Die Alibi-Gesellschaft

Die Alibi-Gesellschaft

Einer Gesellschaft, die keine Lösung für ihre Probleme findet, bleibt ein Ausweg – sie kann zu einer Alibigesellschaft mutieren. Den Menschen verschafft ein Alibi die Genugtuung der Unschuld an der herrschenden Malaise, die Befriedigung einer gesellschaftlich hochgeschätzten emsigen Aktivität, nota bene ohne allzu viel Anstrengung. Besonders beliebt sind Alibiübungen zur Lösung der Klimaprobleme.

Eine liebgewordene private Alibiübung ist, beim Einkauf auf Plastiksäckchen zu verzichten. Fortgeschrittene demonstrieren dies, indem sie im Grossmarkt Kartoffeln aus der Plastikverpackung in den mitgebrachten Jutesack umpacken, und das Kassenpersonal demonstrativ anweisen, die abgestreifte Polyäthylen-Hülle dem Recycling zuzuführen.

Meister der Alibiübung sind aber unsere Regierungen und alle die NGOs und PR-Etagen der Privatwirtschaft, welche ihr mangelndes Verständnis der Problematik durch das Befolgen eines ausgefeiltes Orwellschen Sprachkodex verdecken. Begriffe wie nachhaltig, erneuerbar, ökologisch, umweltgerecht, karbonfrei oder einfach grün zeigen eine ausreichende Flexibilität, um eine genaue Begriffsbildung zu vermeiden – welche sonst zu unliebsamen Fachdiskussionen führen würde.

So wird die Windkraft als nachhaltig, erneuerbar und umweltschonend geführt, obwohl für die Verankerung der Windturbinen riesige Betonfundamente benötigt werden und Zufahrtswege gerodet werden müssen, die Generatorgondel grosse Mengen Maschinenöl enthält, das bei einer Havarie in die Umwelt gerät, und die Rotoren durch den Staub der Winde erodiert werden und als Mikroplastik die Luft belasten. Von der Entsorgung der Rotoren nach etwa 15 Jahren und dem benötigten Flächengebrauch ganz zu schweigen. Dass ‹nachhaltig› etwas mit der Erhaltung des ursprünglichen Zustandes zu tun haben sollte, ist im Sprachkodex nicht vorgesehen. Aber man tut so, als ob.

Das Tun-so-als-ob ist eine anerkannte Substrategie der Alibi-Gesellschaft. Weil ‹die Sonne keine Rechnung schickt› ist der PV-Strom definitionsgemäss billig, obwohl wegen der Volatilität des Solarstroms dessen installierte Spitzenleistung rund das Achtfache des zu deckenden Bedarfs betragen muss, entsprechende Speicher für den Ausgleich der Dunkelphasen benötigt werden und eine Reservekapazität von nicht volatilen Grundstromkraftwerken für längere Dunkelflauten erstellt werden muss – das Erwähnen dieser Kosten wird als schädlich und pronuklear ausgeblendet.

Im Zeichen der mittelalterlichen Ablassmentalität steht die vielbenutzte Möglichkeit, sich von der Pflicht der CO2-Reduktion durch den Kauf von CO2-Zertifikaten freizukaufen. Auch wenn die Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikaten in die Finanzierung von Umweltprojekten in anderen Branchen, in anderen Ländern fliessen sollen, bremst das System die Eigeninitiative der Emittenten, wirksame Innovationen zu verfolgen.

Auf den Index der Alibi-Gesellschaft ist ausserdem das Wort «Redundanz» geraten – dieser vor Zeiten einem jeden Ingenieur beim Studium ans Herz gelegte Begriff wurde als Relikt einer vorökologischen Urzeit ausser Kraft gesetzt. Redundanz bedeutete früher ‹nie alle Eier im gleichen Korb› zu lagern, sondern stets eine vollwertige Reserve mit einer unabhängigen Lösung vorzusehen. Das widerspricht der modernen solaren Monokultur und ihrem Bestreben, den Energiebedarf langfristig zu 100 % durch Photovoltaik und Wind zu decken.

Historisch dokumentierte Katastrophen durch Ausbrüche von Vulkanen haben mit beängstigender Kadenz zu ‹Jahren ohne Sonne› geführt, wenn durch die ausgestossene Staub- und Aerosol-Menge die Durchlässigkeit der Atmosphäre für Sonnenstrahlung stark reduziert wird und die Temperatur um 1 – 2 °C sinkt. Diese Perioden haben stets zu Hungersnöten von kontinentalen Ausmassen geführt. In unserer technisch-industriellen Zivilisation würde ein jahrelanger Blackout zusätzlich zur Hungersnot zu einer Gesamtkatastrophe der Zivilisation in der betroffenen Hemisphäre der Erde führen. Eine solche können wir uns zwar nicht leisten, die wegen der Volatilität ohnehin notwendige Reserveinfrastruktur von jahrelang autonom betriebsfähigen Nuklearkraftwerken wird von der Alibi-Gesellschaft jedoch verworfen, weil sie im Widerspruch zu der Als-ob-Mentalität steht.

Dem vorherrschenden Denken der Alibi-Gesellschaft entspricht leider auch nicht die notwendige Pflege der Vorsorge vor Klimaschäden, für voraussehbare Zeithorizonte, bis irgendwelche Auswirkungen der Klimaschutz-Massnahmen spürbar sein sollten. Angesichts der grossen Unsicherheiten einer Vorhersage der internationalen Situation – Stichworte Ukraine, Taiwan, naher Osten, Blockbildung unter Chinas Führung gegen die westliche Welt – sollten wir uns gegen die höchstwahrscheinliche Verfehlung des Terminzieles 2050 um Dekaden wappnen und Massnahmen gegen die erwarteten Klimaschäden priorisieren, statt Alibi-Übungen des Klimaschutzes mit hunderten von Milliarden Euro, Franken und Dollars zu alimentieren. Auch hier, die Redundanz täte Not, die Mittel verteilen, sowohl Klima retten und auf Wunder des internationalen Konsensus hoffen – aber auch die in unserer autonomen Macht stehende Vorsorge zu forcieren. Das bedeutet bautechnische Schutzmassnahmen gegen zunehmende Überflutungen, Bergrutsche, Trockenperioden, Schneerückgang, Stadtüberhitzung etc. etc. aufzugleisen – statt alle verfügbaren Mittel in das eine Körbchen der Klimarettung zu stecken.

Aber das wäre keine Als-ob-Strategie, und das ist einer Alibi-Gesellschaft nicht zuzumuten.

Dr. Markus Beckers

Managing Partner bei Schick und Schaudt Rechtsanwälte | Restrukturierung von Unternehmen, Arbeitsrecht

7 Monate

Es sind nur noch wenige zu einem komplexen Denken in der Lage, weil nicht nur naturwissenschaftlicher sondern auch ökonomischer Sachverstand fehlen.

Markus Biller

Einigkeit und Recht und Freiheit

7 Monate

Keiner mit Betriebserfahrung fährt ohne Plan B. Redundanz ist super, zumindest Notbetrieb muss gesichert sein. Unsere tot gehochschulte Management Ebenen sind damit völlig überfordert. Gutes Beispiel VW Batterie, Batterie, Toyota min 5 Pferdchen im Stall. Fritz Fuchs TV als Lernprogramm für unsere Führungselite. Nix Schaffe und dem doofen Volk die Welt erklären

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