Die Bedeutung von Anbieterverlässlichkeit für Beschaffungsentscheidungen

Die Bedeutung von Anbieterverlässlichkeit für Beschaffungsentscheidungen

Von Dr. Philipp Johannes Nolte

Vorbemerkung: In der heutigen Geschäftswelt, insbesondere im Business-to-Business (B2B)-Sektor, stellt die Wahl des richtigen Lieferanten eine der kritischsten Entscheidungen dar. Vor Jahren habe ich in meiner Forschung das Thema Anbieterverlässlichkeit und deren weitreichende Auswirkungen auf gesamte Wertschöpfungsketten in seiner vollen Tiefe und Komplexität beleuchtet (Verlässlichkeit als Beschaffungskriterium: Signale für die Einhaltung von Anbieterversprechen im Business-to-Business-Bereich | SpringerLink). In diesem Artikel möchte ich in komprimierter Form einen kleinen Ausschnitt der Thematik beleuchten.

Warum ist Anbieterverlässlichkeit so wichtig? Als Kunde der Deutschen Bahn erlebe ich fast täglich Fahrplanabweichungen oder sogar Zugausfälle. Kundenversprechen werden nicht eingehalten. Das ist hochgradig nervig und kostet mich wertvolle Zeit. Aber es beraubt mich nicht meiner Existenzgrundlage. Anders sieht es mit vielen Versprechen im Business-to-Business Kontext aus. Ein unzuverlässiger Lieferant kann dort gravierende Folgen haben: Verzögerungen, Qualitätsmängel, Kostenüberschreitungen, Vertragsstrafen und im schlimmsten Fall sogar den Verlust von Kunden. Anbieterverlässlichkeit ist daher kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Sie ist das Fundament für eine stabile und fruchtbare Geschäftsbeziehung. Nicht selten führt die die Wahl eines unzuverlässigen Lieferanten zu einer Kette von Problemen, die sich auf alle nachfolgenden Wertschöpfungsschritte auswirken. Anbieterverlässlichkeit ist nicht nur ein Schlüsselelement für erfolgreiche Geschäftsbeziehungen, sondern bildet eine entscheidende Grundlage für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Daher ist es für Unternehmen von größter Bedeutung, sichere und verlässliche Informationen über potenzielle Geschäftspartner zu sammeln und zu bewerten.

Wie wird Verlässlichkeit definiert? Verlässlichkeit bezieht sich auf die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Lieferant seine Versprechen einhält. Dies umfasst Liefertermine, Qualitätsstandards und andere wichtige Vereinbarungen. Sie ist ein Gradmesser dafür, wie vertrauenswürdig und kompetent ein Anbieter ist. Verlässlichkeit ist eine typische Vorstufe von Vertrauen - anders als im Fall des deutlich emotionaler geprägten Konstrukts Vertrauen macht ein Kooperationspartner oder Kunde sein eigenes Wohlergehen allerdings nicht unkritisch vom Verhalten des Kooperationspartners abhängig.

Bekannte Praxisbeispiele: Die Folgen mangelnder Verlässlichkeit

>> Elbphilharmonie Hamburg: Eine extreme Verzögerung der Fertigstellung führte zu erheblichen Kostenüberschreitungen.

>> Mautsystem Toll Collect: Verzögerungen in der Inbetriebnahme verursachten Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe.

>> Airbus und Boeing: Lieferengpässe bei Zulieferteilen führten zu Verzögerungen und Strafzahlungen. Hinzu kommen insb. bei Boeing stellenweise Qualitätsmängel. Anfang des Jahres 2024 löste sich sogar während eines Fluges ein größeres Teil aus einer Boing 737-9 Max von Alaska Airlines.

