Die besondere Situation der Doktorandinnen und Doktoranden mit ausländischer Bildungsherkunft

Die Zahl der beratenen Personen an der Studienberatung der Universität Basel ist in den letzten 1o bis 15 Jahren relativ konstant geblieben. Zugenommen hat allerdings eine an der Zahl relativ kleine, aber sehr zeitintensive Gruppe an Personen mit psychologischen Problemen. Dabei handelt es sich um ausländische Doktoranden aus aussereuropäischen Ländern, die in der Regel nicht Deutsch können.

Deutliche Zunahme Studierender mit ausländischer Bildungsherkunft auf Doktorandenstufe

Mit dem Start des Programmes ERASMUS der Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1987 begann sich die Bildungspolitik in der Schweiz ebenfalls mit der Förderung der akademischen Mobilität zur Sicherung des Forschungsplatzes Schweiz zu befassen. Ende der achtziger Jahre starteten Bundesrat und Parlament ein Mobilitätsförderungsprogramm, in Zuge dessen sich an den Hochschulen Mobilitätsstellen entwickelten, Förderprogramme eingerichtet wurden und man sich bemühte Anschluss an die europäischen und auch globalen Mobilitätsprogramme zu finden. Dabei hatte man die nationale wie die internationale Mobilität im Auge.

Diese Mobilitätsförderung blieb nicht ohne Auswirkung. Unter den Studierenden an Schweizer Hochschulen ist seit 1990 der Anteil an Personen mit ausländischer Bildungsherkunft deutlich gestiegen. Auf der Stufe bis zum Masterstudium (vormals Lizentiat-/Diplomstudium) ist der Anteil seit 1990 von ca. 15 Prozent auf mehr als 20 Prozent gestiegen. Diese Steigerung ist relativ moderat, allerdings auf der Doktorandenstufe ist die Zunahme eindrücklich. 1990 betrug sie rund 20 Prozent, mittlerweile ist sie aber auf über 50 Prozent gestiegen, d.h. Studierende mit ausländischer Bildungsherkunft sind auf Doktoratsstufe mittlerweile die Regel (Abbildung 1). Besonders in den naturwissenschaftlichen Fächern, wo keine Kenntnisse der deutschen Sprache zwingend sind, liegt die Quote teilweise bei 80 Prozent.

Abbildung 1

Quelle Bundesamt für Statistik


Relativ unattraktive Löhne der Doktoranden

Ohne den Zuzug aus dem Ausland wären die Schweizer Universitäten kaum in der Lage die Stellen in Forschung und Lehre an den Universitäten zu besetzen. Ein Grund dafür ist auch die relative Unattraktivität der Doktorandenstellen bezüglich der Bezahlung. Die Statistik zur Beschäftigungssituation der Absolventen der Schweizer Hochschulen, die vom Autor dieses Artikels seit 1989 mitgestaltet wird, zeigt, dass es in der Schweiz relativ wenig Probleme beim Übergang vom Studium in den Beruf gibt (die Zahl der erwerbslosen Stellensuchenden bewegt sich im Jahr nach dem Abschluss gesamthaft gesehen zwischen 3 und 5 Prozent und kann als Friktionsarbeitslosigkeit bezeichnet werden). Natürlich schwankt die Zahl jeweils mit dem Gang der wirtschaftlichen Konjunktur und es zeigt sich, dass in konjunkturell eher schlechten Jahren, mehr Masterabsolventen als Doktoranden an der Hochschule verbleibenden, die Quote dagegen in wirtschaftlich guten Jahren eher abnimmt. Die Interpretation liegt nahe, dass besonders in guten Jahren die Absolventen in der Schweiz deutlich lukrativere berufliche Möglichkeiten haben als eine befristete Doktoratsstelle anzunehmen. Die Absolventenstudien zeigen, dass die Löhne der Doktoranden deutlich unter dem Durchschnitt der gesamten Einstiegsstellen der Universitätsabsolventen liegen. Besonders in den Fächern mit hohem Ausländeranteil, d.h. in den naturwissenschaftlichen Fächern sind die Löhne der Doktoranden besonders tief. Ein Teil des Wachstums der Ausländerquote unter den Doktoranden scheint eindeutig dadurch bedingt zu sein, dass die Stellen für Bildungsinländer wenig attraktiv sind.

