Die gefährliche Fehlinterpretation von NewWork … oder: das Fundament der Superstar Economy sind nicht die 4-Tage Woche oder Helikopter-Firmen …
Eines vorweg: ich bin ein großer Verfechter von #NewWork und der Idee dahinter, nämlich sich mit Themen zu beschäftigen, die wirklich, wirklich wichtig sind bzw. man wirklich, wirklich will. Dahinter steckt also das, was gemeinhin unter „Purpose“ oder „Sinnstiftung“ verstanden wird. Oder anders herum die Frage: bringe ich mich und mein Potenzial mit größtmöglicher Wirkung zur Verwirklichung einer mehr oder weniger großen, aber in jedem Fall „sinnvollen“ Idee ein. Halt eine Tätigkeit „voll von Sinn“ (bin da voll bei Dir Nadja, dafür liebe ich die Deutsche Sprache).
Parken wir einmal kurz diesen Gedanken und begeben uns die Mitte der „New Work“ Bubble (… von der ich ja letztlich auch ein Teil bin). Ja – es wird schon häufig über Purpose, Sinn und Nachhaltigkeit gesprochen.
Arbeit muss neu gedacht werden … die Frage ist aber: wie …
Und es wird auch darüber gesprochen, das Arbeit vollständig neu gedacht werden sollte. Gerade vor dem Hintergrund der letzten 1,5 Jahre Pandemie-Ausnahmezustand findet man New Work als Dauergast auf Veranstaltungen und Podiumsdiskussionen.
Bei der Diskussion um das „Neudenken von Arbeit“ findet man dann Themen wie: „Es ist Zeit für die 4 Tage Woche“ oder „den 6 Stunden Tag“. Oder: „Wir brauchen mehr Ruhezeiten und müssen auf Bewegung und mentale Fitness achten“. Wir müssen „MitarbeiterInnen vor der Selbstausbeutung“ schützen und Guidelines aufstellen, wie und wann Pausen gemacht werden sollen. Mindfulness sollten wir in unseren Arbeitsablauf einbauen und jeden Morgen mit einer Meditation starten. Gleichzeitig diskutieren wir über Ergonomie am Arbeitsplatz und ob nicht – neben dem Arbeitsplatz im Büro – der Arbeitsplatz zu Hause vom Unternehmen ausgestattet werden sollte (inkl. Klopapier und Energie-Zuschlag).
Parallel finden wir eine Diskussion vor, bei der z.B. „Arbeit am Wochenende“ oder während der Urlaubszeit verteufelt werden und z.B. Elon Musk scharf kritisiert wurde, als er angesichts der initialen Produktionsschwierigkeiten des TESLA 3 seine MitarbeiterInnen zu Mehrarbeit und Überstunden auffordertete. Heute wissen wir, das Tesla nicht nur eines der erfolgreichsten Unternehmen der Welt ist, sondern eine ganze Branche auf den Kopf gestellt und die Entwicklung zu einer wirklich funktionsfähigen E-Mobilität erst ermöglichst hat ...
Bevor man mich hier falsch versteht: auch ich bin für eine „Humanisierung von Arbeit“ und „gute Arbeitsbedingungen“. Auch ich finde Themen wie Gesundheit und Fitness essentiell wichtig - und je nach individueller Situation ganz unterschiedlich zu behandeln.
Die Frage ist aber: beschäftigen wir uns mit den richtigen Fragestellungen, definieren wir „Humanisierung“ sinnvoll und adressieren wir diese an der richtigen Stelle. Was meine ich damit?
Ein kleines Gedankenspiel. Ihr habt die Wahl auszuwählen zwischen folgenden Tätigkeiten:
Welche der Tätigkeiten ist die "humanere"? Für welche der beiden Tätigkeiten würdet Ihr Euch entscheiden? Ich jedenfalls brauche hier nicht lange nachzudenken …
Empfohlen von LinkedIn
Der Rahmen passt nicht mehr (pauschal) ...
Eine kurze Einordnung: Wir leben in Rahmenbedingungen, ja Zwängen, die zu einer Zeit enstanden sind, wo diese absolut erforderlich und sinnvoll waren: nämlich zu Zeiten der Industrialisierung, wo harte körperliche Arbeit im Zentrum stand und MitarbeiterInnen vor der körperlichen Ausbeutung zu schützen waren. Denn es ist definitiv sinnvoll, nach 8 Stunden körperlicher Arbeit für den Tag Schluss zu machen und sich zu erholen, um körperliche Schäden zu vermeiden. Auch eine 2-tägige Pause (in Form eines Wochenendes) macht da absolut Sinn.
