Die Kosten der Technologieoffenheit

Die Kosten der Technologieoffenheit

Seit der Bundestagswahl hört man den Begriff wieder besonders häufig: Technologieoffenheit. Christian Lindner sagte noch am Wahlabend, der Erfolg seiner Partei sei unter anderem im „Einsatz für Technologieoffenheit“ begründet. Und nun, wo das EU-Parlament den Verbrennermotor offiziell beerdigt hat, läufen ADAC & Co. mit dem gleichen Argument Sturm: wir brauchen eine "klare Haltung zugunsten von Technologieoffenheit".

Technologieoffenheit, das ist oft ein Kampfbegriff von Verbänden und Konzernen, mit dem sie für eine ganz bestimmte Technologie argumentieren, ihre eigene nämlich. Wenn man das ausblendet, dann klingt das Konzept ja durchaus sinnvoll: statt nur auf ein Pferd zu setzen, entwickeln wir mehrere Technologien mit Hochdruck weiter. Irgendwann setzt sich „der beste Mix“ durch. Oder eben doch nur ein Pferd – das nachweislich richtige nämlich. Denn wer weiß heute schon genau, dass batterie-elektrische Autos die Zukunft sind? Wo doch der Brennstoffzellenantrieb und sogar synthetischer Kraftstoff so rasante Fortschritte machen?

So weit, so gut. Allerdings verheimlichen Christian Lindner und die anderen Befürworter von Technologieoffenheit, dass ihre Strategie versteckte Kosten enthält. Und zwar gleich drei mal.

Entgangene Einnahmen

Wer sich aus zwei vielversprechenden Optionen eine aussucht und diese verfolgt, muss dafür bezahlen. Nicht nur dadurch, dass er in die ausgewählte Option investiert. Sondern auch mit dem entgangenen Ertrag der anderen Option. Das sind die sogenannten Opportuntitätskosten. 

Beispiel: während der Zeit, die ich in diesen Artikel investiere, kann ich nicht an meinem nächsten Buch schreibe. Ein Buch könnte ich, im Gegensatz zu diesem Artikel, verkaufen. Jede dieser Zeilen hier kostet mich Geld.

Unternehmen, die jetzt auf das falsche Pferd setzen – also die Technologie, die sich am Ende nicht durchsetzt – verlieren doppelt. Sie investieren schlecht und ihnen entgehen Umsätze. Je später die Entscheidung getroffen wird, desto schlechter.

Technologieoffenheit kostet also. Und zwar mit jedem Jahr mehr.

Verringerte Einnahmen

Wenn Unternehmen mit einem ähnlichen Produkt um Kunden konkurrieren, beginnt der Preiskampf. Irgendwann pendelt sich der Preis auf niedrigem Niveau und wenig Rendite ein.

Interessanterweise gilt bei technischen Standards das genaue Gegenteil. Der Ökonom W. Brian Arthur bewies schon in den 80ern, dass ein Standard wie die QUERTY-Tastatur zu steigenden Einnahmen führt. Je verbreiteter solch ein Standard ist, desto wertvoller die Produkte und Services, die auf diesem Standard basieren. Und dafür ist es völlig egal, welcher Standard sich durchsetzt. Arthur bewies nämlich, dass es zufällige Entscheidungen („small events“) sind, die eine Technologie zum Standard küren. Das macht Vorhersagen dazu, welcher Standard sich durchsetzten wird, äußerst schwer. Es erklärt auch, warum es „schlechte Standards“ gibt und sie trotzdem eine Goldgrube sind. Beispiele: 

  • Das Betriebssystem DOS/IBM wurde in den 80ern belächelt, begründete aber den Siegeszug des PC.
  • Javascript ist eine der meistgehassten Programmiersprachen der Welt, aber die Grundlage jeder Webapp
  • Im „Video-Krieg“ galt Betamax als bestes Format, verlor aber gegen VHS. 

Im Fall der Elektromobilität sind sich die Autobauer auffallend einig und setzten fast alle auf den direkt-elektrischen Antrieb. Sie wissen genau, dass mehrere technische Lösungen ihre Einnahmen nicht etwa erhöhen, sondern verringern. Die Kraft des Standards kann sich nicht entfalten. Technologieoffenheit kostet.

Verspätete Einnahmen

Warum brauchen selbst grandiose Erfindungen viele Jahre, oft Jahrzehnte, bis sie sich durchsetzen? Der Ökonom Nathan Rosenberg untersuchte diesen Phänomen in den 70ern und fand heraus: es liegt daran, dass alte Technologie unter dem Innovationsdruck der Newcomer besser werden

Als beispielsweise die Dampfmaschine erfunden wurde, sorgte das für einen Boom verbesserter Wassermühlen. Die Mühlen wurde irrigerweise ergänzt durch Dampfmaschinen, die das Wasser wieder nach oben pumpten und erneut über die Mühle schickten – sehr ähnlich zu dem Konzept einer Brennstoffzelle. Auch die Geschichte des künstlichen Lichts ist geprägt von solchen Geschichten. Die Erfindung des Gaslichts sorgte für verbesserte Kerzen (mit einem Docht, den man nicht mehr abschneiden musste) und das elektrische Licht führte zur Erfindung des Gasglühlichts (beworben als„elektrisches Licht ohne Elektrizität“).

Diese Verbesserung der alten Technologien waren echt, kein Marketingblabla. Ich bin zum Beispiel froh dass ich keinen Kerzendocht mehr putzen muss.

Letztendlich wurden die alten Technologien verdrängt. Aber bis dahin schafften sie es ihre Konkurrenten auszubremsen. Teilweise jahrzehntelang.

Das ist die Kehrseite von konkurrierenden Technologien: sie setzten sich gegenseitig unter Druck und es dauert länger, bis der Gewinner wirklich gewonnen hat

Fazit

Risikostreuung, mehr Freiheit, Kreativität und Innovation – das erhoffen sich die Befürworter von Technologieoffenheit. Zumindest offiziell.

Diese Offenheit kommt mit Kosten. Wollen und können wir uns das leisten? Wenn die Zeit drängt? Und wenn sich die großen Player längst auf eine Technologie geeinigt haben?

Darauf sollten die Befürworter der Technologieoffenheit eine Antwort haben. Auch und besonders der ADAC.

Nikolaus Rademacher

Turning your ideas into web apps – from vision to prototype in just 3 weeks

3 Jahre

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