Die Krise als Prüfstein.

Die Krise als Prüfstein.

Es ist 1999. Meine damalige Freundin und ich trennen uns. Ich weiß nicht, zum wievielten Mal. Dieses Gefühl ist unerträglich. Für beide. Dieses Gefühl ist befreiend. Für beide. Zumindest immer im Wechsel. Wie haben wir beide das geschafft? Wie haben wir es geschafft, dass wir uns heute gut verstehen und wir beide wissen, dass das alles so gut war, wie es war. Es fühlte sich wie die größte Krise in meinem Leben an.

Was bringt uns Menschen dazu, dass wir wie verrückt versuchen, Krisen zu umgehen. Vermeidungsstrategien. Verharren. Oder wie es mal ein Freund sagte.

"Wir sind doch verrückt. Wir ziehen eine bekannte Unzufriedenheit einer unbekannten Zufriedenheit vor. Das ist doch doof."

Und was passiert gerade jeden Tag?

Ganz Deutschland bereitet sich auf den Krisenmodus vor. Egal wann ich eine Nachrichtenapp öffne oder einen Podcast höre. Die Themen sind ähnlich:

Die Krise der deutschen Wirtschaft, das Thema VW, Politikverdrossenheit, US-Politik, Arbeitslosenzahlen, Stellenabbau, Depression, Rezession.

Die Krise oder schlechte Schlagzeilen verkaufen sich einfach besser. Und was machen viele Menschen: Sie hören ab sofort nur noch lustige Podcasts oder einfach Musik. Wenn wir die Krise ignorieren, ist sie ja nicht vorhanden. Oder wir sehen uns einfach nach früher.

Es ist mal wieder Zeit, den Sand in den Kopf zu stecken.

Dann ist der Lärm um uns herum so schön dumpf.

Es wirkt wie ein Kampf zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen dem Vertrauten und dem Unbekannten.

Dass ich mich gerade wieder damit beschäftige, liegt wahrscheinlich daran, dass ich gerade das neue Buch von Andreas Reckwitz: „Verlust – ein Grundproblem der Moderne" gelesen habe.

Meine Wahrnehmung der Welt ist durch das Buch geprägt. Denn ich beobachte in vielen der oben genannten Bereiche ein spannendes Verhalten bzw. einen Satz, der immer wieder auftaucht:

"Ach früher war es besser."

Wie in unseren früheren Beziehungen oder in früheren Jobs oder, oder, oder.

Wahrscheinlich kenne aber nur ich dieses Gefühl ;-)

Reckwitz beschreibt in seinem Buch: Je mehr wir uns nach Stabilität und den vermeintlichen Sicherheiten der Vergangenheit sehnen, desto deutlicher wird, dass eine simple Rückbesinnung auf das Alte keine tragfähige Lösung für unsere gegenwärtigen Herausforderungen bietet. Die Hoffnung, durch einen Blick zurück Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit zu finden, ist verständlich, aber letztlich illusorisch.

Sehnsucht nach der Vergangenheit

Diese Sehnsucht kenne ich nur zu gut. Wenn ich mich an Momente erinnere, in denen Beziehungen in meinem Leben auseinandergingen. In der ersten Zeit habe ich mich immer wieder dabei ertappt, dass ich immer wieder dachte, dass doch alles gut war und man es vielleicht noch einmal versuchen sollte. Und manchmal habe ich das sogar getan. Mit mehr oder eher mäßigem Erfolg. Ich habe mich immer wieder gegen das Gefühl des Verlustes gewehrt. Ich wollte Stabilität. Wachstum. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich wahrscheinlich wieder das Gefühl der ersten Verliebtheit haben. Diesen ersten Schuss. Aber es ist dann doch manchmal eher ein aufgewärmter Kaffee.

Wenn ich das Ganze auf die aktuelle wirtschaftliche Lage projiziere, entdecke ich diese Sehnsucht nach der Vergangenheit immer wieder.

Ich habe in Deutschland in den letzten 30 Jahren gelernt, dass es immer nach oben geht. Ich sehne mich nach dieser idealisierten Vergangenheit, die in meiner Vorstellung frei von den Komplexitäten und Unsicherheiten der Gegenwart war.

Die Moderne und ihre Verluste

Doch diese nostalgische Perspektive übersieht nach Reckwitz, dass die Moderne selbst die Verluste produziert, die sie zu überwinden sucht. Der rasante technologische Fortschritt, die Globalisierung und der gesellschaftliche Wandel haben eine Dynamik geschaffen, die sich nicht einfach umkehren lässt.

