„DIE BEDEUTUNG UNSERER PROFESSION WÄCHST DRAMATISCH“
Im Gespräch mit Gero Kalt vom „kommunikationsmanager“ über Populismus, Qualitätsjournalismus und Social Media, über die zunehmende Bedeutung von Purpose und Nachhaltigkeit sowie die Veränderung der Unternehmenskommunikation und die Zukunft unserer Branche.
Herr Deekeling, wir leben in wirren politischen Zeiten. Journalisten und Wissenschaftler geraten immer stärker in die Kritik von Populisten, auch wenn sie mit unwiderlegbaren Fakten arbeiten. Was bedeutet das für die „Wahrheitsfindung“ in unserer Gesellschaft?
Die Stärke unserer demokratischen Gesellschaft war immer ihre Fähigkeit, unterschiedliche Gruppen und Lager zu integrieren. Wir erleben aber auch, dass diese Fähigkeit bereits seit geraumer Zeit schwindet und sich diese Erosion in den letzten Jahren krisenhaft beschleunigt hat. Ohne einen „Common Ground“ zerfällt eine Gesellschaft aber in Lager, die sich mit ihren eigenen Wahrheiten feindselig und unversöhnlich gegenüberstehen. Das erleben wir ja gerade in den USA, aber auch zunehmend hierzulande. Das alles ist ein Ausdruck tiefgehender sozialer Verwerfungen. Was wir erleben, ist eine Krise der Demokratie.
Wahrheitsfindung wird unter diesen Bedingungen immer schwieriger. Soziale Medien bieten eine Plattform für diese gesellschaftliche Polarisierung, da sie es jedem Einzelnen ermöglichen, seine eigene Wahrheit an ein großes Publikum zu senden. Warum also soll man sich da überhaupt noch auf den anstrengenden Weg der Wahrheitsfindung begeben, wenn jeder seine eigene Wahrheit finden kann? Social Media ersetzen den Stammtisch. Er steht halt nicht mehr in der Kneipe. Das Problem dabei: Was früher in einem mehr oder weniger geschützten Raum gesagt wurde, geschieht heute in der breiten Öffentlichkeit. Es ist ja ein Irrglaube, dass das, was früher als unsagbar galt, nicht trotzdem auch gesagt wurde. Nur halt nicht für alle hörbar. Das hat sich verändert und damit auch die Debattenkultur.
Sie agieren sehr international. Ist das ein Phänomen, das ausschließlich in anderen Ländern wie UK, USA oder Brasilien zu beobachten ist? Oder müssen wir uns auch in Deutschland auf harte „Fake News“-Zeiten einstellen?
Die sind doch schon längst da! Schauen Sie sich solche Gestalten wie Attila Hildmann oder KenFM oder auch die AfD-Populisten an. Die arbeiten mit gezielter Desinformation und einer Verteufelung von Qualitätsmedien und wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Von den Zuständen in den USA sind wir aber noch weit entfernt. In Deutschland gibt es zudem durch unsere Geschichte eine gewisse Resilienz gegen Verhetzung. Aber das kommt gerade ins Wanken, nicht zuletzt, weil diese Populisten in der medialen Darstellung größer und bedeutender gemacht werden, als sie tatsächlich sind.
Aus Fehlentwicklungen kann man lernen. Was lehren uns Johnson, Trump oder Bolsonaro?
Man darf den Wunsch der Menschen nach einfachen Lösungen in einer komplexen Welt nicht unterschätzen. Die Triebfeder bei all den Entwicklungen, die wir in den USA und anderswo sehen, ist Angst. Angst vor dem Jobverlust, Angst vor dem sozialen Abstieg oder einfach nur Angst vor dem Unbekannten. Genau das erkennen Populisten geradezu instinktiv und missbrauchen das für ihre Interessen. Diesen Angstmachern etwas entgegenzusetzen, ist nicht einfach. Man muss ja erstmal verstehen, dass Lüge, Verdrehung und Leugnung zur Strategie gehören. Dagegen zu argumentieren, ist leider sehr schwer. Um diesen Angstmachern wirksam und nachhaltig entgegenzutreten, braucht es Nähe – faktisch wie symbolisch. Dafür müssen sich Politiker vor Ort den Themen der Menschen stellen und dort das Gespräch suchen – natürlich unterstützt durch Social Media. Politikerklärung über Talkshows verstärkt doch Unwillen und Entfremdung. Sie ist ein Surrogat der politischen Auseinandersetzung – und eigentlich feige.