Buhlen um die besten Köpfe

Ein Teil dieser Entwicklung ist natürlich auch eine Folge der generellen Globalisierungstendenzen sowie der durch die Umstrukturierung der Universitäten in teilautonome Institutionen geschaffene Konkurrenzsituation zwischen den Universitäten. Kompetitiv eingeworbene Drittmittel für die Forschung sind ein wichtiger Faktor für die Finanzierung und die Reputation der Hochschulen geworden. Deshalb versuchen alle möglichst die „klügsten“ Köpfe für sich zu gewinnen dabei ist die Rekrutierungsbasis nicht mehr das nationale, sondern das globale Umfeld geworden und zwar je naturwissenschaftlicher das Forschungsfeld je stärker, da Sprache und kulturelle Zugehörigkeit in diesem Bereich mindestens scheinbar nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Komplexe Institutionslogiken in den Forschungsgruppen an Hochschulen

In einem Unternehmen ist die Hierarchie der organisationsimmanenten Logiken relativ klar. Oberste Priorität hat der wirtschaftliche Nutzen des Unternehmens. Demgegenüber nachrangig gibt es natürlich auch den Aspekt des persönlichen Nutzens der Mitarbeiter sowie des reinen Erkenntnisgewinns. Letzterer beider Aspekte sind aber den ersteren eindeutig untergeordnet. An den Hochschulen sieht dies völlig anders aus. Ein Doktorat, ein Post Doc bzw. die Publikation eines Forschungsergebnisses hat immer und deklarierter weise auch einen persönlichen Nutzen für die individuelle Laufbahn des Forschers. Natürlich steht auch explizit der Nutzen des reinen Erkenntnisgewinns stark in Fokus. Und die Institution Hochschule als Organisation möchte in Form von Verkauf von Patenten und Einwerbung von Drittmitteln von ihren Forschungsgruppen profitieren. Der Unterschied zwischen einem Unternehmen und einer Hochschule ist, dass bei der Hochschule die Hierarchie der Logiken nicht explizit deklariert ist, und es ist naiv zu glauben, dass die diversen Logiken immer schön miteinander im Einklang stehen würden. Oft ist das Gegenteil der Fall: Die Logiken stehen im konkreten Fall mehr oder weniger im Widerspruch zueinander. Weiter ist es naheliegend, dass in diesem Netz von sich widerstrebenden Kräften das schwächste Glied in den Forschungsgruppen, nämlich die Doktoranden, am ehesten Gefahr laufen darunter zerrieben zu werden.

Konkurrenz und Machtmissbrauch

Machtmissbrauch und Seilschaften gibt es in allen Unternehmen und Institution. In Banken, in Industriekonzernen, in der staatlichen Verwaltung wie eben auch in den Forschungsgruppen der Hochschulen. Das besondere an den Hochschulen ist aber, dass die persönliche Abhängigkeit zwischen Professor, Postdoc und Doktorand besonders im deutschsprachigen Hochschulsystem quasi institutionalisiert ist. Das deutsche auf dem Humboldtschen Hochschulmodell gewachsene Hochschulsystem redet bezeinenderweise immer noch von Doktorvätern und Doktormüttern. Dies kann positv sein, wenn der Doktorvater tatsächlich ein Förderer sein will bzw. kann. Aufgrund der obengenannten Mechanismen kann dieses Fördertum, da auch der Doktorvater selbst einem dauernden Konkurrenzdruck ausgesetzt ist, völlig in den Hintergrund geraten. Hinzukommt, dass bei der Berufung von Professuren Betreuungskompetenz und andere Social skills keine Rolle spielen. Es kommt dann unter diesen Umständen schnell zu Machtmissbrauch in Form von Forderungen bezüglich dauernder Verfügbarkeit bis mitten in die Nacht, von Beleidigungen, Mobbing etc. wie es beispielweise gerade aktuell von Michael Furger unter dem Titel „Schikanen im Elfenbeinturm“ in der Zeitschrift Horizonte Nr. 18 des Schweizer Nationalfonds diesen September anschaulich beschrieben wird.