Der Blick in den Rückspiegel

Durch das stetige Gefühl des Aufstiegs hat sich unsere Wahrnehmung verändert: Wir sind heute sensibler für Verluste und nehmen Veränderungen intensiver wahr als frühere Generationen. Es ging nämlich für uns, die zwischen 40 und 60 sind, die letzten Jahrzehnte immer bergauf. Immer höher. Schneller. Weiter. Das Versprechen war. Streng Dich an, es wird dann immer besser. Die Komplexität unserer heutigen Welt – sei es der Klimawandel, die digitale Transformation oder geopolitische Spannungen – erfordert neue, zukunftsgerichtete Lösungsansätze.

Eine Rückkehr zu alten Modellen würde der Vielschichtigkeit dieser Herausforderungen nicht gerecht werden.

Das Spannende daran.

Ich beobachte, zumindest anhand dessen, was nach außen dringt, in den Chefetagen der größten deutschen und internationalen Traditionsunternehmen einen ähnlichen Reflex.

Eine dystopische Sicht. Versuch Dir bitte folgendes Szenario vorzustellen: Die Märkte beben, Aktien stürzen ab, und die Welt, wie wir sie kennen, steht kopf.

Was tust Du? Was tust Du in diesen Momenten, wenn der Boden unter den Füßen zu schwanken beginnt?

Mein Eindruck ist, dass viele Unternehmenslenker nach dem erstbesten Rettungsring – und allzu oft ist dieser aus altem, morschem Holz geschnitzt.

Denn sie rufen alte Weggefährten zurück, die einst das Unternehmen verließen oder die sich im Unternehmen an ruhige Posten zurückgezogen hatten.

Männer und Frauen, die einst mit ihnen Seite an Seite kämpften, in einer Zeit, die längst vergangen ist. Es ist, als würden sie versuchen, die Uhr zurückzudrehen, in der verzweifelten Hoffnung, dass das, was einst funktionierte, auch heute noch Wunder bewirken kann. Doch für mich steht eine Gefahr im Raum.

Mit jedem Blick zurück, mit jeder Rückbesinnung auf alte Zeiten, verspielt man die Zukunft.

Es ist, als würde man versuchen, ein Smartphone mit einer Wählscheibe zu bedienen – ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen.

Historische Lehren

Die Geschichte der Wirtschaft ist gepflastert mit den Überresten einst mächtiger Imperien, die in der Krise den Fehler machten, rückwärts zu schauen, anstatt mutig voranzuschreiten.

Das Beispiel Kodak

Erinnern wir uns an Kodak, den einstigen Riesen der Fotografie. Als die digitale Revolution am Horizont auftauchte, klammerte sich das Unternehmen an seine analogen Wurzeln, unfähig oder unwillig, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Das Resultat? Ein kometenhafter Fall von der Spitze in die Bedeutungslosigkeit.

Zukunftsorientierte Führung in der Krise

Doch es gibt Hoffnung. In den Wirren der Krise erheben sich Stimmen der Vernunft, Führungskräfte, die verstanden haben, dass der einzige Weg aus der Krise nach vorn führt.

Sie sind es, die in turbulenten Zeiten nicht nach alten Seilschaften rufen, sondern nach frischen Ideen.

Sie investieren in Innovation, wenn andere den Gürtel enger schnallen.

Sie öffnen Türen für neue Talente, während andere sich in ihren Büros verbarrikadieren. Diese Visionäre wissen: Der Charakter eines Unternehmens, einer Führungskraft, zeigt sich nicht in Zeiten des Überflusses, sondern in den Momenten der größten Herausforderungen. Es sind jene Momente, in denen man die Wahl hat – zurück in die vermeintliche Sicherheit der Vergangenheit zu fliehen oder mutig in eine ungewisse, aber vielversprechende Zukunft zu schreiten.

Und auch wenn es schwerfällt. Zentrale Merkmale eines zukunftsfähigen Führens sind deshalb

Mut zum Neuen

Für alle CEOs da draußen, die sich in diesem Sturm wiederfinden, hier ein Aufruf:

Es ist mal wieder Zeit für einen Mutausbruch.

Innovation

Das Schiff zurück in den Hafen steuern oder neue Gewässer erkunden? Strukturen ändern. Deshalb empfehle ich alles auf den Prüfstand zu legen, was immer so gemacht wurde. Und das obwohl oder gerade weil es das Unternehmen dort hingebracht hat, wo es ist.

Ich glaube, Albert Einstein hat mal gesagt: "Wir lösen die Probleme von morgen nicht mit dem Denken von gestern."

Zukunftsgestaltung

Denn für mich warten die Chancen jenseits des Horizonts des Bekannten.

