Die Coachingausbildung beginnt vor der Coachingausbildung!
Manchmal ist man einfach überfordert... (Cartoon by Michael Schölz)

Die Coachingausbildung beginnt vor der Coachingausbildung!

"Denken, was wahr, und fühlen, was schön, und wollen, was gut ist, darin erkennt der Geist das Ziel des vernünftigen Lebens." Johann Gottfried von Herder

Ich hatte gerade wunderbare, intensive vier Tage in einem Seminarzentrum in Oberbayern verbracht – das erste Modul einer fast zweijährigen Coachingausbildung, die ich mir sehr genau ausgesucht habe. Es war also die absolut richtige Entscheidung, diese Ausbildung zu beginnen und ich bin sehr glücklich darüber. Aber wie war mein Weg eigentlich dahin – wie habe ich diese Entscheidung mit solcher Sicherheit und Überzeugung treffen können? Eine Frage, die nur mit dem Zusammenspiel und bewusster Kommunikation zwischen rationalem Verstand und emotionaler Gefühlswelt beantwortet werden kann.

Vorangegangen war fast ein halbes Jahr Recherche. Ich hatte tatsächlich so meine Probleme, ein Unternehmen zu finden, dem ich einen Großteil der nächsten zwei Jahre meines Lebens anvertrauen möchte. Ich wollte mich ja nicht auf irgendetwas einlassen, wollte mein Geld, das ich privat investiere, nicht verbrennen. Wollte meine Zeit, meine Energie und meine Persönlichkeit nicht in eine Ausbildung stecken, die sich am Ende eventuell als Ballon entpuppt hätte – außen schön anzusehen, aber innen voll heißer Luft, die irgendwann entweicht. Und den Ballon unbrauchbar am Boden der Tatsachen zurücklässt.

Im Dschungel der Suche

Es gibt zweifellos viele schwarze (und graue) Schafe in der unübersichtlichen und bunten Welt der Coachingausbildung, was die Suche mitunter recht unterhaltsam macht. Diese wurde zum Beispiel manchmal von absurden Momenten und irritierenden Erfahrungen begleitet. So fragte mich ein Ausbilder im Telefongespräch allen Ernstes, ob denn meine Ehe glücklich sei – er hätte da ein Sonderangebot im Partnercoaching mit Erfolgsgarantie. Und manchmal auch recht frustrierend, wenn man x-mal nachhaken musste, ob man einen Termin für ein Gespräch bekommt, das Interesse für mein Anliegen also eher zurückhaltend war. Das half mir aber, die Liste der potentiellen Ausbildungen kurz und schmerzlos zu bereinigen… Die positiven Momente überwogen jedoch grundsätzlich und all diese wichtigen und lehrreichen Erfahrungen halfen mir in ihrer Gesamtheit, eine Vorstellung zu bekommen, wo ich hinwollte. Und hier schälten sich dann für mich im Laufe der Zeit zwei Ebenen der Entscheidungsgrundlage heraus.

Jeder kennt das - es aber bewusst zu erfahren war etwas Besonderes.

Die rationale Ebene

Zum einen habe ich zuerst natürlich eher allgemeine, bekannte und persönliche Fragestellungen mit viel Nachdenken und Recherche beantwortet und versucht, Klarheit zu finden. Eine auf rein rationalem Verständnis und Nachdenken basierende Vorgehensweise, die mich als Perfektionisten, Strukturliebhaber und prozessorientierten Menschen anfangs sehr befriedigt hat.