Welche Verantwortung sehen Sie bei den Social-Media-Plattformen für „Fehlentwicklungen“?
Die kann man gar nicht hoch genug veranschlagen. Social-Media-Plattformen verändern grundlegende gesellschaftliche und politische Meinungsbildungsprozesse in einer Art und Geschwindigkeit, wie das bisher nicht vorstellbar war. Natürlich schaffen sie auch Raum für neue Formen von Partizipation und gesellschaftlicher Teilhabe.
Allerdings wurden die Fehlentwicklungen von den Betreibern viel zu lange ignoriert. Erst durch gesellschaftlichen und politischen Druck wurden hier Korrekturen vorgenommen, zumindest bei den großen Plattformen. Aber das wirkt immer noch halbherzig und intransparent. Der Konflikt zwischen Geschäftsmodell und politischer Verantwortung kann vielleicht auch nicht von den Betreibern selbst aufgelöst werden. Nicht umsonst hat Mark Zuckerberg ja damals vor dem US-Kongress um weitergehende Regulierung nahezu gebeten. Nichts ist schlechter fürs Geschäft als regulatorische Unwägbarkeit.
Ist mehr Regulierung gefragt oder reichen die selbst ergriffenen Maßnahmen von Facebook, Twitter und Co. aus?
Wie gesagt, ich bin überzeugt, vollmundige Selbstverpflichtung reicht nicht aus. Dafür steht einfach zu viel auf dem Spiel! Wir brauchen meiner Meinung nach eine umfassende, klare Regulierung. In Deutschland ist mit dem Netz DG ein wichtiger Schritt gegangen worden. Aber es braucht eben auch eine transnationale, globale Regulierung.
Gleichzeitig müssen die Staatsanwaltschaften ermächtigt werden, stärker und effizienter gegen Hass und kriminelle Inhalte vorzugehen. Man muss Angst haben, vor Gericht zu landen, wenn man im Netz gegen Gesetze verstößt.
Wie sehen Sie die Rolle von Qualitätsmedien in der Zukunft? Nimmt ihre Bedeutung ab und wird sie durch „Twitter-Profis“ mit vielen Followern ersetzt?
Gott im Himmel erhalte uns den Qualitätsjournalismus. Er ist in einer Demokratie unersetzlich. Aber das hat natürlich seinen Preis. Große Geschichten, wie die Panama Papers zum Beispiel, sind nur möglich durch internationale Kooperationen von hervorragenden Investigativ-Journalisten. Das kann kein Blogger oder Twitter-Profi jemals ersetzen.
Der Wandel betrifft sehr stark die politische Kommunikation. Wie sieht es dagegen bei der Unternehmenskommunikation aus? Verändert sich die Rolle der PR hier ähnlich?
Natürlich! Kommunikation ist digital und dadurch viel schneller geworden. Gleichzeitig stehen Unternehmen unter einer viel stärkeren Beobachtung als früher. Sie sind gesellschaftliche Akteure, mit denen unternehmerische Aktivitäten, Erwartungen und Ansprüche verbunden werden. Damit umzugehen heißt, in einen systematischen Dialog zu treten mit Investoren, Kunden, Politik und Öffentlichkeit. Das ist eine fundamentale Erweiterung der Unternehmenskommunikation.
Durch Newsroom, Content Management und auch eigene Kommunikationsplattformen können Unternehmen ihre Zielgruppen heute noch direkter ansprechen. Nimmt die Bedeutung der Unternehmensberichterstattung durch die klassischen Medien ab?
