Software sowie darauf aufbauenden Services (Wartung, Updates, Revamping etc.) viele Elemente für Smart Factories und Smart Services aus einer Hand.

Für andere Industrieunternehmen, denen die Möglichkeit fehlt, selber Plattformen anzubieten, stellt sich jedoch die Frage, welche Plattform-Partner die richtigen sind und welche der unzähligen Datenformate – beispielsweise in der Sensorik – die richtigen sind, um sich für die Zukunft richtig aufzustellen.

Nur wenig Integration von Start ups in den Entwicklungsprozess

Die aktuelle Lünendonk-Studie zeigt, dass bei der Entwicklung digitaler Angebote in hohem Maße auf interne Entwicklungen, aber auch in Kooperation mit Partnern gesetzt wird. So entwickeln 92 Prozent der befragten Unternehmen die Innovationen unternehmensintern – etwa in Innovation Labs. 98 Prozent bereiten Innovationen gemeinsam mit Partnern auf die Marktreife vor, auch Open Innovation genannt. Oft laufen beide Vorgehensweisen parallel, je nach Reifegrad der Innovationszyklen. Viele der geschäftlichen Partnerschaften bestehen schon über einen längeren Zeitraum, unabhängig davon, ob die Zusammenarbeit kontinuierlich erfolgt oder jeweils auf Projektbasis.

Dabei fällt jedoch auf, dass Start-ups nur von etwa einem Viertel der befragten Unternehmen in organisierter Form als externe Innovationspartner genutzt werden. Sie verfügen über neue Ideen, aber nicht über den gleichen Reifegrad wie die großen Unternehmen, die bisher die Ökosysteme dominiert haben. Wenn diese einbezogen werden, wird entweder eine Joint-Venture-Strategie oder eine Beteiligungs- oder Übernahmestrategie an Start-ups und Technologieunternehmen verfolgt.

Dennoch scheint vielen Unternehmen aktuell noch die konkrete Vorstellung zu fehlen, welche echten Innovationen das eigene Unternehmen über weitere Prozessverbesserungen hinaus entwickeln, um in der eigenen Branche Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Viele Unternehmen sind noch in der Experimentierphase und haben mit diversen Veränderungen begonnen. Bei der Entwicklung einer durchgängigen Digitalisierungsstrategie und vor allem deren Operationalisierung und Vermarktung klaffen jedoch noch große Lücken zwischen Anspruch und Wirklichkeit.

Die Ergebnisse einer aktuellen Lünendonk-Studie in Zusammenarbeit mit Cognizant zeigen , dass bei den Chancen der Digitalisierung vor allem „Verteidigungsziele“, wie Bindung von Kunden oder Prozessverbesserungen, im Vordergrund stehen. Chancen durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle oder die Erschließung von neuen Märkten werden von den Befragten demgegenüber als weniger bedeutsam eingestuft.
Eine solche Einschätzung kann gefährlich sein: Unternehmen, die in den wachstumsorientierten Themen nur geringe Chancen sehen und gleichzeitig das Investitionsrisiko besonders hoch bewerten, stehen in einem Spannungsfeld, das mutige und disruptive Innovationen von Geschäftsmodellen, Produkten und Services erschwert.

Gerade die Vermarktungsschwäche spiegelt eine Tendenz wider, dass Deutschland auf internationaler Ebene bei der Digitalen Wirtschaft keine führende Rolle einnimmt. War die Kultur des „Do-It-Yourself“ lange Zeit die große Stärke des Mittelstands, drohen fehlende digitale Kompetenzen und ein fehlendes Netzwerk zu Start-ups und Technologieunternehmen nun zu einem strategischen Nachteil zu werden. Damit die Erfolge mit neuen digital vernetzten Produkten und Services auch geerntet werden können, ist vielerorts ein Umdenken und Mut zum Investieren erforderlich.