Diese Fragestellungen möchte ich hier gerne kurz vorstellen – sie halfen ungemein bei der Entscheidungsfindung. Ich stelle hier aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Denn dies ist lediglich eine sehr persönliche Auswahl von für mich wichtigen Fragen, die in ihrer Reihenfolge auch keine Wichtung darstellen:

  1. Was wäre anders in meinem Leben, wenn ich eine Ausbildung beendet habe? Was möchte ich mit der Coachingausbildung eigentlich für mich (und Andere) erreichen?
  2. Was kann ich zum guten Ablauf der Ausbildung beitragen? Was für Ressourcen habe ich?
  3. Was kann der Ausbilder dazu beitragen? Was kann der Mensch, wie sieht der Mensch aus, der mich voranbringen kann? Ist er Praktiker, also ein aktiver Coach?
  4. Was soll der Beitrag der Lerngruppe sein? Welchen gemeinsamen Nenner erwartest Du von den Mitteilnehmern – und wie viele Teilnehmer sollen es eigentlich sein?
  5. Welche Kernkompetenzen werden im Coaching gefördert und sind es die, die ich beim mir fördern möchte?
  6. Wie hoch ist der Praxisbezug der Ausbildung? Darf ich von Anfang an üben oder muss ich erst viel Stoff lernen?
  7. Kann ich Kontakt mit (Ex-)Teilnehmern aufnehmen und sie fragen, was sie motiviert hat, hier teilzunehmen und was gut für sie war? Was hätte für sie besser laufen können?
  8. Wie sehen die Kursunterlagen aus, wie sind sie didaktisch und inhaltlich aufgebaut?
  9. Ist das Ausbildungsunternehmen Mitglied in einem der großen Coachingorganisationen? Und was für Vorteile, qualitative Wertungen, Bedingungen oder Möglichkeiten ergeben sich dadurch?
  10. Welche Weiterbildungen bietet das Unternehmen und bauen diese auf die Grundlagen der Ausbildung auf?

Es gibt auch im Internet eine Reihe von Checklisten, mal mehr, mal weniger lang oder ausführlich. Sie beinhalten auch manche Fragen, die mir persönlich nicht so wichtig waren. Wie zum Beispiel zu dem Themen Kosten, Rücktrittsmöglichkeiten, Ausbildungsort und Anderes. Auch muss man höllisch aufpassen, dass die Beantwortung der Fragenkataloge, die man Internet findet, nicht schon durch lange und vielleicht suggestive Erläuterungen beeinflusst wird. Auch das ist mir passiert. Weil vieles ja so logisch ist.

Und wenn man sich eine solche Liste an wichtigen Fragen erstellt, ist es meiner Erfahrung nach sehr wichtig, dass diese so offen wie möglich gestaltet, vom Suchenden selbst formuliert und immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden – wie zum Beispiel: ist das auch wirklich die Frage, die ich jetzt beantwortet haben möchte? Sind alle Aspekte in der Frage vorhanden, die mir wichtig sind? Gibt es da noch eine Folgefrage?

Diese Beantwortung der Fragen als Entscheidungsgrundlage auf rationaler Ebene ist immens wichtig und hat ihre Berechtigung, auf der Suche nach einem geeigneten Unternehmen recherchiert zu werden.

Aber irgendwas hat mir gefehlt. Und zwar etwas Existenzielles.

Kennen Sie das?

Man hat etwas rational begriffen und sich die Antwort auf wichtige Fragen nach viel Überlegen gegeben. Auf verstandesmäßiger Ebene hat es oft nur einen Tag gebraucht, bestimmte Fragen zu beantworten. Oder nur ein oder zwei Stündchen Besuch und Kaffeetrinken bei den Ausbildungsinstituten oder deren Teilnehmern. Aber all das hatte mich nicht von einem System oder gar einem ausbildenden Unternehmen vollends überzeugt. Die Projizierung der Antworten der Fragen auf die ausgesuchten Unternehmen hat bei mir noch kein Gefühl der Sicherheit bei der Entscheidung gegeben.

Und bei diesem Gedanken klingelte etwas.

Uuund hinein in die Gefühle!

In diesen Monaten der Suche und des Informierens habe ich einiges dazugelernt – auch über mich und meine Persönlichkeit. Und das war der Knackpunkt!