Das auf jeden Fall! Die Rolle der Gatekeeper in den Redaktionen relativiert sich ein Stück weit. Gleichzeitig steigt der Aufwand, um eine konsistente Geschichte unterschiedlichen Adressaten mit jeweils eigenen Interessen zu vermitteln.
Mit dem Bedeutungsverlust von Gatekeepern verlieren Unternehmen aber auch eine kommunikative Komfort-Zone. Denn mit einer direkten, offenen und dialogorientierten Kommunikation steigt auch das Risiko, Fehler zu machen und direkt und mit Wucht angegriffen zu werden. Der Shitstorm, den sich Adidas vor einigen Monaten eingefangen hat, ist so ein Beispiel dafür.
Themen wie Nachhaltigkeit, Verantwortung und „Purpose“ haben gleichzeitig an Bedeutung gewonnen. Was bedeutet das für die Kommunikation von Unternehmen?
Unternehmen sehen sich mit einem zunehmenden gesellschaftlichen und politischen Erklärungs- und Rechtfertigungsdruck konfrontiert. Was ist der Beitrag des Unternehmens und seines Geschäfts zur Lösung der großen Herausforderungen der Zukunft? Das ist die Gretchenfrage, die zukünftig über Akzeptanz, Reputation und Geschäftserfolg entscheidet.
Für die Unternehmenskommunikation bedeutet diese Ausrichtung auf den „Multi Stakeholder Value“ – wie gesagt – eine enorme Ausweitung ihres Wirkungsbereiches. Kommunikation muss daher systematisch die „Social Licence to Operate“ nicht nur vermitteln, sondern dazu beitragen, sie gewissermaßen auch geschäftsstrategisch relevant zu machen. Das ist eine große Aufgabe!
Der angesprochene Purpose muss daher die grundsätzliche und nicht verhandelbare Haltung eines Unternehmens als gesellschaftlicher Akteur widerspiegeln und unternehmerische Ziele in Relation zu ihrem gesellschaftlichen Nutzen setzen. Er ist kein Marketing-Tool, das nur auf den vordergründigen Produktnutzen im Rahmen der Markenbildung zielt. Das ist nicht nur zu kurz gegriffen, sondern auch gefährlich: Denn ein so formulierter Purpose hält den Ansprüchen und Erwartungen einer kritisch hinterfragenden Öffentlichkeit nicht stand.
Wie verändern sich die Aufgaben für eine renommierte PR-Agentur wie ihre?
Auch unsere Arbeit ist komplexer, schneller, anspruchsvoller geworden. Vor allem sind wir viel stärker an die eigentlichen unternehmensstrategischen Prozesse herangerückt.
Wir werden vor allem in solchen Situationen zunehmend angefragt, in denen es um die Einordnung und Erklärung komplexer Wirkungszusammenhänge geht: zum Beispiel den Einfluss von Megatrends, die damit verbundenen Erwartungen von Stakeholdern, die Konsequenzen von Neo-Ökologie oder Konnektivität. Es ist hochspannend zu beobachten, wie Konzerne und Unternehmen sich mit den neuen Paradigmen für ihre strategischen Richtungsentscheidungen auseinandersetzen. Wir erleben hier einen zunehmenden Bedarf an kommunikationsstrategischer Navigation. Unternehmensstrategie und Kommunikationsstrategie müssen zunehmend zusammengedacht werden.
Eine unserer wichtigsten Aufgaben ist es, die Unternehmensstrategie richtig zu framen, das heißt, sie verständlich und vermittelbar zu machen. Dazu gehört auch die Formulierung eines Purpose in enger Abstimmung mit dem Topmanagement. Wir nehmen damit Einfluss auch auf die Gestaltung von Transformationsprozessen. Dabei ist es unser Anspruch, diese Transformationsprozesse dann im Rahmen einer gesamthaften strategischen Kommunikationsberatung in allen kommunikationsrelevanten Bereichen und Themen extern und intern zu unterstützen.
Sie sprechen von einer „Dekade der PR“. Was meinen Sie damit?