In Zeiten von Wissens- und Kreativarbeit und zunehmender Technologieunterstützung erschließen sich diese starren Vorgaben allerdings nicht mehr – fällt es doch schon schwer, einen Spaziergang im Park während der „Arbeitszeit“ den Clustern „Arbeit“ oder „Pause“ oder „Freizeit“ zuzuordnen. Vielleicht kommt mir ja genau bei oder durch diesen Spaziergang die zündendende Idee für eine berufliche Herauforderung. Da möchte ich ehrlich gesagt nicht meine Zeit mit der Frage verschwenden, welchem „Tätigkeitscluster“ ich dies zuordne.
Gleichzeitig ist gerade diese Selbstbestimmung und Eigenverantwortung doch genau das, wozu wir eigentlich schon unsere Kinder erziehen möchten. Nicht umsonst wird an vielen Stellen vielfach spöttisch der Begriff der „Helikopter-Eltern“ verwendet. Und gleichzeitig schaffen wir ein Umfeld für „Helikopter-Arbeitgeber“, mit dem Unterschied, das wir hier erwachsenen Menschen (und nicht Kindern) jede Art von Eigenverantwortlichkeit absprechen und versuchen vor jeder Eventualität zu schützen …
Auf dem Weg in die Superstar Economy
Und noch eine Entwicklung macht es aus meiner Sicht erforderlich, über den Arbeitsbegriff und die Gestaltung von Arbeit grundsätzlich nachzudenken.
Eines meiner Lieblingsbücher ist das Buch: „The 2nd maschine age“ von Erik Brynjolfsson, Andrew McAfee. Auch wenn schon einige Jahre alt, so beschreibt es aus meiner Sicht noch immer sehr treffend die Paradigmen des digitalen Zeitalters.
Eines dieser Paradigmen ist dabei die sog. „Superstar Economy“. Dahinter verbirgt sich u.a., dass wir aufgrund abnehmender Transaktionskosten und -barrieren bei vielen Produkten und Dienstleistungen auf die „beste Lösung“ zurückgreifen können und diese auch transparent gemacht bekommen. Und sich dann die Frage stellt: warum sollte ich die zweitbeste Lösung wählen, wenn ich doch auf die beste zurückgreifen kann. Beispielsweise: warum sollte ich mir einen AI-Kurs von einem unbekannten Tutor anschauen, wenn ich per Udemy, Coursea etc. einen Kurs mit der absoluten AI-Koryphäe buchen kann. Eine ähnliche Entwicklung sehen wir ja bereits im Sport oder in der Kunst – einige wenige Superstars dominieren die Märkte und erhalten Aufmerksamkeit und Geld. Die gesellschaftlichen Folgen (u.a. eine stärkeres Auseinanderklaffen von Arm- und Reich und Wegschmelzen der Mittelschicht) sind in dem erwähnten Buch intensiv beschrieben und die Auswirkung dieser Entwicklung bewerte ich mehr als kritisch und stellen für mich eine große Bedrohung in Bezug auf gesellschaftliche und soziale Stabilität dar. Doch dies wäre ein Thema für einen weiteren Artikel ...
Aus einer Unternehmenssicht bedeutet dies allerdings, sich durch entsprechende Top Dienstleistungen und innovative Lösungen am Markt zu positionieren, um nicht an Bedeutung zu verlieren. Und dies erfordert am Ende des Tages Menschen an Bord zu haben (denn Talente machen den Unterschied im digitalen Zeitalter), die für die Idee hinter dem Unternehmen brennen und sich mit vollem Einsatz und Ihrem Potenzial in die Verwirklichung einbringen. Und mit vollem Einsatz und Potenzial bedeutet im Zweifelsfall auch unter Druck und persönlichen Entbehrungen – und mit maximaler Eigenverantwortung. Denn nur so lässt sich etwas hervorbringen, was andere Menschen begeistert und vom Durchschnitt abhebt.
Ein schönes Beispiel ist hierbei für mich immer wieder Musik. Wenn ich mir anschaue, welche enormen Anstrengungen erforderlich sind, um ein Klavierstück auf Top-Niveau spielen zu können (und ich erlebe dies gerade bei meinen Kindern aus erster Hand ;-)), dann bin ich oft sehr demütig, wenn es um die Bewertung von Anstrengung und Druck in meinem Unternehmensumfeld geht.
Und auch hier löst sich aus meiner Sicht ein immer wieder gerne breitgetretener, vermeintlicher Widerspruch: Harte Arbeit, preußische Tugenden vs. Kreativität und Selbstverwirklichung schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig. Denn wer glaubt schon ernsthaft daran, dass Menschen wie Robert Bosch, Steve Jobs oder Özlem Türeci und Ugur Sahin Ihre Zeit mit der Frage nach einem 5 oder 8 Stunden Tag verschwendet haben?