Ausländische Doktoranden, das schwächste Glied in der Kette

Oben wurde bereits expliziert, dass die Doktoranden in den Forschungsgruppen das schwächste Glied sind und innerhalb dieses schwächsten Glieds sind es die fremdsprachigen Doktoranden aus aussereuropäischen Staaten, die dem Kräftespiel an den Hochschulen gegenüber am wehrlosesten sind und die im Konfliktfall häufig klinisch relevante psychologische Symptome entwickeln und Hilfe bei der Studienberatung suchen.

Dazu zur Illustration ein typisches Fallbeispiel: Eine Forscherin, die an Ihrer Heimuniversität in Südamerika durch ausserordentliche Leistungen aufgefallen ist, kommt an eine Doktoratsstelle an einer Schweizer Hochschule und nimmt diese an, weil für ihre Verhältnisse der Lohn verbunden mit der Aussicht auf eine spätere Karriere beispielsweise in der Pharmaindustrie sehr attraktiv erscheint, obwohl sich die Entlöhnung für diese befristete Stelle im Schweizerischen Kontext eher im Niedriglohnsegment befindet. Wir müssen allerdings wie oben geschildert annehmen, dass die Hochschulen zu diesen Bedingungen niemals in der Lage wären, die Stellen mit ähnlich gut qualifizierten Personen aus dem mitteleuropäischen Umfeld zu besetzen. Diese spanischsprachige Doktorandin kommt jetzt in ein fremdes Land, wo sie eigentlich nur ihre Einzimmerwohnung und ihre Forschungsgruppe kennt. Durch die hohe Präsenz im Labor und durch kulturelle und sprachliche Barrieren verbindet sie sich kaum mit Personen ausserhalb ihrer Gruppe. Dies geht genau solange gut, wie es in der Gruppe im Labor keine Probleme gibt. Dies ist aber aufgrund der oben dargestellten Kräfteverhältnissen, Konkurrenzsituationen und Institutionslogiken eher unwahrscheinlich. Fairerweise muss auch erwähnt werden, dass es trotz dieser ungünstigen Ausgangslage in vielen Gruppen einigermassen passabel zugeht. Wenn aber die Forschungsgruppe das zwischenmenschliche Zusammenleben nicht bewältigen kann, gibt es sehr schnell ernstzunehmende Probleme, der eine solche Person aus Südamerika hilflos ausgeliefert ist. Selbstverständlich hat sie wie alle Universitätsangestellten einen Arbeitsvertrag, der ihr z.B. Ferien zusichert, ihr Schutz vor Mobbing oder sexuellen Übergriffen, überhaupt generell Unterstützung bei Unregelmässigkeiten und Konflikten am Arbeitsplatz zusichert. Die betroffene Person kann sich also im Konfliktfall an die Personalabteilung wenden. Dies wird sie sich aber gut überlegen, d.h. in den meisten Fällen nicht tun. Durch die „Humboldtsche“ Abhängigkeit von ihrem Doktorvater befindet sie sich in einer ähnlichen Situation wie eine mittelalterliche Hausangestellte. Sie befürchtet, dass eine Beschwerde bei der Personalabteilung sich negativ auf die Bewertung ihrer Doktorarbeit auswirken könnte und sie genauso vor dem beruflichen Aus stehen würde wie die Hausangestellte vor 500 Jahren, die ohne Empfehlungsschreiben des Arbeitgebers wenig Chancen gehabt hätte, eine neue Stelle zu finden. Erschwerend kommt dann für Personen ausserhalb des Schengenraums hinzu, dass die Aufenthaltsgenehmigung an die Doktorandenstelle gebunden ist. Da die Doktorandin in dieser isolierten Situation Symptome wie Schlafstörungen, Panikattacken oder depressive Symptome mit klinischer Relevanz entwickelt, sucht sie also Hilfe bei den psychosozialen Diensten der Hochschule, in diesem Fall bei der Studienberatung, die in unserem Fall für die Beratung bei passageren psychologischen Problemen von Studierenden zuständig ist. Oft ist die psychische Beeinträchtigung allerdings in einem Ausmass vorhanden, die von der Studienberatung nicht mehr adäquat aufgefangen werden kann, aber anders als bei anderen Studierenden kann die Doktorandin nicht an die psychiatrischen Dienste oder niedergelassene Therapeuten vermittelt werden, da die Versicherungssituation der Doktorandin eine solche Behandlung nicht abdeckt. Sie bleibt also als Notlösung bei der Studienberatung hängen. Die weiteren Verläufe sind dann sehr individuell, öfters besteht sie darin, die Situation am Institut dadurch zu entschärfen, dass die Doktorandin sich im Team quasi unsichtbar macht und sich einfach darauf konzentriert die Dissertation irgendwie unter Dach und Fach zu bringen, oder sie heiratet, falls vorhanden den gerade aktuellen Freund, weil dies vorerst das Problem mit der Aufenthaltsbewilligung löst, oder sie sucht im „Zustand der Unsichtbarkeit“ eine neue Gruppe an einer andern Hochschule und wenn diese gefunden wird, lässt sie die Situation eskalieren mit dem Ergebnis, dass sie die Hochschule sofort verlässt, die Universität ihr aber noch drei Monate den Lohn zahlen muss. Natürlich gibt es auch Krankschreibungen, bei der auch die Hochschule oder deren Versicherung die Lasten der Lohnfortzahlung übernehmen muss und gleichzeitig in der Forschungsgruppe eine unsichere Situation entsteht, „kommt sie zurück oder eben nicht“, die Stellensituation bleibt monatelang in der Schwebe. Keine dieser hier geschilderten Konsequenzen einer solchen Situation könnten von jemandem ernsthaft als befriedigender Lösungsansatz bezeichnet werden.