Wie können Unternehmen Verlässlichkeit messen? Die Herausforderung liegt darin, die Verlässlichkeit eines Lieferanten vor einer Transaktion oder Geschäftsbeziehung einzuschätzen. Versprechen sind oft mit Unsicherheiten behaftet, was die Notwendigkeit einer genauen Bewertung und Auswahl von Lieferanten unterstreicht. Nachfrager haben zur Einschätzung der Verlässlichkeit eines Anbieters eine Wahl zwischen einer Vielzahl von Signalen. Dazu gehören unter anderem "proaktive Kommunikation" eines Anbieters, die Erreichbarkeit der Ansprechpartner, Transparenz in den Geschäftsprozessen oder die Bereitschaft zu eindeutig messbaren Qualitäts- und Servicevereinbarungen. Interessanterweise haben sich in der Untersuchung Signale, die einen direkten Kontakt zwischen Anbietern und Nachfragern erfordern, als besonders aussagekräftig erwiesen. Insofern besitzen auf die nachhaltige Pflege von Geschäftsbeziehungen ausgerichtete In-Supplier einen eindeutigen Vorteil gegenüber Out-Suppliern.

Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen: Für Unternehmen im B2B-Bereich ist es entscheidend, die Verlässlichkeit ihrer Lieferanten zu bewerten und zu überwachen. Eine sorgfältige Lieferantenauswahl und das kontinuierliche Management von Lieferantenbeziehungen können Risiken minimieren und die Gesamtqualität der eigenen Produkte und Dienstleistungen sicherstellen. Unternehmen sollten bereits in ihren Beschaffungsstrategien ein größeres Augenmerk auf die Verlässlichkeit von Lieferanten legen. Dies beinhaltet nicht nur eine sorgfältige Prüfung und Auswahl von Lieferanten, sondern auch die fortlaufende Überwachung und Bewertung der Lieferantenleistung im Hinblick auf deren Verlässlichkeit. Zudem sollten Anbieter sich bewusst sein, dass die Fähigkeit, verlässlich zu handeln und Versprechen einzuhalten, ein entscheidender Wettbewerbsvorteil ist. Eher kurzfristig ausgerichtete Opportunitäten zur Einsparung von Kosten sollten immer auch mit Blick auf die Verlässlichkeit von Anbietern kritisch hinterfragt werden.

Anbieterverlässlichkeit im Kontext der Versicherungsbranche: Implikationen und Handlungsempfehlungen

In der Versicherungsbranche sind Verlässlichkeit und Präzision nicht nur wünschenswert, sondern unerlässlich. Fehler oder Verzögerungen in Bereichen wie Schadensregulierung, Kundenbetreuung oder Datenmanagement können schwerwiegende Folgen haben. Eine besondere Bedeutung haben hier regulatorische Sanktionsmöglichkeiten und Reputationsrisiken. Hinsichtlich der Signale lohnt sich hier insbesondere ein Blick auf technologische Fähigkeiten, welche Voraussetzungen für Datensicherheit und Compliance sind. Auch in der Versicherungsbranche besteht ein Vorteil für In-Supplier. Diese können insbesondere durch aktives Relationship-Management (auch z.B. im Rahmen von Aktivitäten des InsurLab Germany e.V. oder Messen wie der insureNXT ) sowie durch die unter Beweis gestellte Erfüllung von Leistungsversprechen auf diesem Vorteil aufbauen und Beziehungen ausbauen. Out-Supplier wie z.B. auch Start-Ups müssen naturgemäß etwas mehr in den Aufbau von positiven Verlässlichkeitssignalen investieren. Für ein intensives Kennenlernen und den Start einer Austauschbeziehung zwischen Corporates und Start-Ups kann ich das Collaborator Programm des InsurLab Germany e.V. empfehlen. Hier lässt sich in der Zusammenarbeit Expertise und Verlässlichkeit wahrnehmen und sogar Vertrauen entwickeln. Bereits die Teilnahme am Programm wirkt als positives Signal, da ein intensiver Screening- und Auswahlprozess durchlaufen wird.

Maximilian Hempel

msg systems | KI Manager (IHK) | Insurance Monday

11 Monate

Lieber Dr. Philipp Johannes Nolte , ein treffender Beitrag zur Bedeutung von Anbieterverlässlichkeit in der Versicherungswirtschaft! Die Zuverlässigkeit von Zulieferern und Partnern ist tatsächlich unverzichtbar. Die Qualität der Beziehungen und die Verlässlichkeit der Dienstleistungen beeinflussen maßgeblich die Wahrnehmung und das Vertrauen der Kunden. Ein spannender Aspekt, der oft unterschätzt wird, aber essentiell für den langfristigen Erfolg ist. Hier spreche ich aus guter eigener Erfahrung in den letzten drei Jahren. 😁🙏🏻

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