Und enden möchte ich mit einem kleinen, persönlichen Gedankenfetzen: Ich erinnere mich an eine Situation vor 2 Wochen: Dort habe ich 2 Stunden lang über ein belangloses, internes Thema ohne jeglichen (Kunden-)wert diskutiert. Daran waren gleich 4 weitere Personen beteiligt. Dabei schoss mir plötzlich der Gedanke durch den Kopf: „In diesen 2 Stunden wurde irgendwo anders auf der Welt eine Technologie weiter entwickelt, an einem Medikament geforscht oder einem kranken Menschen Aufmerksamkeit gewidmet.“ Denk mal drüber nach …
#NewWork #NewNormal #Sinnstiftung #Arbeit
Chefärztin Endokrine Chirurgie
3 JahreLieber Marc, danke für diesen wirklich guten Artikel! Ich habe mich während des Lesens gefragt, wie sich deine Gedanken auf mein berufliches Umfeld/System übertragen lassen könnte.
Eigenverantwortlichkeit ist das Stichwort, richtig. Solange unsere durchschnittliche Verweildauer vor dem Fernseher 2 Stunden pro Tag beträgt, kann man schwerlich davon reden, man habe keinerlei Freizeit - Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel. Und bezüglich der Forderung nach einem 6-Stunden Tag oder der 4-Tage Woche muss man sich fragen, ob eine wiederholte Steigerung der Produktivität tatsächlich den kreativitätsfördernden Schub bringt. Vielleicht verbindet sich für den ein oder anderen dahinter die Hoffnung, dass sich durch Neueinstellung die Arbeit auf mehr Menschen verteilt. Ich befürchte aber die Realität wird sein, dass die Arbeit nicht weniger wird und tendenziell die Zahl der Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt rückläufig ist.
"Wegbereiterin für klimafreundliche, urenkeltaugliche Veränderungen, helfe ich Gründern und Kleinunternehmern mit Spaß aller an ihrer Arbeit, ihre Ideen dauerhaft zu verwirklichen – mit bis zu 80 % staatliche Förderung!"
3 JahreToller Artikel, spricht mir voll aus dem Herzen und schade, dass er vom „klassischen Angestellten“, der immer noch vorrangig an seine Rechte denkt, statt an Erfüllung, falsch verstanden wird.
Achtung - Zukunftslust kann ansteckend sein #tobimistic
3 JahreSchöner Impuls, der mir aus dem Herzen spricht. Ich tue mich nämlich auch schwer Aktivitäten den Clustern Freizeit, Pause, Arbeit zuzuordnen. Bestes Beispiel ist das Lesen und Kommentieren dieses Artikels. Arbeite ich gerade noch? Muss ich dann morgen später anfangen um die 11 h Ruhezeit einzuhalten? Was ist, wenn der Kopf aber nicht für 11h abgeschaltet werden kann? Fragen über Fragen. Lena Helldörfer Veronika Börnicke Der Text passt perfekt zu unserer Brownbag-Bunch-Serie "Glaubst du an Arbeit?"
🔸Transformation.Gemeinsam.Gestalten.🔸 🔸kluge+konsorten gmbh 🔸Transformation Architecture 🔸Systemische Organisationsentwicklung 🔸Tiefenpsychologische Supervision 🔸Autorin 🔸Keynotes 🔸Linkedin Top Voice seit 2017
3 JahreDanke für die Inspiration zum Wochenstart, lieber Marc! Ich glaube, zur Arbeit ist schon alles erdenkliche in allen Varianten neu und anders gedacht worden.Aus dem breiten Spektrum von Gutenberg bis Marx kristallisiert(e) sich das System heraus,das der Gesellschaft offenkundig am ökonomischsten (nicht im primär wirtschaftlich, auch gesellschaftlich) erschien. Und mit dem leben wir, mit einigen klitzekleinen zivilisatorischen Anpassungen, bis heute. Was wir in diesem System aufgrund veränderter *Rahmenbedingungen anpassen & anfassen müssen, ist unsere Haltung zu den Motivatoren (Gewinnmaximierung vs. Ökologie/Humanisierung). (*Rahmenbedingungen sind m.E. alle Phänomene von Speed und Daten aka Digitalisierung bis hin zu einem gesellschaftlich erreichten wirtschaftlichen Sättigungsgrad a la Maslow.) #Neudenken müssen wir daher m.E. dank guter philosophischer und soziologischen Vordenker von Schmalenbach über Weber hin zu Ahrendt nichts; sondern unser Haltung zu gewissen scheinbaren Grundtatbeständen verändern. Das ist doch der eigentliche #Hack. #Neudenken ist vergleichsweise einfach. #Neumachen, und das konsequent, ist das, was uns aus der Comfortzone von Besitzstand und Altersweisheit hebt. Und das ist zäh und anstrengend.