Chancen, die das Unternehmen nicht nur durch die Krise bringen, sondern es stärker und widerstandsfähiger machen als je zuvor.

Erfolgsbeispiele und was ich mir immer wieder vor Augen führe, wenn ich es mal wieder so haben will, wie es früher war.

  • Steve Jobs hätte nie ein iPhone erfinden dürfen, denn es kannibalisierte seinen iPod.
  • Elon Musk hätte aufgeben müssen, denn es gab keine Ladeinfrastruktur für Elektroautos.
  • Sony hätte gegen die Übermacht von Kodak nie in das Business Fotografie einsteigen dürfen.

Die Krise ist nicht das Ende. Sie ist der Prüfstein, an dem sich zeigt, wer bereit ist, die Zukunft zu gestalten, anstatt von ihr überrollt zu werden.

Es ist Zeit, alte Muster zu durchbrechen, vertraute Pfade zu verlassen und den Mut zu finden, das Unbekannte zu umarmen. Denn nur so, nur durch den Blick nach vorn, können wir die Krisen von heute in die Erfolge von morgen verwandeln. In der Wirtschaftswelt von morgen wird es nicht die Größten sein, die überleben, auch nicht die Stärksten.

Es werden jene sein, die sich am besten anpassen können.

Jene, die bereit sind, alte Zöpfe abzuschneiden und neue Wege zu beschreiten. Klingt nach Darwin. Kann sein.

Das Paradoxon der Moderne

Veränderung passiert. Ob ich es will oder nicht. Ob ich damit klarkomme oder nicht. Auch wenn ich gerne hätte, dass es einfach so bleibt. Auch wenn ich gerne hätte, dass es auch für meinen Sohn immer nur bergauf gehen wird.

Die Veränderung zu umarmen, ist schwierig. Es ist auch für mich schrecklich.

Ich bin alt und dennoch verlangt die Zeit von mir, "erwachsen" zu werden – nicht im Sinne eines Verzichts auf Hoffnung, sondern als Aufforderung zu einer reflektierteren, reiferen Haltung gegenüber Veränderung und Verlust.

Anstatt uns an vergangene Ideale zu klammern, lerne ich, mit Unsicherheit umzugehen und neue Formen der Stabilität in einer sich ständig wandelnden Welt zu finden.

Letztendlich liegt die Zukunft nicht in der Wiederherstellung einer idealisierten Vergangenheit, sondern in der kreativen Gestaltung neuer Möglichkeiten, die den Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden.

Nur so können wir eine Gesellschaft formen, die sowohl resilient als auch zukunftsfähig ist.

Die Entscheidung liegt bei mir.

(Ich könnte auch Dir hier hinschreiben, probier es im Text mal aus.)

Die Frage ist: Will ich zu denen gehören, die im Hafen warten, dass es wie früher wird oder gehöre ich zu denen, die aufbrechen? Aufbrechen in ein wildes Abenteuer.

Im Hafen oder im Abenteuer: Die Gefahr, es nicht zu schaffen, ist in beiden Optionen vorhanden. Immer. Und da war sie wieder, die Angst vor dem Verlust. Aber …

Es ist meine Entscheidung.




Was denkt Ihr? Wie seht Ihr das? Danke dass Ihr es bis hier geschaft habt.

Markus Hohmeier

Marketing & Communications Strategist, Content Enthusiast and devoted Leader

2 Wochen

„Schiffe sind sicher im Hafen, aber dafür wurden sie nicht gebaut“, mein Mantra, wenn es mal wieder schwierig wird

Detlef Arnold

Meine Mission: Businesspotential 50+ für Unternehmen und Marken erschließen | Über 25 Jahre Agentur-GF und Partner | Macher | Systemischer Coach | HerzBlut-Teamleader | Key-Note-Speaker "G50UNLEASHED" | Marathonläufer

2 Wochen

Ich teile Deine An- und Einsichten total lieber Henning. Danke für den Artikel. Wir leben in einem Zeitalter der Krisen: Dot-Com-Krise (2000), 9/11 (2001), Finanzkrise (2008), Griechenland-Krise (2010), Flüchtlingskrise (2015/2016), Klimakrise (seit 2016), 2020 (Brexit), 2020 - 2022 (Corina-Krise), Seit 2022 (Ukraine-Krise), Energiekrise (2023). Krisen sind die neue Normalität. Positives Krisen-Management sehe ich heute als eine der wichtigsten Kompetenzen fürs private, berufliche und unternehmerische Wohlergehen.

arndt dallmann

Feuerwehr Germanedge und da wo es leuchtet

2 Wochen

ich sach ma: panta rhei

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