Nun, das klingt zunächst einmal pompös! Aber wir erleben doch schon einen dramatischen Veränderungsprozess in unserem Arbeitsbereich, der bereits vor rund zehn Jahren eingesetzt hat: der Social Media Boost, der dramatische Verfall der journalistischen Navigations- und Gatekeeper-Funktionen. Wir erleben, dass Unternehmen selbst zu publizistischen Akteuren werden, Stichwort Newsroom und Content Management. Wir erleben aktuell eine massive Personalisierung der Unternehmenskommunikation, bei der Vorstände immer mehr selbst zum Sprachrohr in den Sozialen Medien werden.
Dann treibt vor allem das neue Multi-Stakeholder-Paradigma die Entwicklung – verbunden mit einem dezidiert unternehmensstrategischen Verständnis von Nachhaltigkeit. Der strategischen Kommunikation wächst dadurch eine neue Bedeutung zu, die beispiellos ist in ihrer Geschichte und die sich in Zukunft weiter institutionalisieren wird – innerhalb und außerhalb der Unternehmen.
Gleichzeitig sind wir mit höchst problematischen Entwicklungen konfrontiert, gewissermaßen mit der dunklen Seite der neuen Macht: perfide Manipulationstechniken durch das Zusammenspiel von Geotargeting, Daten- und Content Management. Wir beobachten Grenzüberschreitungen oder -verwischungen. Was ist noch meinungsbildender Qualitätsjournalismus, was bezahlte Beeinflussung? Was ist legitime Werbung und wo beginnt die Manipulation? Die PR-Firma „Cambridge Analytica“ sei hier genannt – der Name steht inzwischen symbolisch für besondere Skrupellosigkeit.
Vor allem unserer Branche stellt sich die Aufgabe, Standesregeln umfangreicher und detaillierter zu fassen. Es braucht eine Art neuer Compliance, die vielleicht auch den „Code d‘Athènes“ erweitert und Verstöße sanktioniert. Die Macht – oder der Machtzuwachs – unserer Disziplin muss kontrolliert werden.
Auch dieser Regulierungsbedarf zeigt: Die Bedeutung und Wirkmacht unserer Profession wächst dramatisch.
Das Interview erschien unter dem Titel „Gott im Himmel, erhalte uns den Qualitätsjournalismus!“ im Dezember 2020 in der Zeitschrift „kommunikationsmanager“, Ausgabe 4 – 2020, S. 34-37.
Geschäftsführender Gesellschafter - vennen.advisors GmbH | Berater für Strategische Kommunikation in Krisen- und Sondersituationen | #Krise #Litigation #Compliance #Transformation #Change
4 JahreLieber Egbert, ein sehr erhellendes Stück, das erst in Verbindung mit dem sehr gelungenen Foto seine ganze Deutungsbreite entfaltet. Ich wünsche Dir und den Deinen frohe Festtage und viel Glück und Erfolg im Neuen Jahr! Beste Grüße, Hartmut
Enthusiastic about people, communication and education | Communications & Marketing | Advisor | Executive Coach (ICF) | Mentor
4 JahreGroße Zustimmung, Egbert Deekeling !!! 👍🙏👏 Ich glaube auch, dass das Zeitalter der Kommunikatoren gerade erst begonnen hat... 🚀🚀🚀
SVP Finance & Controlling - Mobility Electronics Division - CFO Bosch Semiconductors
4 JahreLieber Egbert Deekeling , ein klasse Interview, stimme vielen Positionen zu, insbesondere der Bedeutung von Qualitätsjournalismus. VG!
Klartext - „Don't argue the matter. The difficulties will argue for themselves“ Sir Winston Churchill
4 JahreLieber Egbert. Deswegen haben wir in der Schweiz erklärt, dass nur Klartext weiterhilft. Und strategische Kommunikation- nicht schönredende PR 🤣 https://bit.ly/349Mi5w
Corporate & Crisis Communications
4 JahreSchönes Interview Egbert! Da sind wir auf einer Linie 💪🏼😀!