Eine Sensibilisierung der Hochschule für die Problematik ist gefordert

Es darf auch nicht unerwähnt bleiben, dass alle beteiligten Personen inklusive dem Studienberater nicht in der Muttersprache, sondern im in der Ausdruckweise eher undifferenzierten „International Englisch“ miteinander kommunizieren. Angesichts der sprachlichen und kulturellen Barrieren sind natürlich auch Missverständnissen Tür und Tor geöffnet. Migration zwischen Kulturen ist immer ein Belastungsfaktor und viele bewältigen diesen mit Lust und gestärktem Selbstbewusstsein. Gleichzeitig müssen wir aber zur Kenntnis nehmen, dass die Fähigkeit zur Bewältigung dieses Belastungsfaktors nicht immer mit der Fähigkeit für wissenschaftliche Leistung einher geht.Es geht bei den vorliegenden Ausführungen nicht darum mit dem Mahnfinger auf irgendeine Personengruppe zu zeigen. Was aus der Sicht des Autors am ehesten zu einer Verbesserung führen könnte, wäre eine Sensibilisierung aller Parteien für die geschilderten Problematiken, auf Basis derer dann konstruktive präventive Massnahmen oder Lösungsansätze entwickelt werden könnten. Zur Illustration wie Not dies täte eine Reminiszenz an ein Tischgespräch zwischen dem Autor und einem befreundeten erfahrenen Forschungsleiter mit durchaus guten Absichten. Nach der Schilderung eines solchen Falls aus der Praxis der Studienberatung war die erste Gegenfrage des Forschungsleiters: „Bist du sicher, dass dies eine gute Doktorandin ist?“


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