Es ging mir nicht so sehr darum, was der erfolgreichste Ansatz ist, welches Unternehmen günstig ist oder liegt, was „besser“ ist oder welche Erfolge ein Coachingunternehmen oder der Ausbilder vorweisen kann. Oder wie gut dieses Unternehmen in der Außendarstellung ist. Oder wen es als Referenz vorweisen kann. Es ging um einen viel wichtigeren Aspekt. Und diese Erkenntnis musste erst langsam reifen.

Es geht vor allem um mich selbst.

Und damit auch schlicht und einfach um die Frage, was für mich als Coach der geeignete Weg ist, den Zugang zum Klienten zu finden und ihm eine Hilfe anzubieten, die auch ich vertreten, annehmen und auch umsetzen würde, kann und möchte. Nur das Geben zu wollen, was man auch selbst empfangen möchte. Es ist also ein sehr tiefgehendes, von ethischen Gesichtspunkten, emotionaler Intelligenz und authentischer Haltung bestimmtes Gefühl, dass meine Entscheidung mit beeinflussen sollte.

Rational war das nicht erfahrbar. Ich musste in die Gefühlsebene spüren und mich auch auf diese verlassen wollen.

Was nicht sehr einfach war.

Perfektionist halt.

Ich entschied mich also bewusst, auf meinen Bauch zu hören und spüren zu wollen, was das Richtige für mich ist – und die rationale Ebene, die noch keine Entscheidung treffen konnte, ein wenig in den Hintergrund treten zu lassen. Diese hatte ich ja schon ihre Arbeit machen lassen.

Unternehmen, die ich in die engere Wahl gezogen hatte, boten mir an, mich einem oder mehreren Teilnehmern als „Versuchskaninchen“ coachen zu lassen. Das war es: eine wunderbare Möglichkeit, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen! Das ist zwar recht zeitaufwändig, geht aber vergleichsweise kostengünstig und bietet einen intensiven Einblick in die Ausbildung. Somit bekam ich in den Sitzungen tatsächlich ein Gefühl, wie die Unternehmen lehren, welche Menschen sie anziehen, was diese über das Unternehmen auch unbewusst zu berichten hatten. Und letztendlich wie ich bei diesen Sitzungen und danach spürte. Also ob sich die Methodik, die Systematik, der Grundgedanken des Coachingansatzes des Unternehmens für mich gut anfühlte. Ich lernte somit neben der Rationalität auch dem Spüren Raum in meiner Entscheidungsfindung zu geben. Und nebenher auch durch das Coaching in der Entscheidung unterstützt zu werden.

Zwei Fliegen mit einer Klappe!

Meine erste Lektion

Mit dieser oft nicht sehr einfachen Arbeit an mir und meiner Gefühlswelt brachte ich meinen Emotionen und dem Spüren Wertschätzung entgegen. Dies half ungemein, eine Menge an emotionalen Informationen zu sammeln, um diese sanft und Bedacht mit den rationalen Informationen zu vereinen. So konnte ich im persönlichen Zusammenspiel und bewusster Kommunikation zwischen rationalem Verstand und emotionaler Gefühlswelt Mithilfe geeigneter Strategien und Methodiken ein Gleichgewicht schaffen und eine wichtige, aber auch stabile und für mich sinnvolle Entscheidung treffen. Tatsächlich meine erste Lektion im Coaching, bevor ich mit der eigentlichen Ausbildung überhaupt angefangen habe!

Genial!

Vor allem freute ich mich darüber im Moment des Reflektierens nach dem ersten Modul. Denn in diesen intensiven Tagen habe ich als erstes gelernt, wie richtig – auch wenn noch nicht professionell durchdacht – ich mit diesem Ansatz lag, Gefühle und Rationales einfach miteinander mal quatschen zu lassen.

Ich freue mich wirklich auf die nächsten zwei Jahre!



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