Jens Geissmann-Fuchs

Passion for Innovation, Strategy and Optimization

8 Jahre

Sehr lesenswert. Aus meiner Erfahrung ist das ganze Thema Industrie 4.0 ein strategisches Führungsthema, das gerade im Mittelstand mit Hilfe von externen IT- und Engineering-Dienstleistern umfassend begleitet werden sollte. Für die Vermarktung von Industrie 4.0 – Dienstleistungen und deren Umsetzung in den Unternehmen bedarf es eines ganzheitlichen Blickes auf das Unternehmen, seiner Prozesse und Mitarbeiter. Oft sind weder die Investitionen noch die Auswirkungen und Umsetzungsmaßnahme in ihrer Komplexität von den Unternehmen greifbar. Daher zögern auch viele, weil das Thema für sie wie eine Blackbox wirkt.

Michael Paasburg

Geschäftsführer/ Sachverständiger bei Baugeschäft Paasburg e.K

8 Jahre

Sehr guter Beitrag, das Hauptproblem besteht meiner Meinung nach darin, dass wir nicht genug Verkäufer haben die digitale Visionen verkaufen können wie zb. Steve Jobs.

Dr. Hieronymus Fischer

As simple as possible - but not simpler.

8 Jahre

Guter Titel, in dem die Aussagen des Beitrags in der knappest möglichen Form zusammengefasst werden. Streng genommen ist die Digitalisierung kein ganz neues Phänomen, sie läuft immerhin schon seit 35 - 50 Jahren (erster IC und IBM-PC). Einhergehend mit der dramatisch gesteigerten Leistungsfähigkeit von Prozessoren, der Miniaturisierung und Vernetzung beobachten wir aber nun seit einigen Jahren einen beschleunigten Veränderungsprozess. Der damit verbundene neue Gestaltungspielraum wird in den Unternehmen offenbar noch nicht wirklich gesehen - so jedenfalls mein Resümee aus Ihrem Beitrag. Nichtsdestotrotz: Man muss sich von der Vorstellung lösen, dass die Digitalisierung gewissermaßen die „natürliche Fortentwicklung“ der analogen Welt darstellt. So ist das mitnichten. Analoge und digitale Welt stehen eher orthogonal zueinander. Mit der Erfindung des Computers haben wir den uns zugänglichen Lösungsraum dramatisch erweitert. In gewisser Weise ist die Digitalisierung eine „neue“ Dimension unserer Lebenswirklichkeit, das heißt aber nicht, dass nun jede Lösung digital sein muss. Die eine Welt ist nicht „besser“ als die andere, jede hat ihre Stärken und Schwächen. Richtig eingesetzt können digitale Lösungsansätze echten Nutzen stiften, sie können aber auch richtig albern sein. Digitalisierung als Selbstzweck entfacht allenfalls ein Strohfeuer. Was wir heute überwiegend an Digitalisierung sehen, sind in den meisten Fällen relativ banale 1:1 Übertragungen analoger Prozessmuster. Wenn nun, wie Sie schlüssig dargelegt haben, der digitale Wandel von den Unternehmen vor allem als "anderer Leute Problem" und als potentielle Bedrohung des eigenen Geschäfts verstanden wird, dann bleibt man in diesen tradierten Denkmustern stecken: Das Analoge soll zum Digitalen werden. Das ist jedenfalls nicht der Weg. Wie kann daraus ein innovativ-gestalterischer Ansatz erwachsen? Eigentlich gar nicht. Das Beste daran wäre noch, dass man Erfahrungen sammelt. Es reicht daher nicht aus, zu fragen, wie können wir das, was wir tun, digitalisieren? Die Frage muss eher lauten: Wie können wir den Kundenbedarf befriedigen? Wie können wir einen Mehrwert bieten und den Kundennutzen steigern? Wie machen wir das effektiv und effizient unter Einbeziehung digitaler Technologien? – Es geht dabei also nicht vorrangig um die digitalen Technologien, sondern um den angestrebten Nutzen und den Mehrwert.

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