Die Bilder, die wir mit uns tragen...
Wir sind, wer wir sind - doch wer sind wir und was hat uns zu dem gemacht was wir sind? Wie entwickeln wir uns und unsere Werte? Was ist gut und was ist schlecht? Vor was haben wir Angst und worauf freuen wir uns?
Ich habe mich vor knapp 20 Jahren dazu entschlossen im Rettungsdienst ehrenamtlich tätig zu sein - damals noch jung und voller Tatendrang, ohne zu wissen wo mich diese Reise hinführen wird. Hätte ich sie angetreten, wenn ich damals schon gewusst hätte, was mich erwartet? Ja, hätte ich.
Im Rettungsdienst, aber auch in den anderen Bereichen des Roten Kreuzes, kann man viele Facetten des Lebens sehen und aktiv dazu beitragen das Leid von Menschen zu verringern. Leid muss nicht immer mit Schmerz verbunden sein, denn oft ist es auch einfach das soziale Leid oder finanziell bedingt.
Doch warum will man diesen Job machen? Gute Frage - lassen sie es mich beschreiben...
Sonntag vormittag, Ausfahrt für den Notarztwagen, Atemnot, eine Wohnung mit einem alten Herrn, der schon lange mit dem Krebs gekämpft hat, seine Frau und ein Hund. Das Team versorgt den Patienten und versucht seine Schmerzen zu lindern, während seine Frau mir plötzlich die Hochzeitsfotos zeigt... 40 lange Jahre waren sie verheiratet und nun geht diese gemeinsame Zeit dem Ende zu... wir erklären ihr, dass er nun bald die Reise antreten wird und sie von ihm Abschied nehmen soll, worauf sie sich zu ihm legt, um ihn noch bei sich zu haben. Wenige Zeit später wird der Notarztwagen erneut zur gleichen Adresse gerufen... wir gehen das Stiegenhaus hinauf und hören die erfreute Aussage "die Herren vom Roten Kreuz sind wieder da"... auch in dieser schweren Stunde war die Freude groß, dass das gleiche Team, welches vorhin ihren Mann und sie betreut hat, wieder zur Stelle war, um nun offiziell den Tod festzustellen.
Oft liegen Freud und Leid so knapp beieinander.
Oder ein Intensivtransport zur Überstellung eines Kindes von Krankenhaus A nach Krankenhaus B, weil es dort bessere Möglichkeiten gibt. Bereits beim Eintreffen bemerkt man die kritische Lage und holt sich eine Eskorte der Polizei, was man zuvor noch nie getan hat. Man gibt sein Bestes, um 15 Minuten nach der Ankunft im Zielspital doch die weinenden Eltern zu sehen, weil es den Kampf verloren hat.
Doch warum tut man sich das an? Wieso setzt man sich selbst diesem Stress und diesem Leid aus? Als Rot-Kreuz-Mitarbeiter sollte hier kommen "Aus Liebe zum Menschen"... aber ist es wirklich das? Ist es die soziale Verantwortung? Ist es der "Kick"?
Oder ist es einfach eine Möglichkeit, wie man unendlich viel Erfahrung sammeln kann, die einem niemand mehr nehmen kann? Schöne Erfahrungen und Freundschaften, die man mitnehmen kann, damit die schlimmen Erfahrungen nicht an uns nagen.
Social Responsibility taucht in unserer Gesellschaft immer häufiger auf, doch fühle ich mich wirklich verantwortlich für die Gesellschaft? Oder will ich einfach dazu beitragen, dass wir alle ein wenig mehr Glück im Leben finden?
Mit ein wenig mehr "wir" könnten wir alle etwas mehr von "uns" haben.
Und die Bilder von "uns" trage ich im Kopf mit mir - immer...